Stationen

Montag, 23. April 2018

Vergessene Binsenweisheiten

Eins.
Ein Leser weist mich darauf hin, dass R. Lee Ermey von uns gegangen ist. Wenn Sie nicht auf Anhieb wissen, wer das ist, schauen Sie hier – jeder kennt ihn. Diese Figur ist unsterblich.
Meine Lieblingsszene ist diese: "Private Joker ist von nun ab neuer Gruppenführer. Private Joker ist ein Spinner und ein Ignorant, aber er hat Schneid, und das reicht uns!" Das stimmigste, das wichtigste Argument, und wie typisch für unseren von Schneidlosen, zu jedem Einknicken bereiten Schrumpfmännlein (und -weiblein) geprägten Zeitgeist, dass es nicht mehr gelten soll.

Zwei.
Die Oper ist gewiss jene Kunstgattung, die dem menschlichen Paarungsverlangen die eindrucksvollsten Monumente errichtet hat. Eines davon ist der Ausbruch "Rêve! Extase! ô bonheur!" der Titelfigur in Massenets "Werther", großartig gesungen von Jonas Kaufmann (am Aufstachelndsten von Franco Corelli, aber alles hat auch die Ali-Baba-Höhle youtube nicht in petto). Hier ist jene animalische Energie körperlich zu spüren, die sich bei dem schließlich abgewiesenen Werther gegen sich selbst richtet. Wie wir hierzulande zunehmend (wieder) erfahren dürfen, kann sich dieser entfesselte Trieb auch gegen das Objekt der Begierde wenden, ich würde sogar die These wagen, dass es Kulturkreise gibt, in denen es ausschließlich in diese Richtung geht. Der Suizid aus verschmähter Liebe war oder ist eine vorwiegend westliche Dressurleistung, die nur vor dem Hintergrund der Ritterlichkeit und der Frauenverehrung zu verstehen ist. ("Herrin, forsch' nicht blut'ge Kunde –/Heute Mittag starb Ramiro", Heine). Andere Weltgegenden kennen dergleichen nicht, und gegen das "céleste sourire!" haben sie dort allerlei Planen und andere Verhängungen ...   MK am 22.

Auch das ist Geschichtsvergessenheit: was früher einmal eine Binsenweisheit war, geriet nicht nur in Vergessenheit. Wer sich heute die Mühe macht, veranschaulichend daran zu erinnern, dem glaubt man nicht mal mehr vor lauter "Konstrukten" und "sozialen Skulpturen". Sogar Klonovsky übersieht, dass die "vorwiegend westliche Dressurleistung" eine vorwiegend nordwestliche ist.

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