Stationen

Sonntag, 4. Juli 2021

Bargeld ist gedruckte Freiheit

Interview mit dem Volkswirt und Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring.

Herr Dr. Häring, gerade in Ländern wie Deutschland und Österreich gilt: „Cash is king“. Worin liegen die Vorzüge des Bargelds?

Bargeld hat viele Vorteile, von leichter und kostenloser Nutzbarkeit über Unabhängigkeit von Stromversorgung und Technik, die ausfallen können, bis dahin, dass es echtes staatliches Geld ist. Das Bankguthaben, mit dem wir digital bezahlen, ist rechtlich bloß ein Kredit an die Bank, ein Anspruch auf Bargeld. Der kann weg sein, wenn die Bank pleite geht. Der für mich mit Abstand wichtigste Vorteil des Bargelds besteht darin, dass niemand speichert und überwacht, wo man bei jedem Bezahlvorgang war, was man gekauft oder getan hat und was es gekostet hat.

Die meisten machen sich keinen Begriff davon, wie intensiv die Überwachung des digitalen Geldverkehrs ist. Jede Zahlung läuft in unserem Bankkonto auf und muss dort jahrzehntelang gespeichert und laufend analysiert werden. Wenn es kein Bargeld mehr gibt, oder wir freiwillig alles digital bezahlen, dann enthält unsere Kontoinformation ein fast vollständiges Abbild dessen, was wir in den letzten Jahrzehnten wo mit wem getan haben.

Das gibt es sonst nicht so an einer Stelle versammelt. Auch wenn wir das meiste digital bezahlen, ist es trotzdem von unschätzbarem Wert für die Privatsphäre, wenn wir entscheiden können, manches doch überwachungslos zu bezahlen. Diese Möglichkeit erlaubt uns, sensible Dinge für uns zu behalten und entwertet die Dossiers über uns, die bei der Bank und den Zahlungsdienstleistern liegen, ganz erheblich. Denn diese sind dann nicht vollständig.

Gegen das Barzahlen werden verschiedene Argumente ins Feld geführt. Insbesondere erleichtere es verbotene Transaktionen (Geldwäsche, Terrorismus, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Drogenhandel …).

Das stimmt bis zu einem gewissen Grad. In einem totalen Überwachungsstaat ist Kriminalität schwieriger. Privatsphäre ermöglicht es bösen Menschen, böse Dinge zu tun. Wer aus diesem Grund die Privatsphäre ganz abschaffen möchte, der soll von mir aus auch das Bargeld abschaffen, wenn er eine Mehrheit dafür bekommt. Tatsächlich sind viele der Argumente erkennbar vorgeschoben. Das sieht man an den Prioritäten. Banken und multinationale Konzerne verschieben Geld in Millionen- und Milliardenvolumen in Steueroasen und verschleiern seine Herkunft. Dagegen wird kaum ernsthaft vorgegangen. In Hessen wurden Steuerfahnder, die dagegen vorgehen wollten, als unzurechnungsfähig aus dem Amt entfernt. Aber wegen des Risikos, dass jemand mit Schwarzgeld seine Terrasse fliesen lassen könnte, soll die finanzielle Privatsphäre weitgehend beseitigt werden.
„Bei uns wissen die Bürger sehr gut, was sie am Bargeld haben.“

Terrorismusfinanzierung ist aber schon ein etwas größeres Problem, oder nicht?

Terrorismus schon, Terrorismusfinanzierung mit Bargeld nicht. Es wird kein Terroranschlag verhindert, wenn Terroristen eine Karte nehmen müssen, um ihr Hotel oder ihren Mietwagen zu buchen. Da geht es nur darum, im Nachhinein Netzwerke ermitteln zu können. Aber die Terroranschläge der letzten Jahre in Deutschland und benachbarten Ländern wurden alle von Menschen ausgeführt, die schon lange im Radar der Sicherheitsbehörden waren. Solange dort mit den bekannten Informationen so inkompetent umgegangen wird, braucht man wirklich nicht so tun, als würde etwas besser werden, wenn man allen die Bargeldnutzung erschwert.

Und Bargeld soll eine Virenschleuder sein. In der Corona-Krise bitten zum Beispiel Supermärkte ihre Kunden um Kartenzahlung. Wie sehen Sie das?

Das ist ein Argument, das besonders die Banken in Zeiten der Corona-Pandemie in oft ganz kruder Weise verbreiten. Den Banken ist Bargeld lästig, zum einen, weil die Regulierung den Umgang damit für sie sehr teuer gemacht hat. Zum andern aber auch, weil Bargeld eine Möglichkeit für Kunden ist, ihr Geld aus dem Bankensystem abzuziehen. Wenn es kein Bargeld mehr gäbe, könnten sie mit noch größeren Finanzwetten ein noch größeres Rad drehen, ohne fürchten zu müssen, dass die Bürger bei ersten Anzeichen von Problemen massenhaft die Konten leermachen. Da ist jedes Argument recht. Dabei ergeben Studien immer wieder, dass Bargeld kein relevanter Übertragungskanal zu sein scheint. Die Bundesbank hat das mehrfach betont. Besonders wild treibt es die ING, die zum Beleg für ihre Warnungen an alle ihre Kunden vor dem Bargeld eine mehrere Jahre alte Studie aus den USA anführt, von der es nur Vorabberichte in den Medien gibt, weil sie nämlich nie veröffentlicht wurde.

Wodurch ist das Barzahlen bedroht, welche Einschränkungen betreffen uns?

Bei uns wissen die Bürger sehr gut, was sie am Bargeld haben, deshalb traut sich niemand, offen vorzugehen. Die Strategie besteht vielmehr darin, digitales Bezahlen zu begünstigen oder gar zu subventionieren, Bargeld aber teurer und unbequemer zu machen und ihm einen schlechten Leumund zu verpassen, damit es immer weniger genutzt wird. Dazu dienen ansonsten absurde EU-Regeln wie die, dass Banken jede Münze, die bei ihnen ankommt – und sei es eine Ein-Cent-Münze –, aufwändig auf Echtheit prüfen müssen. Das macht das Bargeldhandling teuer. Banken weigern sich deshalb, von Privatleuten Münzen anzunehmen und verlangen von Händlern viel Geld dafür. Das verleidet den Händlern die Lust am Bargeld.

Ein anderes Beispiel ist das Gesetz, das es Händlern verbietet, von kartenzahlenden Kunden einen Aufschlag für die Kartengebühren zu verlangen. So müssen letztlich die Kunden, die bar zahlen, diese Gebühren mitbezahlen. Mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun. Die Aufsichtsregeln für die Banken tun so, als wäre jeder Euro-Schein das größte Geldwäscherisiko überhaupt. Deshalb tätigen zum Beispiel viele Banken keine Barüberweisungen mehr. Wer sein Geld bar abheben will, muss das bei größeren Beträgen drei Arbeitstage vorher anmelden, obwohl Bankguthaben eigentlich täglich kündbar und damit auszahlbar sind. Als aus den USA entsprechende Forderungen kamen, hat die Europäische Zentralbank ganz flugs den 500-Euro-Schein abgeschafft, obwohl dessen Kaufkraft nur ein Viertel dessen beträgt, was der 1000-DM-Schein bei seiner Einführung hatte. Wenn man mit Bargeld über die Grenze will, kann man durch eine neue EU-Regulierung sogar bei anmeldefreien Beträgen unter 10.000 Euro von den Grenzern zu Herkunft und Zweck des Geldes peinlich befragt werden. Sie können das Geld sogar einziehen, wenn man sich bockig stellt.

„Es gibt eine Better Than Cash Alliance.“

Es gibt sehr viele solcher kleiner und großer Nadelstiche. Aber im übrigen Europa sieht man, wo es hingehen soll. Da wird ganz ungeniert die Barzahlung selbst von mittelgroßen Beträgen verboten, es gibt Steuerstrafen, wenn man nicht genug digital bezahlt, ja sogar eine Meldepflicht für Bargeld, das man zuhause aufbewahrt.

Woher kommt das, was steckt dahinter?

Das ist eine weltweite, von Washington aus gesteuerte Kampagne, bei der die Bundesregierung etwas widerwillig, die EU-Kommission schon sehr viel eifriger mitmacht. Es gibt in Washington eine Better Than Cash Alliance, also ein Besser-als-Bargeld-Bündnis. Gründungsmitglieder sind die US-Regierung, die Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard, Microsoft-Gründer Bill Gates und die Citibank. Erklärtes Ziel ist es, wie der Name schon sagt, weltweit das Bargeld zurückzudrängen. Dieses Bündnis kooperiert eng mit einer „Partnerschaft“ der 20 wichtigsten Regierungen (G20), die auch die US-Regierung initiiert hat. Sie heißt „Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion“. Finanzielle Inklusion ist dabei ein Tarnwort für Bargeldabschaffung. Und da sind eben auch Bundesregierung, Europäische Zentralbank und EU-Kommission dabei. Im Rahmen dieser Partnerschaft sorgen die G20 unter anderem dafür, dass die internationalen Standards für das Bankgeschäft so bargeldfeindlich wie möglich ausgestaltet werden. Da kommt es her, dass jeder Bargeldschein von den Banken so behandelt werden muss, als könne er unmittelbar den nächsten Terroranschlag finanzieren.

Hat das Bargeld auch Anhänger in der Öffentlichkeit und in Institutionen, die sich dafür einsetzen?

Die deutsche Öffentlichkeit und die in den meisten anderen Ländern auch wollen mehrheitlich auf keinen Fall auf das Bargeld verzichten. Die Bundesbank tritt öffentlich entschieden für den Erhalt des Bargelds ein, auch wenn man sich von ihr im Rahmen der G20-Partnerschaft gegen das Bargeld deutlich mehr Courage wünschen würde. Die Europäische Zentralbank war bis vor wenigen Jahren bargeldfeindlich eingestellt, ist aber inzwischen auf bargeldfreundlichen Kurs umgeschwenkt. Man hat im Zuge der brachialen weltweiten Durchsetzung von US-Finanzsanktionen gegen Länder wie Iran gemerkt, dass man sich zu sehr von den USA abhängig macht, wenn man zulässt, dass das Bargeld verschwindet, bevor man ein digitales Bezahlsystem hat, das nicht aus den USA kontrolliert wird.
„Privatsphäre der Menschen zu beseitigen“

Sie möchten Ihre Rundfunkgebühren bar entrichten und klären das seit einiger Zeit gerichtlich. Was ist der Hintergrund?

Die Rundfunkanstalten haben in Sachen Rundfunkbeitrag Rechte wie eine staatliche Behörde und handeln hoheitlich. Trotzdem nehmen sie es sich heraus, das gesetzliche Zahlungsmittel Euro-Bargeld nicht zu akzeptieren. Das machen auch immer mehr andere Behörden so. Ich habe geklagt, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass das nicht geht, dass jede staatliche Instanz das gesetzliche Zahlungsmittel akzeptieren muss, ohne Kosten und Nachteile für die Beitrags- oder Steuerpflichtigen.

Hatten Sie Erfolg?

Auf den ersten beiden Ebenen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bin ich mit wechselnden Argumenten abgebügelt worden. Das Bundesverwaltungsgericht als höchste deutsche Instanz hat mir zugestimmt, was das deutsche Recht angeht. Es hat das Verfahren allerdings an den Europäischen Gerichtshof verwiesen, um klären zu lassen, wie sich das deutsche Recht in dieser Frage zum europäischen verhält. Im Januar 2021 hat der EuGH ein ziemlich komplexes Urteil gefällt. Das Bundesverwaltungsgericht hat angekündigt, Anfang 2022 in mündlicher Verhandlung abschließend urteilen zu wollen. Auf meinem Weblog norberthaering.de kann man sich jederzeit über Verlauf und aktuellen Stand des Verfahrens informieren. Dort gibt es auch ein Dossier über das Bargeld und den Krieg gegen das Bargeld.

Welche Zukunft prognostizieren Sie dem Bargeld?

Eine Zukunft, die stark davon abhängt, wie sehr wir Deutschen und die Bürger anderer Länder bereit sind, für unsere Freiheit und unsere Privatsphäre zu kämpfen. Weil hier so vieles unmerklich und unter der Hand geschieht, ausdrücklich damit die Bürger und Wähler nicht merken, was gespielt wird, arbeite ich sehr hart daran, aufzuklären. Hier reicht der Platz nicht, um das zu beschreiben, aber die versuchte Bargeldverdrängung ist nur ein Teil einer Initiative, die daran arbeitet, die Privatsphäre und das selbstbestimmte Handeln der Menschen zu beseitigen.

Das Interview führte Christoph Lövenich für Novo-Argumente, wo dieser Beitrag auch erschien. Zuerst wurde das Interview im Novo-Buch „Bürger oder Untertan?“ abgedruckt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.