Das Ergebnis läßt keine Zweifel zu: 66,5 Prozent der Wähler bei den
Vorwahlen der Konservativen und des Zentrums in Frankreich haben sich
für François Fillon entschieden, nur 33,5 Prozent für seinen
Kontrahenten Alain Juppé. Der Figaro spricht von einem K.O.-Sieg, Juppé sei zu Boden gegangen.
Daran ist er vermutlich selber Schuld. Denn in der Woche zwischen dem
ersten Wahlgang und der Stichwahl hatte er die bisher in der Form zwar
harte aber in der Sache argumentative Auseinandersetzung durch
persönliche Angriffe plötzlich und unerwartet verschärft. Er warf Fillon
vor, das „Grundrecht der Frauen auf freiwillige Unterbrechung der
Schwangerschaft“ abschaffen und Frankreich in eine
reaktionär-konservative Vergangenheit zurückführen zu wollen.
Nachdem die linksliberalen Medien sich von dem Schock des ersten
Wahlgangs erholt hatten, hieben sie mit ungebremster Wut in diese Kerbe
als vermeintliche Schwachstelle. In einem Fernsehinterview sprach Juppé
von einer „extrem traditionalistischen, um nicht zu sagen
rückwärtsgewandten Vision“ seines Gegners. Seinen katholischen
Glaubensgenossen sagte er, er stehe „den Worten Papst Franziskus näher
als der Manif pour tous (Demo für alle)“. Er verlange von Fillon ein
klärendes Wort zu seiner Position über das „Grundrecht auf Abtreibung“.
Fillon zeigte sich über die Angriffe seines „Freundes“ bestürzt. Nie
hätte er geglaubt, daß sein Kontrahent so tief fallen und zu solchen
Mitteln greifen würde. Er zweifele, ob Juppé den Papst höre oder gelesen
habe, denn der sage das Gleiche wie er, Fillon. Zu seiner Position in
der Frage der Abtreibung wiederholte er, was er schon bei einer
Wahlveranstaltung gesagt hatte.
In dieser Veranstaltung hatte er den Unterschied gemacht zwischen
seiner persönlichen Haltung („weltanschaulich und aufgrund meines
Glaubens bin ich persönlich gegen Abtreibung“) und den „Überzeugungen
des allgemeinen Interesses“ oder der Mehrheit der Bevölkerung. Für ihn
sei deshalb klar: „Niemand und schon gar nicht ich selbst werden Hand
anlegen an dieses Gesetz“. Und was die Abtreibung als Grundrecht angehe
meinte er: „Die Grundrechte stehen bei uns in der Verfassung. Dort finde
ich das Grundrecht auf Abtreibung nicht.“
Konservative Politiker zeigten sich empört. 215 Abgeordnete schrieben
einen offenen Brief an Juppé, Senatoren meldeten sich in Interviews zu
Wort. In Blitzumfragen verlor er an Boden. Juppé ruderte zurück und
konzentrierte sich auf das Wahlprogramm seines Kontrahenten. Aber es war
zu spät. Auch die Angriffe aus der linksliberalen Presse und den
elektronischen Medien, sowie in den sozialen Netzwerken konnten die
Dynamik für Fillon nicht mehr stoppen.
Zuletzt erschienen Artikel in Le Monde und anderen
linksliberalen Blättern, in denen Gleichgeschlechtliche dazu aufriefen,
Juppé zu wählen, auch wenn man noch nie für einen Konservativen gestimmt
hätte, es gehe einfach nur darum, „Fillon abzublocken“. Die Beteiligung
war mit rund 4,5 Millionen Wählern zwar noch größer als beim ersten
Wahlgang, aber die Rufe von links verhallten oder mobilisierten eher die
Konservativen.
Mit Juppé tritt nach Sarkozy ein weiterer Kandidat des Ancien Régime,
des Establishments, von der Bühne. Fillon war immer nur am Rand als
Teil dieses Establishments gesehen worden. Aber er hat seine eigene
Agenda, sein eigenes Programm. Und das verspricht für die ersten Jahre
nur Blut und Tränen: Abbau des aufgeblähten Staatsapparats um 500.000
Stellen, Abschaffung der 35-Stunden-Woche, Einschnitte im Sozialsystem,
Erhöhung der Mehrwertsteuer, und so weiter.
Fillon spricht harte Wahrheiten aus, er verschönt nichts. Juppé
wollte eine sanfte Wende, Fillon sagt offen, diese Zeiten sind vorbei.
Die Franzosen sind offenbar bereit, ihm zu folgen. Noch am Wahlabend
scharten sich die Konservativen um ihren neuen Hoffnungsträger. Jetzt
wird es darauf ankommen, die Dynamik dieser Sammlungsbewegung in die
Mitte und auf die Flügel auszudehnen.
Nach den Umfragen stehen die Chancen dafür gut. Demnach wäre Fillon
auch der einzige, der die Präsidentin des Front National, Marine Le Pen,
in der Stichwahl um die Präsidentschaft im kommenden Mai schlagen
könnte. Und zwar ebenso deutlich wie am Sonntag Juppé. Jürgen Liminski
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