Stationen

Sonntag, 13. November 2016

Der wütende Martin

Mit dem Auftritt einer Frau im „Nikab“ hat sich Anne Will ziemlichen Ärger eingehandelt. Ins schwarze Gewand der radikalen Musliminnen gewickelt, das nur einen Sehschlitz freilässt, durfte die schweizerische Konvertitin in Wills Staatsfunk-Sendung kräftig die Trommel für den „Dschihad“ rühren und fanatische Meuchelmörder zu den eigentlichen „Opfern“ umfrisieren. Das war nicht nur Henryk M. Broder zu viel. Der streitbare Autor schreibt, ab jetzt zahle er keine Rundfunkgebühren mehr, basta.

Arme Anne Will. Es war wohl einfach zu früh für eine solche Vorstellung. Hätte sie noch ein oder zwei Jahre gewartet, wer weiß? Vielleicht sind wir dann endlich kultursensibel genug, um das schwarze Gespenstertuch als Bereicherung anzunehmen und stattdessen alles zu beseitigen, was ein Moslem als Beleidigung seiner Weltanschauung auffassen könnte wie Weihnachtsmärkte, Schweinefleisch oder unzüchtig bekleidete Frauen.
Oder Kreuze. Bei ihrem Besuch des Jerusalemer Felsendoms haben die höchsten Repräsentanten der größten deutschen Kirchen bei der Zurückdrängung des christlichen Symbols einen weiteren Markstein gesetzt. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, legten ihre Kreuze dort ab, weil ein muslimischer und angeblich auch ein jüdischer Würdenträger sie darum gebeten hätten.
Bedford-Strohm beeilte sich zu beteuern, dass das natürlich eine Ausnahme bleibe. Sei’s drum: Entscheidend ist doch, dass unter anderem islamische Geistliche entscheiden durften, ob und wo die Bischöfe ihre Kreuze tragen dürfen oder eben nicht. Vom Felsendom aus können sie die kreuzfreie Zone nun schrittweise ausdehnen. Hat Mohammed nicht bestimmt, dass die ganze Welt Allah und nur Allah gehöre? Verkünden das nicht auch jeden Tag abertausende islamische Prediger weltweit?
Ach, das meinen die ja gar nicht so. Orientalisches Blut kocht leicht mal über und hinterher wird’s nie so heiß gegessen, wie’s ... oder etwa doch? Wir erinnern uns da an einen türkischen Politiker, der einst hinausposaunte, die Demokratie sei nur der Zug, auf den man aufspringe, um an die Macht zu gelangen. Das sei bloß so ein Spruch, beruhigten uns damals die Kenner der Region und priesen den Mann als Führer der „gemäßigt islamischen Partei AKP“, mit anderen Worten: so eine Art Christdemokrat auf mohammedanisch. Dann ist Erdogan in den Bahnhof eingefahren, und nun verschrottet er gerade den besagten Zug.
Auf die verfolgten Christen in Syrien, dem Irak und anderswo muss das Kreuzablegen der deutschen Kirchenfunktionäre einen sagenhaften Eindruck gemacht haben. Vielleicht  fangen manche von ihnen an, ihren nach Deutschland geflüchteten Verwandten zu glauben, die ihnen berichten, dass die Christenverfolgung, vor der sie sich in Sicherheit bringen wollten, in den deutschen Asyllagern munter weitergehe.
Wer diesen Skandal allzu laut anklagt, sollte sich allerdings in Acht nehmen. Vor wem? Vor islamischen Eiferern? Nein, vor Heinrich Bedford-Strohm. Denn wer vor der Ausbreitung der Christenverfolgung nach Deutschland warnt, schürt schließlich Ängste, „statt sie zu überwinden“. Und das sei das Merkmal von „Rechts­populisten“, denen gegenüber wir „klare Kante zeigen“ müssten, wie der EKD-Chef sinnigerweise gleichzeitig mit der Diskussion über seinen kreuzlosen Felsendom-Besuch in die Debatte warf.
Virtuos wirbelte er in seiner Philippika die Begriffe „völkisch“, „rechtsextrem“ und „rechtspopulistisch“ durcheinander, sodass der Eindruck entstehen muss: Ist alles das Gleiche. Da seien „Gestalten“ am Werk, die „unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit gegen andere hetzen“, so der Bischof. Von diesen Bösewichten werde beispielsweise „ein anti-islamischer Kulturkampf inszeniert“. An dieser Stelle dürften selbst die hoffnungslosesten, verzweifeltsten Christen des Nahen Ostens ihr Lachen zurückgewinnen.
Da werden Millionen Christen verfolgt, vertrieben, auf oft entsetzliche Weise von islamischen Fanatikern massakriert − doch der Oberste der deutschen Lutheraner sieht sich um den Schlaf gebracht wegen eines „anti-islamischen Kulturkampfes“ in bundesrepublikanischen Debattenzirkeln. Was Martin Luther wohl dazu zu sagen hätte? Das ist ja das Ärgerliche an den Großen der Geschichte: Dass sie alle tot sind. Wie reizvoll wäre es, wenn der Reformator im Jahr vor dem 500. Jubiläum seines Paukenschlags mal kurz vorbeischauen könnte, um das Treiben seiner Sachwalter persönlich in Augenschein zu nehmen. Nicht einmal in einer Moschee wäre der arme Bedford-Strohm sicher vor der Wut des kantigen Begründers seiner Kirche.
Luthers Methode war es ja bekanntlich, dem „Volks aufs Maul zu schauen“, während heutige Kirchenleute doch lieber drüberfahren über des Volkes Mundwerk. Daher ihr ausgeprägter Ekel vor „Populisten“, die aussprechen, was das gemeine Gesindel in Stadt und Land daherredet. Früher brauchte uns das Gesabbel gar nicht zu interessieren. Seit aber „Populisten“ unsere gepflegten Diskussionsrunden verminen, muss man sich immerzu mit Widerworten „von unten“ herumschlagen.
Dabei war man sich sicher, das „Volk“ längst erfolgreich abgeschafft zu haben. Vor etwa 50 Jahren hatten sich die Wegbereiter der heutigen Herrschaftselite in Politik, Kirchen, Hochschulen, Medien und wo sonst noch aufgemacht, um die damaligen Eliten herauszufordern. Sie kamen sich dabei ungemein emanzipatorisch und revolutionär vor und wähnten sich auf jeden Fall als „Anwalt der Unterdück­ten“, sprich des Volkes, wie man es seinerzeit sogar links noch zu nennen pflegte.
Heute sind die Nachfolger der damaligen Emanzipierer und Volksbefreier selber an der Macht, weshalb es ihrer Meinung nach gar keines Volkes mehr bedarf. Leider aber ist dieses Volk immer noch da und hat zu merken begonnen, dass es ausgebootet wurde. Seine Reaktion war erst Misstrauen, dann Verärgerung und schließlich die Wut der „Wutbürger“.
Da gilt es, das Gesocks unter Kontrolle zu halten. Wie das am besten gelingt, ist historisch gut erprobt. Die erfolgversprechendste Taktik zur Machterhaltung besteht darin, den Massen Schuldgefühle einzutrichtern. Wer sich schuldig fühlt, der gehorcht. Da sie bei den Deutschen überdurchschnittlich gut funktioniert, findet die Schuldgefühl-Taktik bei unseren Mächtigen auch besonders großen Anklang.
Die US-Wahllokale waren noch nicht einmal geschlossen, da hauten uns die Medien bereits um die Ohren, wer am Hochkommen dieses entsetzlichen Trump die Hauptschuld trägt: Unsere transatlantischen Verwandten, die Deutsch-Amerikaner! Bei keiner Einwanderergruppe sei der Rück­halt für den politischen Satan der Saison so stark wie bei den Nachfahren der Müllers, Meyers und Schulzes, die irgendwann über den Ozean gekommen waren.
Da haben wir’s wieder: Die Deutschen machen es von allen am falschesten, sie sollten sich schämen und vor allem: Einsehen, dass sie das politische Geschäft einer weisen Führung überlassen sollen, statt sich „populistisch“ eine eigene Meinung zu erlauben.
Indes muss man sich vorsehen. Mag ja sein, dass die Deutschen besonders empfänglich dafür sind, sich am Nasenring der Schuldgefühle führen zu lassen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es auch ein Deutscher war, der vor 500 Jahren genau damit Schluss gemacht hat, als er den Ablasshandel zerschlug. Danach erbebte das gesamte Abendland. Also: Man darf es nicht übertreiben, sonst schießt aus dem braven Michel plötzlich ein wütender Martin hervor.   Hans Heckel

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