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Montag, 30. April 2018

Im Vergleich zu den Praktiken deutscher Medien ist Berlusconi ein Heiliger


Fake News, Hass, Hetze – diese Begriffstriade kommt in den Medien mittlerweile etwas seltener vor, auch deshalb, weil die Frage etwas drängender geworden ist, wer eigentlich welche Fake News und Hassbotschaften verbreitet. Die Sache ist etwas komplex. Jedenfalls kommen Falschnachrichten und Troll-Aktivitäten nicht so stereotyp aus Russland beziehungsweise von rechts und Rechtsaußen, wie es Wohlmeinende vor allem vor der Bundestagswahl verbreiteten.



Es gibt allerdings eine bemerkenswerte Ausnahme – die ARD. Sie strahlte am 26. April 2018 einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Lösch dich – so organisiert ist der Hass im Netz“ aus.
Die Film-Autoren Patrick Stegemann und Rayk Anders versprechen, tief ins Internet einzudringen, und dort die Hasser und Hetzer ausfindig zu machen. Es gebe dort „politische Organisationen, geheime Gruppen, die online Jagd machen“, enthüllt die Kommentarstimme ganz am Anfang. Bis die Jagd auf die Jäger losgeht, sieht der ARD- Zuschauer erst einmal lange, wie eine Kamera rund um Autor Rayk Anders kreist, der auf dem Berliner Alexanderplatz vor sich hinstarrt.

Ferner wird ein „Team“ vorgestellt, deren Mitglieder, wie dann noch mehrmals betont wird, ein Jahr lang „undercover recherchiert haben“. Wobei die Vorstellung im Wesentlichen darin besteht, den einzelnen Netz-Undercoveragenten flackernde psychedelische Farben über die Gesichter zu legen, während der Kommentator aus dem Off guidoknopphaft raunt.

Er bereitet den ARD-Zuschauer darauf vor, dass jetzt eine Deep-Throat-Bohrung in die Netzwelt folgt. Die erste Erkenntnis der Rechercheure lautet, der „Hass“ im Netz – ein Begriff, der in der Sendung nie definiert wird – sei organisiert. „Stimmt das? Kann man Hass organisieren?“, fragt die Kommentarstimme.
Stimmt das? Beliefert das Bento-Team jetzt schon die ARD? Scheint so zu sein. Denn als nächstes erfahren die Zuseher von den Untergrundaufklärern, dass a) sich Internet-Communities „um einige wenige Wortführer“ scharen – also praktisch wie in jedem Verein und jeder Partei der analogen Welt. Und b), was ein Troll ist. Jemand, der Kommentarverläufe stört und andere Internetnutzer beleidigt. Das sind schon einmal Erkenntnisse, für die jeder Euro der Gebührenzahler gut angelegt ist.
Der eigentliche Höhepunkt der Dokumentation beginnt ab Minute 8:38. Das Rechercheteam hat zwei Trolle, zwei ziemlich bekannte Youtube-Blogger, die sich Dorian und Imp nennen. Beide sind kurz in einem selbstproduzierten Netzvideo zu sehen. Aus dem Off meint der Kommentator, einer der beiden Trolle würde sich darüber beklagen, „dass man in Deutschland nicht den Holocaust leugnen darf“. Auf dem Netzvideo selbst ist nichts davon zu hören. Dort nuschelt einer der Protagonisten nur:
„Ich weiß aber nicht, wo ich nicht dabei war, ob das hundertprozentig passiert ist.“
Außerdem sieht man, wie einer der beiden rappt: „Lösch dich“ – sozusagen der Titelsong des Films. Ein zweiter Ausschnitt eines von den Trollen Dorian und Imp produzierten Videos zeigt einen der beiden, wie er in einem T-Shirt mit der Aufschrift „HKNKRZ“ vor der Kamera herumhampelt, also „Hakenkreuz“ ohne Vokale.

Das Rechercheteam beschließt, die beiden zu besuchen. Es geht analog auf Jagd, und kurz danach sitzen die beiden Delinquenten vor der Kamera. Rechts ein Langhaariger mit Brille und buntem T-Shirt (dieses mal ohne HKNKRZ), links ein junger Mann mit Lippenpiercing und einem roten T-Shirt, auf dem steht: „Dem deutschen Volk“. Darunter ist ein Galgen abgebildet.

Selbst dem Allerdümmsten ist jetzt klar, dass es sich bei den beiden nicht um Rechtsradikale handelt.  Zumal einer von ihnen  – nicht der mit Galgen-T-Shirt, sondern der andere – deutlich hörbar sagt: „Es gibt ja gute Gründe, Deutsche zu hassen“.
Was jetzt folgt, ist allerdings keine Befragung zu diesen Ansichten durch die beiden Mitglieder des „Rechercheteams“, das, wie den Zuschauern mehrmals im Film erzählt wird, sich ein Jahr lang tiefgründigst mit dem Thema befasst hat. Nein, der Tiefenrechercheur fragt nur nach dem „Hakenkreuz-T-Shirt“. Worauf der Angesprochene etwas blasiert antwortet, er habe nie ein Hakenkreuz-T-Shirt getragen. Offenbar merkt er, dass er gerade die ARD-Version von Bob Woodward und Carl Bernstein vor sich sitzen hat, deshalb gibt er einen Hinweis für ganz Begriffsstutzige: „Ich denke, dass ich viele Dinge, die ich mache, nicht unbedingt ernst meine.“
Zu dem Galgen-für-das-deutsche-Volk-T-Shirt einen Meter vor ihrer Nase stellen die ARD-Investigativschwergewichte keine einzige Frage. Es ist noch nicht einmal klar, ob sie es überhaupt registrieren.


Ob die beiden Trolle in ihren Videos eher Rechtsradikale oder ARD-Journalisten veralbern und wie sich ihre Deutschenhass-Parolen mit einem möglicherweise sehr individuellen Dachschaden vermischen, ist aus dem Film heraus schwer erkennbar.
Es spielt aber auch keine Rolle. Denn nach der Szene tritt wieder Filmautor Rayk Anders aufgeregt fuchtelnd vor die Kamera und sagt:
„Nazisymbole, Sprüche klopfen am Rand der Volksverhetzung. Und bei kritischer Nachfrage ist auf einmal alles nur Spaß.“
Die beiden bizarren Trolle werden also anmoderiert mit „Holocaust leugnen“, und am Ende noch einmal mit „Nazisymbole“ kommentiert. Wer die Filmszene nicht genau angeschaut oder schnell wieder vergessen hat, muss also glauben, er habe hier eben tatsächlich zwei von der ARD aufgespürte Rechtsradikale vorgeführt bekommen. Das Verfahren erinnert ein wenig an den Fall der BILD, die 2017 mit Bildausschnitt und Schlagzeile suggerierte, bei einem glatzköpfigen Linksextremisten, der auf der Frankfurter Buchmesse drohend auf den Verleger Götz Kubitschek losging, handle es sich um einen Nazi.


Was spüren die Hassinvestigatoren des Öffentlich-Rechtlichen sonst noch auf? Sie erklären – meist mit Hilfe von kurz hereingeschnittenen Zeugen, einem Kulturwissenschaftler, einem Mitglied des Chaos Computer Clubs – dass es auf Facebook Fake-Profile gebe. Und geschlossene Chat-Gruppen. Es gibt folgende Enthüllung als Kommentar aus dem Off:
„Ein Problem sind Facebook, Youtube und andere Netzwerke. Bei ihnen wird der Kampf um Aufmerksamkeit ein Geschäft. Und bei dem geht es vor allem um Geld. Weniger um die Wahrheit.“
An vielen Stellen hört sich das Aufklärungswerk so an wie eine KiKa-Sendung für Siebenjährige.

Es folgt ein Interview mit Martin Sellner, einem Kopf der Identitären Bewegung, der sagt, was er immer sagt: Dass sein Ziel darin besteht, die politische Korrektness zu zerstören. Ein Berliner Verfassungsschützer tritt auf und erklärt, dass die Identitäre Bewegung rechtsradikal sei.
Einer des ARD-Rechercheteams klinkt sich mit falschem Namen (eine „Parallelidentität“, tönt es dramatisch aus dem Off) in die Netz-Gruppe „Reconquista Germanica“ ein und berichtet, diese Gruppe habe im Bundestagswahlkampf die AfD unterstützt.  

„Den Erfolg der AfD beanspruchen Trolle gern für sich“, sagt die Kommentarstimme. Welche Rolle solche eher kleinen Gruppen für das Wahlergebnis der AfD tatsächlich hatten, dafür liefert der Film keine Belege. Er stellt die Frage noch nicht einmal. Auch nicht die, ob es ein ähnliches Phänomen von Linksaußen-Netzunterstützung  – etwa auf Indymedia – auch für die Linkspartei gibt. Wie auch? In der gesamten ARD-Produktion, in der es laut Titel ja grundsätzlich um Hass im Netz gehen soll, kommen linksextreme und islamistische Plattformen gar nicht vor.



Und wenn Leute mit linkem Hassmotto-Shirt auftauchen, siehe oben, dann handelt es sich per Umdefinition eben auch irgendwie um Rechtsradikale.

Nach dem Muster, dass es Netzhass eigentlich nur von rechts geben kann, handeln die Rechercheure auch schnell noch den US-Wahlkampf ab. Zu dessen Gunsten, doziert jemand, habe es „eine Flut von Fake News“ gegeben. Zitiert wird keine einzige. Es folgt die Feststellung, Trump-Unterstützer hätten mit Internet-Memes gegen Hillary Clinton den Wahlkampf entschieden. Als Beispiel für diese wahlentscheidenden Netzbasteleien zeigen die Filmemacher ein solches Meme: Ein Foto Clintons, dazu das Wort INSANE. Nun war die Behauptung, Trump sei nicht ganz richtig im Oberstübchen, eine der wichtigsten Argumente im Anti-Trump-Lager, und sie ist es bis heute. Entsprechende Internet-Memes der anderen Seite lassen sich leicht zu tausenden finden, außerdem hunderte Artikel in klassischen Medien. Tatsächlich, so einfach lässt sich eine US-Präsidentenwahl gewinnen: man nehme das Bild der Kandidatin, bastle den Spruch „verrückt“ drüber und gewinnt, obwohl ihre Anhänger dasselbe mit umgekehrtem Vorzeichen tun?
Offenbar haben die ARD-Cracks genau das herausgefunden.
Aber möglicherweise ist das auch alles nur Spaß, um Filmautor Anders zu zitieren: Ein paar junge zappelige Leute leiern einem in Gebührenmilliarden schwimmenden Sender das Geld für eine einjährige bestbezahlte Zeit aus dem Kreuz und klempnern dann, als der Abgabetermin naht, schnell ein mit albernem Farbgeflacker und dramatischer Musiksoße garniertes Stück zusammen, das enthüllt: bei Facebook und Youtube handelt es sich um kommerzielle Unternehmen statt um Wahrheitssucher, es gibt Trolle und auch politische Trolle, und, am allerwichtigsten, Hass, merkt euch das, kann nur von Rechts kommen.
Die Höhe des Filmetats wäre wirklich eine Recherche wert.   Wendt

Das eigentlich Schlimme ist, dass hier nicht die Perfidität dieser infantilen Rechercheure der Gipfel allen Übels ist, sondern erst die Dummheit, mit der diese Perfidität in Szene gesetzt und rezipiert wird. Denn das kann ja nur bedeuten, dass man dem deutschen Fernsehpublikum problemlos wirklich alles vorsetzen kann, ohne dafür abgestraft zu werden.

Dank des allgemein in unseren Leitmedien waltenden linken Konsenses und Konformitätsdrucks ist ja keine einzige Gegenstimme zu hören, die dem Fernsehpublikum Anhaltspunkte für eine Orientierungshilfe geben könnte; abgesehen von den snobistischen, weibisch-überheblichen Differenzierungen einer Thea Dorn, der Gaulands rauhbeiniger Ton ("Özugus nach Anatolien entsorgen") aber zu burschikos ist. Also das Schlimmste ist, dass dieses Schmierentheater vom deutschen Fernsehpublikum wie selbstverständlich hingenommen wird.

Das ist nicht mehr nur Lügenfernsehen, das ist Lumpenfernsehen der schäbigsten Sorte mit einem apathischen Publikum als Komplizen. Und man verliert die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könnte.

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