Eines der wichtigsten Wochenereignisse bestand
darin, dass die „Petition 2018“ trotz passiven Widerstands durch den
müden Bundestagsserver das nötige Quorum von 50 000 Unterschriften schon
einmal elektronisch erreichte (die Unterschriften per Brief sind noch
ungezählt).
Damit gibt es einen weiteren bescheidenen Beleg für den
Strukturwandel der Öffentlichkeit, der von Jürgen Habermas seinerzeit –
also 1962 – so natürlich nicht vorausgeahnt wurde und selbstredend nie
so gemeint war. Dieser Strukturwandel
des digitalen Zeitalters erlaubt es nämlich jedem selbsternannten Hinz
& Kunz, mit einem minimalen finanziellen und technischen Aufwand,
ein eigenes Medium zu gründen wie die Acta Diurna,
Tichys Einblick und Publico, und damit Hunderttausende zu erreichen, es
erlaubt die Verbreitung erst eines Aufrufs und dann einer Petition in
Nullkommanichts und vor allem, ohne die früheren Torwächter der
Öffentlichkeit auch nur in cc setzen zu müssen. Ein Torwächter, diese
Erfahrung mussten schon am 9. November 1989 viele Schicksalsgenossen
machen, zieht seine Macht und Herrlichkeit nun mal daraus, dass jenseits
seiner Torpfosten eine Sperranlage dräut. In dem Moment, in dem jeder
einfach hinüberklettern respektive durchmarschieren kann beziehungsweise
schon große Stücke aus dem Beton bricht, steht er da wie Max in der
Sonne, die sein Passierscheinstempelkissen austrocknet.
Deshalb
das überaus aufgeregte Zetern und Federn, sobald die Qualitätspresse
etwas über die Erklärung 2018 schreibt oder sendet: Ihre Vertreter
verstehen schon, was der Gong geschlagen hat, wenn es plötzlich eine
politische Bewegung gibt, die nicht nur nie durch den Filter der
traditionellen Medien gegangen ist, sondern sich einen feuchten Holunder
um die traditionellen Medien überhaupt schert.
Neuerdings muss
deshalb in jeder gewichtigen Wortmeldung ein neuer Topos vorkommen, oder
wie es in Berlin Mitte heißt, ein Narrativ: das Dings, das Internet
gefährdet die Demokratie. In der Süddeutschen Zeitung vom 15. Mai 2018
führt der ehemalige Regierungssprecher und Intendant des Bayerischen
Rundfunks Ulrich Wilhelm diese Besorgnis en detail aus:
„Natürlich
schwindet die Demokratie nicht über Nacht. Allerdings nimmt die
Polarisierung zu: Immer mehr Teil-Öffentlichkeiten entstehen, die sich
aufputschen mit Emotionen, und an ihre eigenen einfachen Lösungen
glauben. Ohne die Parallele zu weit zu treiben: Weimar hatte zu wenig
verbindende Öffentlichkeit und viel zersplitterte Medien, die identisch
waren mit bestimmten Partei-Sichten.“
Die Theorie, dass die
Weimarer Republik an zu viel Medienvielfalt zugrunde ging, ist im Rahmen
der intellektuellen Möglichkeiten eines Ulrich Wilhelm nicht völlig
unoriginell. Vor kurzem schrieb der unentwegt warnende Publizist Harald
Welzer in der ZEIT vom 30. Mai von der „fast in jeder Hinsicht hervorragend funktionierenden Bundesrepublik der Gegenwart“, von der „Menschenfeindlichkeit“ der Erklärung 2018 und von „1933“, um dann die eigentlich wichtige Botschaft in einen Halbsatz zu packen, nämlich die von der „Demokratiegefährdung durch die Digitalisierung“.
Zudummerletzt soll hier noch die Berliner CDU-Vorsitzende Monika Grütters zitiert werden:
„Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann.“
Zumindest
die gelenkte Demokratie. Deshalb gibt es ja ein vehementes Interesse an
Heiko Maas’ Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Weißrussland. Sollte es
demnächst von einem rechtspopulistischen Bundesverfassungsgericht gekippt werden, bekäme es immer noch Asyl in Minsk. Monika Grütters auch.
Publico
feiert übrigens seit diesem Wochenende den zweimillionsten Seitenabruf
seit seiner Gründung im November 2017. Viele der mehr als 400 000 Leser
finanzieren die Seite auch so gut, dass selbst die Kosten für die
Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung ihre Schrecken verlieren. Dafür
(für die Finanzierung) herzlichen Dank. Die Seite besitzt eine solide
Firewall, sie ist in den USA gehostet, und ihre Reichweite wächst
umgekehrt proportional zur Glaubwürdigkeit besorgter ARD- und
CDU-Funktionäre. „Wat willste machen?“ (Lukas Podolski).
Nach
der Ermordung von Susanna F. durch einen Verfolgungssimulanten aus dem
Irak, der dann wirklich zum Flüchtling wurde, nach dieser Tat also
erklärte ein Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion den größten Teil seiner
Redezeit zur Schweigeminute für das getötete Mädchen. Was die
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth subito unterband.
Nun meinten nicht wenige wohlgesinnte Leute in den sozialen Medien, die
Schweigeminute sei unter Umgehung der Bundestagsgeschäftsordnung ins
Parlament gedrückt worden; damit habe die AfD also gegen die
Geschäftsordnung verstoßen.
In einem Land, in dem die geltenden
Einreiseregeln durchgesetzt würden, indem es undenkbar wäre, dass ein
Messerfuchtler trotz erwiesener Gemeingefährlichkeit und abgelehntem
Asylantrag weiter bleiben und dann nach einem kulturellen Clash samt
Sippe unter falschem Namen ins Flugzeug steigen kann, um in das Land zu
fliehen, in dem er angeblich bedroht ist, in einem Land, in dem ein
Hinterherwackeln hinter der Lautsprecherparole „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“
nie und nimmer zu einem Versorgungsposten als stellvertretende
Bundestagspräsidentin führen würde, in einem solchen Land wäre der
Hinweis auf die Formalie der Geschäftsordnung berechtigt. In einem
anderen Land nicht. An dieser Stelle soll noch einmal Wiglaf Drostes
Kurzcharakterisierung von C. Roth zitiert werden:
„Die Frau
ist eine intellektuell befreite Zone. Ihr Auftritt verströmt die
Ästhetik einer Butterfahrt mit anschließendem Heizdeckenverkauf. Alles,
worüber sie spricht, macht sie zu einer angeblich ganz persönlichen
Angelegenheit, Tränenfluss, brüchiges Timbre und großgestiges
Um-die-Welt-besorgt-Sein-Gehampel inklusive. So geht ihr Spiel: Sie
äußert sich hochbewegt jaulend, schlammig menschelnd und geistfrei
edelkitschend, jede Kritik daran aber versucht sie plump mit dem Hinweis
auf angebliche Unsachlichkeit auszuhebeln. Ich habe viel für Naivität
im Sinne von Natürlichkeit übrig, aber so naiv, einer gewohnheitsmäßig
aufgepeitschten Betroffenheitsnudel auf eine Sachebene zu helfen, bin
ich dann doch nicht.
In den Achtzigerjahren wäre sie mit der Nummer
durchgekommen, heute aber zieht der Ranz nur noch bei den ganz
Schlichten. „Ihre Knie“ hätten „richtig nachgegeben“, weinte sie in die
Zeitung hinein, um einen Augenblick später zu beklagen, dass sie als
„emotionsgeleitet beschrieben“ werde. Geht es noch ausgepichter?
An
Claudia Roth stimmt wahrhaft nichts. An dieser Person ist, mit dem von
ihr zu Tode zitierten Rio Reiser gesprochen, ganz und gar alles Lüge.
Habituell verinnerlicht hat sie das willfährige Hin-und-her-Switchen
zwischen öffentlicher und privater Rolle. Die Bayreuther
Wagner-Festpiele besuchte sie in so heillos aufgemaschelter Garderobe,
dass im Umkreis von 30 Kilometern die Blindenhunde knurrten.
Dass
ich von dieser existenziell durchlogenen Gebrauchtemotionshökerin
garantiert kein öliges Grabgebinde nachgeworfen bekommen werde, hat
nicht wenig Trost.
In dieser eiernden Lebenshaltung, die streng
genommen keine ist, repräsentiert die grüne Sauerfrau ihre Partei
perfekt. Doch heiter stimmt uns die Demokratie: Wer genau das will, kann
genau das wählen.“
Ganz schnell noch ein Service für
diejenigen, die den Sender von Ulrich Wilhelm und artverwandten
Demokratieabgabenfunk nicht verfolgen: Auf den Nazitatort über völkische
Aussteiger im Schwarzwald («Sonnenwende»), die auf den Weltuntergang
wartenden Kryptonazis an der deutsch-polnischen Grenze («Demokratie
stirbt in Finsternis») oder die zum Äußersten entschlossenen bayrischen
Reichsbürger («Freies Land») folgte in dieser Woche der Polizeiruf „In
Flammen“. Eine rechtspopulistische Politikerin wird umgebracht, aber die
Täter sitzen, Überraschung, ganz woanders.
Zahlen müssen für
diese Werke selbstredend fast alle, sofern sie nicht gerade zu den
GEZ-Verweigerern gehören. Ein Durchsetzungsgesetz, das Bürger
verpflichtet, dieses von Angstschweiß existenziell durchzogene Zeugs
auch noch wegzugucken, ein solches Gesetz fehlt schmerzlich. Und kommt
auch nicht mehr.
Wenn Claudia Roth, Monika Grütters und all die
anderen ununterscheidbaren Stützen der Gesellschaft einmal etwas über
den Umschlag von Quantität in Qualität nachlesen und verstehen würden,
dann wüssten sie auch, warum. Wendt
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