Freitag, 25. November 2016
Bilanz
Vor achtzehn Jahren, angesichts massiver Integrationsprobleme mit Einwanderern aus dem orientalischen Raum, entwickelte der Politikwissenschaftler Bassam Tibi das Konzept der deutschen Leitkultur. Nun, nach dem millionenfachen, unkontrollierten Hereinströmen von Einwanderern aus eben jenem Raum, zog der gebürtige Syrer aus Damaskus vor über hundert Zuhörern in der Bibliothek des Konservatismus eine ernüchternde Bilanz.
Die derzeitige Bundesregierung verfolge eine Politik, die sich weder an Fakten orientierte, noch ein Verantwortungsgefühl erkennen lasse. Für das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Fluchtursachen rasch zu bekämpfen und damit den Zustrom syrischer Einwanderer einzudämmen, hat der Nahost-Experte nur Kopfschütteln übrig.
Der Konflikt in Syrien sei kein bloßer Stellvertreterkrieg, wie in den Medien kolportiert. Schlußendlich sei die syrische Gesellschaft an inneren Widersprüchen gescheitert.
Die Unterdrückung der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit durch eine staatstragende, alawitische Schicht habe sich in einem Bürgerkrieg mit unvorstellbaren Greueltaten auf beiden Seiten entladen. Das Leben in einem gemeinsamen Staat ist nicht länger möglich.
„Die syrische Nation gibt es nicht mehr“, stellte Tibi mit Blick auf seine einstige Heimat fest. Hunderte von Konfliktparteien verfolgten hier ihre eigenen Interessen. Der Krieg werde daher noch mindestens zehn Jahre andauern – mit entsprechenden Flüchtlingsmassen, die auf Europa zurollen werden.
Zwar sei Tibi einerseits dankbar, daß die Bundesregierung so vielen Menschen aus Syrien helfe. Doch würden die damit verbundenen Gefahren systematisch ausgeblendet. Er habe viele ehemalige Landsleute auf der Straße, auf Bahnhöfen getroffen und sich mit ihnen unterhalten.
Viele von ihnen hingen einem radikalen Islam an, der in scharfem Widerspruch zu Tibis Vorstellungen eines europäisierten moslemischen Glauben stehen. Und auch die Gemäßigten von ihnen hätten manchmal schwere Verbrechen in ihrer Heimat begangen. „Das sind häufig keine Engel.“ JF
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