Stationen

Sonntag, 27. November 2016

Advent 2016

21. November – Ziemlich häufig fragen mich Leute, wie das denn gehe: Kinder außerhalb des Mainstreams großzuziehen. Oder anders: Sie innerhalb des umgebenden Mainstreams so zu erziehen, daß sie nicht Teil desselben werden. Das geht natürlich nicht mit zwei, drei Kniffen oder Regeln, es ist ja eine Lebensaufgabe!

Ich kenne (viele) Leute, die in diesen Fragen vor einer Art „Outing“ stehen.
Sie haben „die Politik“ immer ausgeklammert vor den Kindern („als Eltern praktizieren wir eine Art Doppelsprech, untereinander so, vor den Kindern aber: so), und spätestens in der Vorpubertät sehen sie ihre Kinder mit dem Hauptstrom davontreiben: Jetzt bitte Dämme bauen, Schleusen einführen! Nur, wie jetzt?

In unseren Gefilden war dazu kein kompliziertes Vorhaben nötig, im Gegenteil. Im Hause K.u.K. ist das Private seit je notwendigerweise politisch. Früher haben wir am Mittags- oder Abendbrottisch gelegentlich in die englische Sprache (Kubitschek: „See you a problem, while I gebrauchte the word … ?“) gewechselt, aber nachdem mittlerweile fast alle Kinder das Kubitscheksche Englisch verstehen, gibt es bei Tisch nur noch Tacheles.
Warum auch nicht? Wir reden ja nie unschicklich. Eigentlich bringen wir den Kindern nie irgendetwas „Weltanschauliches“ bei, sie nehmen einfach an den Gesprächen teil. Wenn Sie Einwände „von außen“ vorbringen („Aber, Papa, heißt `Nächstenliebe´ nicht, daß man…“): Um so besser, das schärft die Argumentation!
Ich ärgere mich sogar, wenn wir einen Disput am Tisch pflegen und die Kinder nicht nachfragen. Dann geht es so (aktuelles Beispiel): „[Sohn], wir reden ja die ganze Zeit über die IRA.“ Ich: „Was ist das denn eigentlich?“ Wenn das Kind die Schultern zuckt, gleich das ungestüme elterliche Nachhaken: „… und warum fragst du nicht nach?“ Unsere Kinder sind dadurch große Nachfrager geworden, auch in der Schule. Ich finde es nicht schlecht! Fragt nach, wenn ihr irgendwo nicht mitkommt! Nur die treuesten Sklaven fragen nicht nach, wenn ihnen irgendwas widersprüchlich oder unklar erscheint!
Heute ging es um das Modewort des „Postfaktischen“. Es war zugegeben eine etwas abgehobene Diskussion. Am Ende stellte sich heraus, daß der Sohn einen Verhörer á la Der weiße Neger Wumbaba erlitten hatte. Post! Fuck! Tisch! Seiner Auffassung gemäß – nachgefragt! – konnotiert dieses In-Wort folgendes: Über den Postweg, also über den Schalter auf der Post (die Theke, oder der„Tisch“), werden per Brief angeblich gefährliche, unerhörte Irrmeinungen (Fuck!) verbreitet, die die Stimmung beeinflussen. An solcher Interpretationsleistung kann man wohl auch die analoge Grundstimmung (de facto haben sie alle echte Brieffreunde) bzw. Rückwärtsgewandtheit unserer Kinder erkennen.
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23. November 2016, mittags – Meine liebste Freundin (Betreff: „jetzt bin ich richtig betroffen“) stellt mir gerade den neuesten Edeka-Werbefilm samt anhängender Diskussion (vulgo shitstorm) durch.
Worum geht es? Um eine wirklich schöne Werbung: Eine Konsumentin redet knapp anderthalb Minuten lang darüber, was man in der Vorweihnachtszeit so alles „muss“ oder „soll“. Dekoquatsch, Schönbackolympiaden für’s Handyphoto, und vor allem: kaufen, kaufen, kaufen. Wir sehen die beiden tapferen Kinder dieser mustergültigen deutschen Muss-und-Soll-Familie. Die Kleinen ahnen, daß man all diesen materiellen Schnickschnack wohl absolvieren muß, wenn man mal groß ist.
Am Ende des spots kippt die Koofmichhektik ins Idyll: Mama, Papa, Kinder unternehmen was richtig Schönes: eine wilde Bäckerei, Spieleabend etc. Die Konsumentin zeigt sich besonnen: „Ich muß nur eines: Für Dich dasein- mein Kind!“
Das allein, diese familiaristische, unemanzipierte Mama-am-Herd-Aussage: unerhört, im zwiefachen Sinne! Wo kämen wir hin, wenn Mama und Papa nicht nur Qualitytime mit ihrer Brut verbrächten, sondern die Zeit, die eigentlich für’s Schaffen und Anschaffen gedacht ist, mit den Blagen verbrächten!
Der nun herniedergehende Sturm der Entrüstung weicht aber aus, und zwar auf die Autokennzeichen dieser erst multigestressten, dann sich besinnenden Eltern! Sie werden je einmal kurz und einmal ganz kurz eingeblendet: MU-SS 420 und SO-LL 3849. SS: verboten! Aber damit nicht genug. Frau Bamberger-Stemmann von der Bundeszentrale für politische Bildung weiß, daß das Ende der Fahnenstange hiermit keinesfalls identifiziert ist! Sie schlüsselt für uns die aggressiven Nummernschilder auf:
„Die 420 ist eine aus dem angelsächsischen Raum stammende, in rechten Kreisen auch hierzulande gängige Abkürzung für Hitlers Geburtstag am 20. April.(…) Das zweite Autokennzeichen, das im Spot zu sehen ist, zeigt ebenfalls Zahlenkombinationen, die in der rechtsextremistischen Szene verwendet werden. Das Nummernschild laut „SO LL 3849″.Die Zahl 84 steht für „Heil Deutschland“. Sie ist umrahmt von den Zahlen 3 und 9. Die 39 steht für „Christliche Identität“ oder „Christian Identity“. Dies bedeutet in rechten Kreisen im Umkehrschluss Antisemitismus. Damit ist die Aussage klar.(…) Die Verwendung in einem nicht diesen Kreisen angehörigen Spot ist erschreckend.(…) Sowieso vermittelt der Spot besonders am Anfang eine heile Welt und transportiert Werte, die auch für die Neue Rechte stehen. Die Kinder spielen zum Beispiel auch eine altmodische Version von „Mensch ärgere dich nicht“.
Ich kann derweil nur hoffen, daß wir es irgendwie hinkriegen, am Ende des Jahres keine Steuern bezahlen zu müssen. Haben wir bisher fast immer irgendwie hingekriegt. Ich stell mir jetzt nämlich vor, daß Frau Bamberger-Stemmann von der Bundeszentrale für politische Bildung ihr sicher nicht ganz kleines Monatsgehalt unter anderem durch unsere Abgaben finanziert bekommt, während wir noch immer die alte Version des Brettspiels im Regal zu stehen haben.
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23. November 2016, abends – Die Jugend sei mainstreamverseucht. Stimmt so nicht! Die Jugend ist konservativ! Insofern, daß sie länger an den ihr eingefleischten Überzeugungen festhält, als es die Medien hergeben. Es ist ja meine Grundfrage, die ich bis heute nicht gelöst/beantwortet fand: Warum gerade junge Leute heute nicht rebellieren, sondern den Merkelsound in ihre vitalen Äußerungen übertragen – und ausgerechnet das dann als rebellisch empfinden!
In den Großfeuilletons wird ja von den „cooleren“ Stimmen die grassierende Political correctness längst lächerlich gemacht. Wider den Stachel zu löcken ist längst kein Vorrecht der Underdogs mehr. Allein, die halbgebildete junge Generation (Gymnasiasten, Studenten) ist ja soo konservativ, so verstiegen ins Verharren auf den Sprachregeln des Establishments, das da rein „gar nichts geht“.
Jüngstes Beispiel, Tochter: „Der P. steht übrigens unter Rechtsverdacht. Großes Thema.“- „Echt? Der P.? Der? Was du mir bisher von dem erzählt hattest, klang aber ziemlich anders. Ist das nicht der, der die Flüchtlingsnachhilfe ins Leben gerufen hat? “- „Nja, er war dabei jedenfalls beteiligt.“- „Und jetzt, was hat er verbrochen?“- „Er hat in Sozi gesagt, man solle sich hüten, so zu tun, als wären alle Geflüchteten Engel.“- „Und- mehr nicht? Nur diesen Satz? Das war‘s??“- „Ja, diesen Satz. Das war‘s.“    Ellen Kositza

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