Greenpeace Niederlande hat den aktuellen Verhandlungsstand zum Handelsabkommen TTIP von 13 Vertragskapiteln heute ins Netz (TTIPLEAKS)
gestellt. Das ist wirklich löblich. Verhandlungen hinter verschlossenen
Türen schüren Misstrauen und sind das Gegenteil der viel propagierten
Transparenz, wie Roger Letsch hier auf der Achse schrieb. Doch der Durchblick kehrt jetzt allmählich ein. Und das betrifft die Interessen aller Seiten bei diesem Abkommen.
Die Unterlagen wurden auch dem Verbund von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR
als Abschrift zur Verfügung gestellt. Und von denen werden sie gleich
mit einem Spin präsentiert, der zusätzlich tief blicken lässt.
Um
„Verbraucherschutz“ geht es in dieser Auseinandersetzung jedenfalls nur
am Rande. Schon die Tonlage der Berichterstattung verrät, dass es auch
auf Greenpeace-Seite um Macht und Moneten, um Ideologie und
Glaubensüberzeugungen geht. Aber eins nach dem anderen.
So schreibt Tagesschau.de,
die Papiere zeigten „Wie die USA die EU unter Druck setzt, mit
möglichen Folgen für europäische Standards im Verbraucher- und
Umweltschutz“. Laut der Süddeutschen Zeitung
drohen die USA der EU damit, Exporterleichterungen für die
EU-Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, daß die EU
mehr US-Agrarprodukte abnimmt.
Ich kann daran nichts dramatisches entdecken: Ja, es handelt sich um
ein Handelsabkommen, bei dem gefeilscht wird, was das Zeug hält. Motto:
Wenn Du mir hier entgegen kommst, dann gebe ich an dort nach. Vollkommen
normal auf einem Basar. Und warum sollen die Amerikaner ihren Markt für
deutsche Auto-Zulieferer öffnen, wenn die Europäer ihren Markt für
amerikanische Steak-Zulieferer geschlossen halten?
Zumal: Auch Deutschland ist ein großer Agrar-Exporteur. Die
europäischen Landwirte haben überhaupt kein Problem damit, mit
Billiglebensmitteln etwa afrikanische Kleinbauern platt zu machen.
Umgekehrt regen Sie sich furchtbar auf, wenn günstig produzierende
Großagrarier aus USA in Konkurrenz zum vermeintlichen deutschen
Kleinbauern treten (der übrigens längst ausstirbt, weil es für die
meisten kleinen Höfe überhaupt keinen Nachwuchs mehr gibt). Den grünen
Städtern, die diesen für die Betroffenen wenig erbaulichen Job
romantisieren, sei empfohlen: Wenn Ihr aus optischen und
völkerkundlichen Aspekten Kühe auf der Weide ausstellen wollt, dann
müsst ihr die Bauern halt direkt dafür bezahlen. Ansonsten lasst die
Leute ihr Schnitzel kaufen, wo sie möchten.
[Hier möchte ich gerne einwerfen, was heute in der PAZ zu lesen ist]
Und damit sind wir beim zweiten Punkt, der allmählich glitzeklar
wird: Weil man Protektionismus und Abschottung nicht Protektionismus und
Abschottung nennen darf, wird - zumindest bei der Landwirtschaft - der
Verbraucherschutz vorgeschoben. Deshalb werden vermeintliche aber ganz
und gar unbewiesene Gefahren für das deutsche Volkswohl hervorgekramt.
„Die EU dagegen verbietet Produkte wie hormonbehandeltes Fleisch und
gentechnisch veränderte Lebensmittel häufig schon vorsorglich bei
Hinweisen auf Risiken. In den USA kommt es oft erst zu verboten, wenn
Menschen zu Schaden gekommen sind“, formuliert es der österreichische „Standard".
Dazu ein weiterer kleiner Hinweis: Es ist beispielsweise
nachgewiesener Maßen niemand durch gentechnisch veränderte Lebensmittel
umgekommen, aber es gab 53 Tote durch Biosprossen – und damit den
größten und gefährlichsten Lebensmittel-Skandal nach dem Kriege in
Deutschland. Nun hat die EU trotz nachgewiesener mortaler Folgen den
Bioanbau nicht verboten. Warum sollen dann die Amerikaner trotz
nachgewiesener Null-Folgen für die menschliche Gesundheit den
gentechnischen Anbau verteufeln? Im übrigen haben Millionen deutsche
Touristen in den USA Gentechnik-Brot, Chlorhühnchen und Hormonsteaks mit
großen Appetit und ohne die geringsten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen verdrückt. Was soll also der Zirkus?
Es geht in dieser Vorstellung eben nicht um die Wahlfreiheit der
Konsumenten, sondern um das genaue Gegenteil, der dumme Verbraucher soll
unter allen Umständen daran gehindert werden, auch nur in Versuchung zu
geraten, ein gentechnisch erzeugtes Produkt im Supermarkt zu entdecken
(und möglicherweise für gut zu befinden). Mit Verbraucherschutz hat dies
rein gar nichts, mit Erziehungsdikatur umso mehr zu tun. Angeblich
lehnen 70 Prozent der Deutschen die Gentechnik ab, das ist ihr gutes
Recht. Genauso wie es jedermanns Recht ist Schweinefleisch abzulehnen
oder gänzlich zum Vegetarier zu werden. In einer säkularen Gesellschaft
bleibt dies dem Bürger selbst überlassen.
„Wer TTIP säht, wird Gentechnik ernten“, sagt Greenpeace ganz offen.
Dem muss man allerdings genauso offen entgegenhalten: Semi-Religiöse
Essverbote- und Tabus haben nichts in einem Handelsabkommen zu suchen.
Und weil man auch dies nicht laut sagen kann, wird die Diskussion lieber
grundsätzlich geführt. „Die Amerikaner gehen hart gegen das europäische
Vorsorgeprinzip vor“, schreibt Tagesschau.de, „Letzteres ermöglicht es
in Europa schon beim Verdacht auf eine drohende Gesundheitsgefahr durch
ein bestimmtes Produkt strenge Vorgaben zu verhängen“.
In der pervertierten europäischen Praxis heißt „Vorsorgeprinzip“
längst: Angstkampagnen ohne jegliche wissenschaftliche Substanz genügen,
um neuen Technologien den Garaus zu machen. Ideologische korrekte
Gefahren werden hingegen großzügig unter den Teppich gekehrt (siehe
Biosprossen). Wissenschaft und Aufklärung wurden mit diesem
ideologischen Konstrukt erfolgreich außer Kraft gesetzt, es feiert ja
nicht nur in der Landwirtschaft sondern auch bei der Energiewende große
Erfolge, die seinen Protagonisten Milliarden in die Kassen spülen. Auch
Greenpeace & Co, sie sind längst Werbeagenturen des
ökologisch-industriellen-Komplexes, leben prächtig davon, entsprechend
fürchten sie jetzt um ihre Macht.
In dieses Bild passt auch eine Einlassung von Klaus Müller,
Vorstandschef des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes: „Das Problem
ist, dass es in den USA bei der Regulierung große Einspruchs- und
Kommentierungsmöglichkeiten für Lobbygruppen gibt, die dazu führen, dass
sich die Regulierungsbehörden ständig rechtfertigen müssen.“ Huch, man
muss sich für Verbote rechtfertigen! Merke: Die Lobbygruppen Greenpeace,
BUND & Co wollen das Alleinrecht auf Einspruchs- und
Kommentierungsmöglichkeiten, es gibt nämlich gute und schlechte
Interessenverbände. Und noch ein kleiner Hinweis: Die Manipulationen der
Abgaswerte von Dieselautos fielen durch US-Behörden auf, nicht durch
deutsche Verbraucher- und Umweltschützer. Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe waren viel zu beschäftigt, mit VW zu kuscheln und die Welt grün zu waschen.
Wie immer, wenn man an der Tapete kratzt, kommen darunter auch bei
TTIP ganz andere Muster hervor, als es vorher den Anschein hatte.
Manchmal kommt einem auch die ganze Wand entgegen.
Ich will und kann das
nicht verallgemeinern. In anderen Bereichen wie dem der Kultur, der
Normierung, des Datenschutzes oder des Rechts mag es ganz andere
Probleme und Frontstellungen geben. Dennoch macht es mich stutzig unter
dem Deckmantel des Verbraucherschutzes so viel getarnte Ideologie zu
finden. Bei TTIP prallen ganz offensichtlich nicht nur ökonomische
Interessen aufeinander, sondern auch unterschiedliche Arten die Welt zu
sehen. Dirk Maxeiner am 2. 5. 2016
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