Der türkische Autokrat Erdoğan ist ein großer Empörer und Erpresser.
Er mischt gern mal die Innenpolitik anderer Länder auf, wenn er sich
über Gedichte selbst schlechtester Qualität empört. Die deutsche
Bundeskanzlerin läßt sich da zerknirscht herumschubsen und bedauert
öffentlich ihre Bemerkung über ein Schmähgedicht. Damit hoffte sie, die
Empörung zu dämpfen; die Erdoğans und die der innenpolitischen Debatte.
Aber der Deckel ist zu klein. Empörung ist, wie uns hierzulande vor
allem die Grünen seit Jahren zeigen, die Fortsetzung der Politik mit
anderen Mitteln.
Es ist ein bequemes Mittel. Das Gefühlstheater der Empörung enthebt
ihre Akteure nicht nur der lästigen Argumentiererei, die übrigens das
noch lästigere Recherchieren, Nachdenken und Abwägen voraussetzt. Es
enthebt auch der Pflicht zur Toleranz. Denn der Empörte wirkt
authentisch. Er zeigt Herz. Er gibt Zeugnis. Natürlich von seinem
Gutsein, von der vermeintlichen Wahrheit. Falls er sich mal irren
sollte, dann verzeiht man ihm, weil er so authentisch war – und irren ja
menschlich ist. Nur die Opfer der Empörung haben offenbar kein Recht
auf Irrtum. Eine Entschuldigung? Kann ja jeder sagen, ohne es zu meinen.
Der wahrhaft Empörte hat das Recht, Entschuldigungen nicht anzunehmen
und Aussagen einfach nicht zu glauben. Denn der wahrhaft Empörte lebt
vom Glauben an seine Überzeugung und sein eigenes Zeugnis. Alles andere
ist von Übel und Grund der Empörung. Wo die Logik ist? Es gibt keine.
Das ist das Schöne an der Empörung. Man braucht keine Logik. Das
Mienenspiel einer Claudia Roth reicht.
So werden ernsthafte Debatten mit Theater überlagert. Zwei Beispiele:
Mit betroffener Miene treten Politiker nach jedem Terroranschlag vor
die Kamera. Nicht daß sie fröhlich zu sein hätten, nein, im Angesicht
des Todes ist Ernsthaftigkeit angesagt. Es ist das Ritualhafte ohne
Folgen, das Zweifel an der Ernsthaftigkeit weckt. Denn wenn man es
wirklich ernst meinte, würde man auch handeln. Aber die Blutspur wird
immer länger.
Zu den Erklärungen gehört auch stets die Warnung: „Der Terror hat
nichts mit dem Islam zu tun.“ Hat er aber doch. Denn es sind stets
islamisch motivierte Täter. Wer es wagt, auf diesen „Link“ hinzuweisen,
der wird mit der Miene des Abscheus als islamophob oder gleich als
rechtsgerichtet geächtet. Denken ist verboten, Empörung geboten beim
Thema Islam in Deutschland.
Zweites Beispiel: die mediale Verleumdung der AfD. Man muß diese
Partei nicht mögen oder wählen, aber eine Auseinandersetzung mit ihr ist
unlauter, wenn man nur Wortfetzen oder Versatzstücke aus dem Programm
heranzieht, wie das die Süddeutsche Zeitung tat, deren Artikel bezeichnenderweise von der Internetseite der ARD kritiklos weiterverbreitet wurde. Das ist Mainstream-Kollaboration.
Der Artikel selbst schürte Stimmung nach dem simplen
Manipulationsmotto: Ich setze eine These in die Welt und warne vor ihren
Folgen. So wolle die AfD die Pressefreiheit einschränken, das
Grundgesetz auf den Kopf stellen, eine Art Militärstaat aufbauen. Es
wird suggeriert, daß die neue Partei rechts aus dem Verfassungsbogen
heraustrete.
Kein Wort von dem Beschluß des Parteivorstands, den Landesverband
Saarland aufzulösen wegen zu goßer Nähe zur NPD, oder von dem
kategorischen Nein des Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen, mit der
Pegida-Bewegung zusammenzuarbeiten. Das Pamphlet der Süddeutschen gipfelt in dem absurden Titel: „Wie die AfD die Bundesrepublik abschaffen will“. Wer sich da nicht empört …
Aber auch in der Kirche empört man sich über die Partei, die immerhin
13 bis 15 Prozent der Bundesbürger wählen wollen, mehr Menschen als
sonntags in die Kirche gehen. In einer Fastenpredigt über die
Barmherzigkeit echauffiert sich ein politisch interessierter Pastor gar
über die AfD. Diese Partei sei „blasphemisch, diabolisch, pervers“. Sie
propagiere einen „Schießbefehl“, sie rufe indirekt zu Gewalt gegen
Fremde auf, sie sei „für Christen nicht wählbar“.
Das ist Empörungskultur vom feinsten, denn sie wird theologisch
überhöht. Es gehört heute zum guten Ton in den etablierten
Mainstream-Kreisen, Millionen Wähler zu ächten. In der Politik reicht
das aber nicht. Denn auch Ächtung ersetzt nicht das Argument, es ersetzt
nicht den Dialog. Wer auf den Dialog verzichtet, ist nicht mehr offen,
auch nicht für die Wahrheit.
Und natürlich sind die asozialen Plattformen des Internets keine
wirklichen Dialogformen, im Gegenteil, die isolierte Haltung der
„Gesprächspartner“ – jeder vor seinem Schirm – begünstigt die Empörung.
Das Internet ist die Empörungsbörse schlechthin, in ihm werden Debatten
zum Tribunal, das unverzüglich Opfer verlangt, einen Rücktritt wovon
auch immer. In ihm schlagen Diskurse in Feldzüge um, seine Plattformen
sind Pranger. Die Empörten des Internets sind meist anonym, sprich
feige. An ihnen orientieren sich viele Politiker.
Dialog setzt die Anerkennung eines Grundkonsenses voraus, zumindest
die Anerkennung des Dialogpartners als Mensch. Nihilisten und Totalitäre
aber verweigern sich dieser Anerkennung. Sie haben keine Idee mehr oder
nur eine. Sie sind die ton-, besser: Mißtöne angebenden Wortführer der
neuen politischen Unkultur. Was wir dringend brauchen sind dialogbereite
und dialogfähige, am Gemeinwohl und nicht nur am Parteiwohl oder
Meinwohl interessierte Politiker. Denn wenn der wahre Dialog versiegt,
bekommen wir eine Gesellschaft der empörten Mitläufer.
Wohin das führt, hat die Geschichte mehrfach gezeigt. „Zivilisationen
gehen nicht unter, sie begehen Selbstmord“, konstatierte der
Kulturhistoriker und Geschichtsphilosoph Arnold Toynbee. Unsere Zeit
trägt suizidale Züge. Die Grimasse der Empörung gehört dazu. Jürgen Liminski am 1. Mai in der JF
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