Parteitage, auf denen tatsächlich diskutiert und nicht nur ein
Hochamt auf die Parteiführung gefeiert wird, bei dem die Länge des mit
der Stoppuhr gemessenen nordkoreanischen Beifallklatschens schon die
wichtigste Nachricht ist, sind unüblich geworden im erstarrten Berliner
Polit-Establishment.
Von daher nimmt es nicht wunder, daß etliche der Kommentatoren aus
dem bemerkenswert großen Medientroß, der den Programmparteitag der
Alternative für Deutschland (AfD) in Stuttgart begleitet hat, sich in
der Pose des Kopfschüttlers über den mal zähen, mal turbulenten Verlauf
des angesichts der Herausforderung von mehr als zweitausend Mitgliedern,
die über fast ebensoviele Anträge zu befinden hatten, gleichwohl
diszipliniert durchgeführten Parteitags gefielen.
Sich an Formalien und Einzelfragen festzubeißen und diese in die
überholte „Links-rechts“-Gesäßgeographie einzusortieren ist vor allem
für die reflexhafte Kritik aus Altparteien und Lobby-Establishment ein
durchschaubarer Kniff, um zu überspielen, daß man die Kernbotschaft des
AfD-Programms sehr wohl gehört hat: Die Kampfansage an die links-grüne
politisch-kulturelle Diskurshegemonie, der von der SED-PDS-Linken bis
zur Merkel-CDU alle etablierten politischen Kräfte nachlaufen.
Parteisprecher Jörg Meuthen hat diesen Pflock in seiner einführenden
Rede eingerammt: Man wolle „weg vom linksrotgrün verseuchten Deutschland
der Achtundsechziger“. Sprecherin Frauke Petry bekräftigte den Anspruch
eines Gegenentwurfs zum Establishment. Das Motto des Programmentwurfs –
„Freie Bürger sein, keine Untertanen“ – bringt den fundamentalen
Unterschied prägnant zum Ausdruck. Der Änderung der politischen
Machtverhältnisse muß eine Änderung der gesellschaftlichen vorangehen.
Die prompt wiederholten Koalitions-Absagen der etablierten Parteien
müssen die AfD deshalb nicht groß bekümmern.
Die mit Argusaugen beobachtete Islam- und Einwanderungsdebatte
markiert einen weiteren archimedischen Punkt, der geeignet ist, die
Irrwege etablierter Politik zu korrigieren. Hinter den tagespolitischen
Herausforderungen verweist das Programm auf die grundsätzliche
Problemstellung.
Wer von einem Begriff des Staatsvolks ausgeht, das mehr ist als die
Summe der zufällig auf einem Territorium anwesenden Individuen, wer
deshalb Eingliederungsbereitschaft zu einem zentralen
Einwanderungskriterium erhebt und klarstellt, daß das individuelle
Grundrecht auf Glaubens- und Religionsfreiheit keine institutionellen
Sonderrechte für „den Islam“ begründen kann, steht jedenfalls fester auf
dem Boden des Grundgesetzes als jene, die notwendige Differenzierungen
leugnen und den Souverän der Verfassung zum „völkisch-nationalistischen“
Konstrukt erklären.
Die AfD hat sich ein Programm gegeben, das freiheitliche,
konservative und patriotische Botschaften verbindet. Seine
Weiterentwicklung und Präzisierung steht als bleibende Aufgabe auf der
Tagesordnung, schon weil in Stuttgart vieles unbesprochen blieb. Daß sie
Irrtümer und Widersprüche wenn nötig auch korrigieren kann, hat die AfD
auf ihrem Parteitag ebenfalls bewiesen, als sie am zweiten
Verhandlungstag die pauschale und undifferenzierte Absage an jegliche
Einwanderung wieder zurücknahm und Qualifikation und
Integrationsbereitschaft zum Kriterium für erwünschte Einwanderung
erhob.
Auch Basisdemokratie braucht Führung und Einordnung. Klare
Stellungnahmen aus berufenem Mund hätten der Programmdebatte bisweilen
helfen können, zum Kern vorzustoßen, statt sich in Formaldebatten zu
verzetteln. Ein Beispiel dafür gab Parteivize Alexander Gauland, als er
sich gegen einen Nato-Austritt aussprach – gut bismarckisch mit Real-
und Interessenpolitik argumentierend, ohne moralisierende und
ideologische Phrasen und Universalismen. Das sind neue Töne in der
deutschen Politik. Man möchte sie nicht nur auf AfD-Parteitagen öfter zu
hören bekommen. MP am 2. 5. 2016
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