Stationen

Dienstag, 3. Mai 2016

Audiatur et altera pars

Greenpeace Niederlande hat den aktuellen Verhandlungsstand zum Handelsabkommen TTIP von 13 Vertragskapiteln heute ins Netz (TTIPLEAKS) gestellt. Das ist wirklich löblich. Verhandlungen hinter verschlossenen Türen schüren Misstrauen und sind das Gegenteil der viel propagierten Transparenz, wie Roger Letsch hier auf der Achse schrieb. Doch der Durchblick kehrt jetzt allmählich ein. Und das betrifft die Interessen aller Seiten bei diesem Abkommen.
Die Unterlagen wurden auch dem Verbund von Süddeutscher ZeitungWDR und NDR als Abschrift zur Verfügung gestellt. Und von denen werden sie gleich mit einem Spin präsentiert, der zusätzlich tief blicken lässt.

Um „Verbraucherschutz“ geht es in dieser Auseinandersetzung jedenfalls nur am Rande. Schon die Tonlage der Berichterstattung verrät, dass es auch auf Greenpeace-Seite um Macht und Moneten, um Ideologie und Glaubensüberzeugungen geht. Aber eins nach dem anderen.
So schreibt Tagesschau.de, die Papiere zeigten „Wie die USA die EU unter Druck setzt, mit möglichen Folgen für europäische Standards im Verbraucher- und Umweltschutz“. Laut der Süddeutschen Zeitung drohen die USA der EU damit, Exporterleichterungen für die EU-Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, daß die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt.

Ich kann daran nichts dramatisches entdecken: Ja, es handelt sich um ein Handelsabkommen, bei dem gefeilscht wird, was das Zeug hält. Motto: Wenn Du mir hier entgegen kommst, dann gebe ich an dort nach. Vollkommen normal auf einem Basar. Und warum sollen die Amerikaner ihren Markt für deutsche Auto-Zulieferer öffnen, wenn die Europäer ihren Markt für amerikanische Steak-Zulieferer geschlossen halten?

Zumal: Auch Deutschland ist ein großer Agrar-Exporteur. Die europäischen Landwirte haben überhaupt kein Problem damit, mit Billiglebensmitteln etwa afrikanische Kleinbauern platt zu machen. Umgekehrt regen Sie sich furchtbar auf, wenn günstig produzierende Großagrarier aus USA in Konkurrenz zum vermeintlichen deutschen Kleinbauern treten (der übrigens längst ausstirbt, weil es für die meisten kleinen Höfe überhaupt keinen Nachwuchs mehr gibt). Den grünen Städtern, die diesen für die Betroffenen wenig erbaulichen Job romantisieren, sei empfohlen: Wenn Ihr aus optischen und völkerkundlichen Aspekten Kühe auf der Weide ausstellen wollt, dann müsst ihr die Bauern halt direkt dafür bezahlen. Ansonsten lasst die Leute ihr Schnitzel kaufen, wo sie möchten.

[Hier möchte ich gerne einwerfen, was heute in der PAZ zu lesen ist]

Und damit sind wir beim zweiten Punkt, der allmählich glitzeklar wird: Weil man Protektionismus und Abschottung nicht Protektionismus und Abschottung nennen darf, wird - zumindest bei der Landwirtschaft - der Verbraucherschutz vorgeschoben. Deshalb werden vermeintliche aber ganz und gar unbewiesene Gefahren für das deutsche Volkswohl hervorgekramt. „Die EU dagegen verbietet Produkte wie hormonbehandeltes Fleisch und gentechnisch veränderte Lebensmittel häufig schon vorsorglich bei Hinweisen auf Risiken. In den USA kommt es oft erst zu verboten, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind“, formuliert es der österreichische „Standard".
Dazu ein weiterer kleiner Hinweis: Es ist beispielsweise nachgewiesener Maßen niemand durch gentechnisch veränderte Lebensmittel umgekommen, aber es gab  53 Tote durch Biosprossen – und damit den größten und gefährlichsten Lebensmittel-Skandal nach dem Kriege in Deutschland. Nun hat die EU trotz nachgewiesener mortaler Folgen den Bioanbau nicht verboten. Warum sollen dann die Amerikaner trotz nachgewiesener Null-Folgen für die menschliche Gesundheit den gentechnischen Anbau verteufeln? Im übrigen haben Millionen deutsche Touristen in den USA Gentechnik-Brot, Chlorhühnchen und Hormonsteaks mit großen Appetit und ohne die geringsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen verdrückt. Was soll also der Zirkus?

Es geht in dieser Vorstellung eben nicht um die Wahlfreiheit der Konsumenten, sondern um das genaue Gegenteil, der dumme Verbraucher soll unter allen Umständen daran gehindert werden, auch nur in Versuchung zu geraten, ein gentechnisch erzeugtes Produkt im Supermarkt zu entdecken (und möglicherweise für gut zu befinden). Mit Verbraucherschutz hat dies rein gar nichts, mit Erziehungsdikatur umso mehr zu tun. Angeblich lehnen 70 Prozent der Deutschen die Gentechnik ab, das ist ihr gutes Recht. Genauso wie es jedermanns Recht ist Schweinefleisch abzulehnen oder gänzlich zum Vegetarier zu werden. In einer säkularen Gesellschaft bleibt dies dem Bürger selbst überlassen.
„Wer TTIP säht, wird Gentechnik ernten“, sagt Greenpeace ganz offen. Dem muss man allerdings genauso offen entgegenhalten: Semi-Religiöse Essverbote- und Tabus haben nichts in einem Handelsabkommen zu suchen. Und weil man auch dies nicht laut sagen kann, wird die Diskussion lieber grundsätzlich geführt. „Die Amerikaner gehen hart gegen das europäische Vorsorgeprinzip vor“, schreibt Tagesschau.de, „Letzteres ermöglicht es in Europa schon beim Verdacht auf eine drohende  Gesundheitsgefahr durch ein bestimmtes Produkt strenge Vorgaben zu verhängen“.
In der pervertierten europäischen Praxis heißt „Vorsorgeprinzip“ längst: Angstkampagnen ohne jegliche wissenschaftliche Substanz genügen, um neuen Technologien den Garaus zu machen. Ideologische korrekte Gefahren werden hingegen großzügig unter den Teppich gekehrt (siehe Biosprossen). Wissenschaft und Aufklärung wurden mit diesem ideologischen Konstrukt erfolgreich außer Kraft gesetzt, es feiert ja nicht nur in der Landwirtschaft sondern auch bei der Energiewende große Erfolge, die seinen Protagonisten Milliarden in die Kassen spülen. Auch Greenpeace & Co, sie sind längst Werbeagenturen des ökologisch-industriellen-Komplexes,  leben prächtig davon, entsprechend fürchten sie jetzt um ihre Macht.

In dieses Bild passt auch eine Einlassung von Klaus Müller, Vorstandschef des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes: „Das Problem ist, dass es in den USA bei der Regulierung große Einspruchs- und Kommentierungsmöglichkeiten für Lobbygruppen gibt, die dazu führen, dass sich die Regulierungsbehörden ständig rechtfertigen müssen.“ Huch, man muss sich für Verbote rechtfertigen! Merke: Die Lobbygruppen Greenpeace, BUND & Co wollen das Alleinrecht auf Einspruchs- und Kommentierungsmöglichkeiten, es gibt nämlich gute und schlechte Interessenverbände. Und noch ein kleiner Hinweis: Die Manipulationen der Abgaswerte von Dieselautos  fielen durch US-Behörden auf, nicht durch deutsche Verbraucher- und Umweltschützer. Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe waren viel zu beschäftigt, mit VW zu kuscheln und die Welt grün zu waschen.

Wie immer, wenn man an der Tapete kratzt, kommen darunter auch bei TTIP ganz andere Muster hervor, als es vorher den Anschein hatte. Manchmal kommt einem auch die ganze Wand entgegen.

Ich will und kann das nicht verallgemeinern. In anderen Bereichen wie dem der Kultur, der Normierung, des Datenschutzes oder des Rechts mag es ganz andere Probleme und Frontstellungen geben. Dennoch macht es mich stutzig unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes so viel getarnte Ideologie zu finden. Bei TTIP prallen ganz offensichtlich nicht nur ökonomische Interessen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Arten die Welt zu sehen.  Dirk Maxeiner am 2. 5. 2016

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