Ich habe Covid durchgemacht, kann es aber dank zweier negativer PCR-Tests nicht beweisen. Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?
„If you don’t like the vaccine, then try Covid instead.“ So lautet ein schnippischer Kommentar unter einem Tweet des Chefpanikers Karl Lauterbach, wo sich seit vielen Monaten die Jünger dieses Meisters der Schwarzmalerei mit jenen prügeln, die – um es vorsichtig zu formulieren – eher von den Coronamaßnahmen und dem medialen Sirenengeheul genervt sind als von der Krankheit selbst. Lauterbach zieht nun also seine Verzeihung an Jan Josef Liefers zurück, weil dessen „Gang nach Canossa“, also der Besuch einer Intensivstation, Liefers nicht ausreichend geläutert habe.
Als prominentes Aushängeschild von #allesdichtmachen in Ungnade gefallen und gewissermaßen auf Konsensbewährung, genügte dem Lauterbach der Abstand nicht, den Liefers zu den Verrätern zu markieren habe und auch die Lauterbachlaudatoren finden pflichtschuldig abfällige Worte des Missfallens. Der Liefers habe doch den ITS-Mitarbeitern ohnehin nur im Weg gestanden, er verbreite, die Impfung selbst gut vertragen zu haben und deute damit an, dass es auch anders sein könne, er rationalisiere die Impfung, indem er davon spreche, sich vorher kundig gemacht zu haben – als hätte er selbst nur einen Hauch von Ahnung, wovon Mediziner sprechen, und außerdem verbreite er sowieso nur „Hass und Hetze“, kurz, die Impfung sei weniger eine medizinische Maßnahme als ein Akt des Gehorsams, eine obligatorische Messe für einen neuen Gott. (An dieser Stelle dreimal „Ich folge der Wissenschaft!“ rufen und mit der linken Hand Salz auf eine schwarze Katze unter einer Leiter werfen.) War ihnen das zu zynisch? Nun, Wissenschaft, die Widerspruch ausschließt, nennt man Religion oder Aberglaube, je nach Zahl und Organisationsgrad der Anhängerschaft. Bei den Jüngern Karls des Einzigartigen ist noch nicht entschieden, wohin sich die Waage neigt.
Diese knapp zwei Minuten BILD-TV-Interview mit Liefers müssen jedenfalls die ruhigsten und sachlichst vorgetragenen Hass-und-Hetzminuten gewesen sein, die ich je sah. In der Folge des Lauterbachschen Lobesentzugs entspann sich ein regelrechter Twitterkrieg zwischen den Hashtags #dankeKarl und #esIstVorbeiKarl. Die Meinungen schwanken also stark zwischen Heiligsprechung und Verbannung.
Doch kann man leugnen, dass Liefers mit der Einschätzung richtig liegt, der gegenwärtige Druck auf Ungeimpfte stelle Nötigung oder Erpressung dar? War es nicht Lauterbach selbst, der, seiner Lieblingsbeschäftigung „Warnen“ nachgehend, noch im Juli erklärte, kostenpflichtige Coronatests seien die Impfpflicht durch die Hintertür? Das dürfe nie kommen, davor warne er? Nun, das war im Juli. Nun sind die kostenpflichtigen Tests da und sind plötzlich nicht mehr problematisch? Wenn wir eines gelernt haben in dieser Pandemie, dann dies: Die Raupe Verschwörungstheorie verpuppt sich gern in Faktenchecks, um nach drei Monaten als parlamentarisch abgesegneter Verordnungs-Schmetterling kräftig mit den Flügeln zu schlagen.
Einmal Besserwisser sein!
Ich bin mir ziemlich sicher, die Zahl derer, die nur noch wollen, dass dies alles einfach enden möge, weil niemand die 3G-Kakophonie aus Gewarne, Geschwurbel und Gezänk mehr ertragen kann, ist mindestens so hoch wie die tatsächliche Impfquote, die man praktischerweise lange als viel niedriger angab. Nur über die Art, wie es enden möge, herrscht laute Uneinigkeit. Ein Impfmandat der Sorte „Strich drunter, Spritze rein und gut ist“, wie in den Lauterbach-Kommentaren gefordert, wird aber nicht kommen, ebenso wenig wird die Politik es wagen, den Druck um die Hälse der Bürger zu lockern. Wir haben uns in einem Patt verrannt. Man braucht die Freiwilligkeit für die moralische Mithaftung, ganz gleich, mit welchen geradezu mafiösen Erpressungen sie auch zustande gekommen sein mag. Den Druck will man nicht lockern, weil dies die ultimative Legitimation des Widerstands bedeuten würde. Unsere Regierung verhandelt vielleicht mit Terroristen, jedoch nie mit ihren Bürgern! Das ist die Crux bei jedem autoritären Weg. Einmal eingeschlagen, muss er immer bis zum Ende gegangen werden. Erst zum Ende der Freiheit und dann dem Ende der autoritären Idee selbst. Leider können zwischen beiden Enden oft Jahrzehnte liegen.
In der Zwischenzeit setzt man auf die Vergesslichkeit der Bürger, und wer sich darüber beklagt, dass heute unwidersprochen gelten solle, was gestern noch abgestritten und als Verschwörung gegeißelt wurde, der wird – wenn er Glück hat – mit dem Hinweis auf die voranschreitende Wissenschaft abgespeist. Meist aber – weil es schneller geht und Nachfragen und Widerspruch abschneidet – gleich persönlich angegangen und als Covidiot, Schwurbler oder sonstwas diskreditiert. Jede noch so dämliche Anschmutzung geht sogleich als Beweis durch, ein Fest für intellektuelle Minderleister, die sich berufen fühlen, ihren Mitmenschen mit „Lass dich endlich impfen, du Sau“-Ratschlägen auf die Nerven zu gehen. Einmal Besserwisser sein, einmal moralisches Oberwasser saufen, einmal auf die herabschauen, die ihr Wissen nicht löffelweise aus Tagesschau, taz und Heute-Show holen!
Lauterbachs Fans loben seine auf Studien basierenden Argumente und blenden mühelos aus, dass andere Studien zu ganz anderen Ergebnissen kommen und dass sich ihr Meister oft im eigenen argumentativen Netz verfängt und in Verlegenheit gerät wie neulich bei Maischberger. Solche Inkonsistenzen lassen sich im Netz natürlich mühelos ignorieren, inhaltliche Debatten erübrigen sich, und wenn ein erhobener Mittelfinger das Argument ersetzt, reagiert die andere Seite letztlich auf demselben Niveau. Man kann nicht mehr miteinander reden, also versucht man es auch nicht mehr mit Rede, sondern brüllt sich nur noch nieder. Da in etwa stehen wir gerade, und auf dem Weg dorthin entstanden Risse, die sich zu kontinentalen Grabenbrüchen ausgeweitet haben.
Was kann ich wissen?
Kurz vor Weihnachten war es, als die Rückenschmerzen begannen, sehr merkwürdige Rückenschmerzen, nicht die einer Verspannung oder Überanstrengung. Unmöglich, eine Lage zu finden, die den Schmerz erträglicher werden ließ. Es folgten Gelenkschmerzen und Mattigkeit. Husten und Atemprobleme kamen hinzu, als ich bereits mit Fieber im Bett lag. Nach zwei Tagen und weil inzwischen auch noch Geschmacksirritationen hinzukamen – alles schmeckte nach Metall, lediglich Mineralwasser bildete eine Ausnahme, das schmeckte nämlich nach Zuckersirup –, Termin zum PCR-Test. Ich lag mit allen Symptomen und im Dämmerschlaf im Bett und drückte das Fieber mühsam mit Paracetamol runter, als das Ergebnis am nächsten Tag eintraf: Covid negativ. Das kam unserem Gesundheitsamt angesichts meiner Angaben beim Test reichlich seltsam vor und man forderte mich zu einem zweiten PCR-Test auf. Erneut mit negativem Ergebnis. Die Weihnachtszeit in Quarantäne verbringend, brauchte ich etwa zwei Wochen, um wieder auf die Beine zu kommen. Zwar war ich mir sicher, eine Covid-Infektion durchgemacht zu haben, aber was wusste ich schon, ich bin ja kein PCR-Test!
Der Januar brachte die Ausrollung der vermeintlichen Wundermittel, die besonders gefährdeten Gruppen krempelten in echt, Prominente nur in Simulation die Ärmel hoch. Bei meinem Besuch fand ich meinen Hausarzt in entspannter Stimmung. Meine Frage nach der Impfung, die damals noch stark verknappt war, ließ ihn nur abwinken. Erst mal abwarten, keine Gefahr für Sie, wahrscheinlich hatten Sie es ja ohnehin schon, und überhaupt sei es viel wichtiger, sich statt gegen Corona gegen Pneumokokken zu immunisieren, schon weil kritische Covid-Verläufen häufig bakteriologische Lungenentzündungen entweder begünstigen oder am Ende noch „on top“ hinzukämen. Ein durch und durch rationales und offenes Arzt-Patient-Gespräch mit Risikobewertung. Impfung ja, aber eben nicht die gegen Covid.
Der Frühling kam, der Lockdown blieb. Die Covid-Impfungen wurden ausgeweitet und in meinem Umfeld häuften sich Nebenwirkungen und Fälle von „geimpft und trotzdem krank“. Nichts Ernstes zum Glück, aber ich wollte mich vor meiner Entscheidung noch mal mit meinem Arzt beraten. Welcher Impfstoff wird empfohlen, welche Reaktionen muss ich aufgrund von Allergien und anderen Vorerkrankungen gewärtigen, was empfiehlt er, solle ich tun angesichts dieser Impfhysterie. Berechtigte Fragen, wie ich fand. Und da war ja noch meine mysteriöse von zwei negativen PCR-Tests eingerahmte Weihnachtsunpässlichkeit…
Genesen, aber nicht dokumentiert
Im August saß ich also wieder bei meinem Arzt, der mir wie ein anderer Mensch erschien. Antikörpertest? Ja, könne er veranlassen. Kostet aber. Kein Problem, sage ich. Welchen Impfstoff er empfehle? Wir verimpfen hier ohnehin nur BioNTech, alles andere seien nur „Nischenprodukte“. Ob ich womöglich in eine dieser Nischen passen würde, weiß er nicht. Bleibt die Frage nach meinem individuellen Risiko aufgrund… – weiter kam ich nicht. Das Risiko müsse man ohnehin gesamtstatistisch betrachten. Die Schwerkraft zog hart an meinem Unterkiefer. Denn wenn ich gesamtstatistische Betrachtungen wünsche, unterhalte ich mich für gewöhnlich nicht mit Ärzten, sondern mit Mathematikern.
Den Antikörpertest ließ ich noch machen und als ich das Ergebnis in den Händen hielt, holte ich mir interpretative Hilfe bei anderen Medizinern. Dass meine „Episode“ aus Dezember 2020 eine Covid-Infektion war, steht demnach fest. Die gemessene Menge entsprechender Antikörper belege das. Weil der Wert aber nach fast neun Monaten noch so absurd hoch ist, sei es mindestens wahrscheinlich, dass ich einen weiteren Kontakt zum Virus hatte. Falls dies so ist, hat mein Immunsystem mir diesmal nichts davon mitgeteilt. Ich bin also im besten Sinne des Wortes eines der begehrten „G“, nämlich genesen und bin es doch – eingerahmt von zwei falsch negativen PCR-Tests – gemäß den geltenden Bestimmungen – nur illegalerweise.
Also doch „Strich drunter, Spritze rein und gut ist“? Also doch die „gesamtstatistische Betrachtung“, Kolben müssen gedrückt werden für den Sieg? Danke, aber „nein danke“! Ganz einfach deshalb, weil ich mit Stand heute – wer kennt schon die Zukunft – die erste der Kant’schen Fragen, die nach dem Wissen, wie folgt beantworte: Ich bin ganz offensichtlich den „…then try Covid instead“-Weg gegangen. Zweifellos kein angenehmer Weg, so viel kann ich für meinen Fall sagen, aber gemäß Studien – wie dieser der Yale University – schützt eine natürlich erworbene Immunität immerhin fünf bis 13-mal besser vor schweren Verläufen als die bisher verfügbaren Impfungen. Gewiss, die erworbene Immunität lässt mit der Zeit nach, aber das tut der Schutz durch die Impfung ja schließlich auch.
Sicher ist hingegen, dass es – wissenschaftlich betrachtet – keinen Zweifel an meiner durchgemachten Infektion geben kann, während die politische Definition „vollständig geimpft“ eine Schlingelformulierung von großer Flexibilität darstellt. Ein Booster hier, eine Auffrischung dort, schon wird empfohlen, die Johnson&Johnson-Impfung durch eine weitere mit Biontech zu „ergänzen“, welche sich viele nur deshalb injizieren ließen, weil es dann bei einer Impfung hätte bleiben sollen. Was heute vollständig ist, kann morgen schon als gefährlich lückenhaft, ja covidiotisch gelten. Und wer weiß, ob nicht irgendeine Studie demnächst zu dem Schluss kommt, dass die Verläufe umso milder werden, je öfter man sich infiziert? Nun, auch das wissen wir bislang noch nicht. Auch nicht, ob es eine gute Idee ist, die Impfwirkung mit einer nachträglichen Infektion zu ergänzen, wie Christian Drosten so ganz nebenbei ausplauderte.
Was soll ich tun?
Doch was mache ich hier eigentlich? Gewiss, ich wollte meine Geschichte schon lange aufschreiben, schon weil ich sie immer und immer wieder erzählen muss. Immer dann, wenn ich angegangen werde, mich für meine „Verweigerung“ zu rechtfertigen. Ich will mich aber nicht rechtfertigen und das Grundgesetz sagt, ich muss dies auch nicht tun. Weder für meinen Glauben noch für meinen Unglauben noch für meine Zweifel, die auf ganz spezifischen Informationen, Gegebenheiten und Entscheidungen fußen. Ich will auch nicht auf die gnädige Gewährung als Privilegien verkleideter Grundrechte oder die Zuerkennung irgendeines G-Status drängen. Denn ganz gleich, ob es 2, 3, 4 oder 99G sind, bleibt das G-schubse doch stets ein nicht durch Wahl zustande gekommenes politisches Mandat, mit dessen Hilfe unveräußerliche Grundrechte dosiert und nach Wohlverhalten zugeteilt werden sollen. Verfestigt sich die Tolerierung dieser Verknappung und Zuteilung von demokratischer Atemluft und wird zur Gewohnheit, ist es aus und vorbei mit der Freiheit.
Was darf ich hoffen?
Im Verständnis Kants bezieht sich alles Hoffen im religiösen Sinn auf die Glückseligkeit, im rationalen Sinn jedoch eher auf die Frage, was berechtigterweise zu hoffen sei – und da ist der liebe Gott natürlich raus aus der Haftung. Hier bin ich zugegeben noch ratloser als Kant. Die Impfung erfüllt die Hoffnung auf den Sieg über die Krankheit schon mal nicht, wie wir wissen, hingegen sind die durch die Coronamaßnahmen angerichteten Schäden weltweit äußerst manifest. Herbeigerechnete bessere Statistiken für Verläufe und Schutz vor dem Tod helfen da wenig, weil sich die sehr reale Panikmache bezüglich Covid nicht mit statistischen Wirkungsgraden oder politischen Beteuerungen besiegen lässt. Absolute Versprechen rufen nach absoluter Erfüllung, und letzteres ist bei der Impfung leider ausgeblieben.
Zu hoffen, einige der befürchteten Nebeneffekte der Impfung würden bald ein Umdenken in der Politik bewirken, sind jedoch ebenso töricht. Umso verbissener würde der Chor politisch gefälliger Bänkelsänger gegen jene vorgehen, die ihrer Meinung nach von dem Umschwung moralisch profitieren könnten. Eine Impfung als gerichtlich angeordnete Maßnahme oder wie in Australien mit Polizeigewalt durchgesetzte Internierungen würde dann im Zweifel jede Kontrollgruppe, die durch ihre bloße und hartnäckige Existenz Zweifel an der allgemeingültigen, ewigen Wahrheit aufkommen ließe, zum Verstummen bringen. Den Pfizer-Probanden des Zulassungsverfahrens, die lediglich ein Placebo erhalten haben (Kontrollgruppe), hat man ausgerechnet mit Bezugnahme auf ethische Redlichkeit längst Impfangebote gemacht. Der ÖRR assistierte bereits seit Ende 2020 mit der Feststellung, dass „Placebo-Studien bald ethisch nicht mehr akzeptabel“ seien. Auf die Rückkehr wissenschaftlicher Redlichkeit und Gründlichkeit ist also auch kaum zu hoffen.
Was ist der Mensch?
Schaut man sich im Land um, dann ist der Mensch derzeit offenbar kaum mehr als ein Weisungsempfänger, eine statistische Größe, ein Störfaktor und wahlweise Hindernis oder Hilfspolizist. Für alle Lauterbachianer lautet die Antwort auf die Frage aller Kant’schen Fragen natürlich „zu impfen ist er, der Mensch, und zwar vollständig!“. Mein Leben wäre leichter, wenn ich dem blind zustimmen würde. Ob es länger andauern würde, ist ungewiss. Es ist nicht mehr ganz leicht, illegal gesund zu sein. Doch wo Kant von der „Befolgung legitimer Normen“ sprach, stellt sich mir zunächst die Frage nach der Legitimität der Normen, die zu befolgen sind und wer die Legitimation erteilt hat.
Wo Kant „persönliche Pflichten“ findet, tauchen in seiner Gleichung
weder der Staat noch das „gesellschaftliche Wohl“ auf, auf welche sich
diese Pflichten heute beziehen sollen. Was den Menschen quält, ist, dass
er unzufrieden mit sich selbst und der Welt ist, seit die Politik ihn
von seinen Nächsten entfremdet und diese zum Feind erklärt hat. Und er
prügelt deshalb stellvertretend auf seinen Nächsten ein, weil er an die
Politik nicht heranreicht. Noch. An dieser verordneten Spannung kann er
wohl zerbrechen, der Mensch. Und er tut dies meist nicht lautlos. Die
Politiker jedenfalls scheinen sich heute weit weniger vor Corona zu
fürchten als vor den Menschen, die ihre Coronapolitik zu erdulden haben.
Zerbrochene Menschen tragen keine Staaten, sondern Revolutionen. Roger Letsch
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