Der Film ist ein wahres Musterbeispiel für die Willkommenskultur. Produziert hat ihn, im Auftrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die Miramedia in Hamburg Anfang 2014. Auf ihrer Homepage verkündet die Produktionsfirma, wie ihre Auftraggeber am besten „Ihre Kunden und Absatzmärkte filmisch ansprechen und erreichen können“. In diesem Fall die potenziellen Kunden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF): „Keine Lösung von der Stange, sondern individuelle Botschaften und Filme, die helfen zu überzeugen – von Ihrem Unternehmen und Ihrem Produkt.“
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Das zu verkaufende Produkt ist offenbar Asyl in Deutschland. Deshalb wurde der Film auch in alle Sprachen potenzieller Kunden übersetzt, darunter Albanisch, Arabisch, Russisch, Arabisch, Dari, Farsi, Patschu und Serbisch. Er schildert in 17 Minuten die fiktive Fluchtgeschichte eines jungen Asylsuchenden aus Irak, gespielt von einem Schauspieler, und wird laut Homepage des Produzenten überall in Deutschland zur Beratung von Asylsuchenden eingesetzt. Im weltweiten Netz wird er zum Werbefilm für das gelobte Deutschland.
Der Hauptdarsteller, ein gut aussehender junger Mann mit gepflegtem Dreitagebart, erscheint bei bestem Wetter munteren Schrittes vor der Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, er ist offenbar der Einzige, der an diesem Tag Asyl sucht, nicht einer von Hunderten oder Tausenden, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Er sagt: „Mein Name ist Abbas, ich komme aus dem Irak. In meiner Heimat kann ich nicht mehr leben. Ich würde dort verfolgt und meine Familie bedroht. Daher möchte ich in Deutschland Asyl beantragen, und ich hoffe, hier ein sicheres Leben zu führen.“
Der fiktive Flüchtling sagt nichts darüber, wie er bis hierher gekommen ist. Nur: „Bei meiner Ankunft in Deutschland habe ich mich gleich an eine Polizeidienststelle gewandt.“ Dann habe man ihn noch einmal auf eine weite Zugfahrt zu einer Aufnahmeeinrichtung geschickt. Eine Karte wird eingeblendet, auf der diese verzeichnet ist.
Abbas wird von einer blonden Mitarbeiterin im FDJ-blauen Hemd freundlich begrüßt: „Guten Morgen, wie kann ich Ihnen helfen, haben Sie Dokumente dabei? Documents?“ Abbas zeigt ihr seine Bescheinigung und wird in die „Erstaufnahmeeinrichtung“ geführt, wo er von zwei Mitarbeitern per Handschlag freudig begrüßt wird. Einer spricht sogar seine Sprache.
Man überreicht ihm eine durchsichtige Plastiktüte mit Klopapier und anderen Hygieneartikeln sowie Bettwäsche und geleitet ihn zu seinem Zimmer. Dort sind noch zwei oder drei andere Asylbewerber, alles junge Männer, untergebracht. Einer von ihnen spricht seine Sprache und bietet Hilfe an. Im Zeitraffer ziehen Wolken durch die Abendstimmung. Abbas schläft: „Ich bin froh, nach meiner langen Reise endlich ein Dach über dem Kopf zu haben.“
Am nächsten Tag meldet Abbas sich in der zentralen Ausländerbehörde als Asylsuchender. Er wird gemessen und fotografiert. Eine Mitarbeiterin stellt eine neue Bescheinigung aus, seinen Ausweis für die erste Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung. Dann wird er zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschickt. „Dort muss ich als nächstes meinen Asylantrag stellen. Einen Termin dafür bekomme ich zugeschickt“, spricht Abbas im Off-Ton.
Sogar die Speisen sind mit der Religion vereinbar
„Obwohl die Mitarbeiterin meine Sprache nicht spricht und ich nur ein paar Worte Englisch kann, schaffen wir es trotzdem, uns zu verständigen“. Die heile Welt des BAMF:Mitarbeiterin: „Wait in the waiting room …“
Abbas: „Ok.“
Ohne größere Wartezeit wird Abbas von einem Arzt mit langem grauen Hippiezopf untersucht.
Abbas strahlt: „Bei mir ist zum Glück alles in Ordnung, ich bin gesund.“ Jetzt wird er zu Tisch gebeten. Auch hier ist alles vom Besten. Abbas stellt fest: „Bei der Zubereitung der Gerichte wird auf religiöse Speisevorschriften Rücksicht genommen.“
Streitigkeiten unter politisch oder religiös unterschiedlichen Asylbewerbern gibt es nicht. Es reißt auch niemand Seiten aus einem Koran und spült sie in der Toilette herunter, was zu heftigen Auseinandersetzungen bis hin zum Mordversuch führt. Und auch sonst ist alles Friede, Freundschaft, Eierkuchen. Er freut sich, hier andere Asylsuchende kennenzulernen. Schon nach etwa einer Woche bekommt er einem Termin für seine Antragstellung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Er meldet sich bei einer freundlichen Pförtnerin im Blauhemd.
Ein Dolmetscher ist dabei. Abbas bekommt gesagt, dass er für die Dauer seines Asylverfahrens in Deutschland bleiben kann. Dazu einen Zettel, auf dem – mehrsprachig übersetzt – Namen und Adressen von Organisationen stehen, an die er sich wenden kann. Abbas sagt: „Das hilft mir sehr.“
Danach nimmt eine Mitarbeiterin seine Daten auf. Außerdem nimmt sie seine Fingerabdrücke. Abbas erfährt: „Sie werden genommen, um meine Identität zu sichern und zu überprüfen, ob ich bereits in einem anderen europäischen Land oder schon früher einmal in Deutschland Asyl beantragt habe. In Europa gilt die Regel, dass immer das Land für mich zuständig ist, in dem ich zuerst angekommen bin. Daher werden meine Informationen im Computer mit internationalen Datenbanken abgeglichen.“
Fehlt noch die Anhörung. „Dort kann ich erzählen, warum ich in Deutschland Asyl beantragen möchte“, sagt Abbas. Er nutzt die Zeit, um andere Asylsuchende besser kennenzulernen und mehr über Deutschland zu erfahren. Dazu spielt er Tischtennis und blättert auf einer Parkbank in einem Atlas. Dann geht es zur Anhörung. Er ist gespannt, was ihn erwartet: „In meiner Heimat habe ich mit Behörden weniger gute Erfahrungen gemacht. Wie wird es hier sein?“
Eine Entscheiderin des Bundesamtes, eine junge, gut aussehende Frau, wird seinen Asylantrag bearbeiten. Sie bietet ihm ein Glas Wasser an.
„Wie geht es Ihnen, Herr Abbas?“
„Gut.“
„Haben Sie sich schon gut eingelebt in Deutschland?“
„Ja, sogar ich etwas Deutsch gelernt habe.“
„Sie fühlen sich gesundheitlich in der Lage, diese Anhörung heute durchzuführen?“
„Ja, ich hab keine Probleme.“
„Herr Abbas, bitte berichten Sie mir jetzt alle Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben. Ich bin die Person, die über Ihren Asylantrag … .“
Abbas Stimme erklärt aus dem Off: „Dann bittet sie mich, meine Fluchtgeschichte zu erzählen und alle Belege für meine Schilderungen vorzulegen.“
„… alles streng vertraulich.“
Abbas im Film: „Jetzt ist es soweit. Ich muss über das sprechen, was ich eigentlich für immer vergessen wollte. Aber die Entscheiderin beruhigt mich mit ihrer freundlichen Art und gibt mir Sicherheit.“
Zögern und etwas stotternd berichtet Abbas nun auf Arabisch über seinen Leidensweg. Der Dolmetscher übersetzt: „Ich möchte in Deutschland Asyl beantragen, weil ich in meinem Heimatland verfolgt wurde. Die Situation war so schlimm, sodass ich um mein Leben fürchten musste.“
Zum Schluss ein Spaziergang an der Elbe
Im Film geht Abbas jetzt erst einmal am Strand der Elbe spazieren. Er fasst noch einmal die Etappen seiner Asylbewerbung zusammen. Dann blickt er in die untergehende Sonne. Ein Nachspann läuft:
„Bei den in diesem Film gezeigten Schutzsuchenden handelt es sich um Schauspieler mit einer erfundenen Fluchtgeschichte. Alle zu sehenden Situationen wurden gestellt, um den Prozess des Asylverfahrens zu zeigen.“
Der Film stammt aus dem November 2014, Auftraggeber ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kofinanziert wurde er vom Europäischen Flüchtlingsfonds.
Soweit die Theorie, hochauflösend dargestellt in einem Werbefilm. Die Praxis ist jeden Tag im Fernsehen zu sehen. Welcome to Germany. Hier werden Sie geholfen! Da wollte das Bundesinnenministerium offenbar nicht ganz tatenlos zuschauen.
Diesen Sommer ließ es einen eigenen Film herstellen. Der warnte einen Teil der Adressaten des Willkommensfilms vor der Einreise. Darin wird eine Gruppe von Flüchtlingen bei Regenwetter von Beamten in einen Polizeibus begleitet. Die Suche nach Arbeit, heißt es in dem Film, werde in Deutschland nicht als Asylgrund anerkannt, und die Wahrscheinlichkeit für Menschen aus dem Westbalkan, in Deutschland Asyl zu erhalten, sei äußerst gering. Wer das Land nach Ablehnung des Asylantrages nicht verlasse, müsse damit rechnen, „zwangsweise und gegebenenfalls in Begleitung durch die Polizei abgeschoben zu werden“.
Dabei sieht man unter anderem eine Familie mit zwei kleinen Kindern bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. „Die hohen Kosten der Abschiebung von meist vielen Tausend Euro werden dann dem Abgeschobenen in Rechnung gestellt und können noch nach vielen Jahren eingefordert werden“, warnt die Stimme aus dem Off. „Ruinieren Sie nicht sich und Ihre Familie.“
Der Film mit dem Titel „Rückführung in die Westbalkanstaaten“ steht ebenfalls in mehreren Sprachen auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums. Verglichen mit der derzeitigen Abschieberealität ist dieses Abschreckungsvideo genauso unrealistisch. Stefan Aust
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