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Montag, 28. November 2016

Das rechte Maß

Das Ergebnis läßt keine Zweifel zu: 66,5 Prozent der Wähler bei den Vorwahlen der Konservativen und des Zentrums in Frankreich haben sich für François Fillon entschieden, nur 33,5 Prozent für seinen Kontrahenten Alain Juppé. Der Figaro spricht von einem K.O.-Sieg, Juppé sei zu Boden gegangen.

Daran ist er vermutlich selber Schuld. Denn in der Woche zwischen dem ersten Wahlgang und der Stichwahl hatte er die bisher in der Form zwar harte aber in der Sache argumentative Auseinandersetzung durch persönliche Angriffe plötzlich und unerwartet verschärft. Er warf Fillon vor, das „Grundrecht der Frauen auf freiwillige Unterbrechung der Schwangerschaft“ abschaffen und Frankreich in eine reaktionär-konservative Vergangenheit zurückführen zu wollen.
Nachdem die linksliberalen Medien sich von dem Schock des ersten Wahlgangs erholt hatten, hieben sie mit ungebremster Wut in diese Kerbe als vermeintliche Schwachstelle. In einem Fernsehinterview sprach Juppé von einer „extrem traditionalistischen, um nicht zu sagen rückwärtsgewandten Vision“ seines Gegners. Seinen katholischen Glaubensgenossen sagte er, er stehe „den Worten Papst Franziskus näher als der Manif pour tous (Demo für alle)“. Er verlange von Fillon ein klärendes Wort zu seiner Position über das „Grundrecht auf Abtreibung“.

Fillon zeigte sich über die Angriffe seines „Freundes“ bestürzt. Nie hätte er geglaubt, daß sein Kontrahent so tief fallen und zu solchen Mitteln greifen würde. Er zweifele, ob Juppé den Papst höre oder gelesen habe, denn der sage das Gleiche wie er, Fillon. Zu seiner Position in der Frage der Abtreibung wiederholte er, was er schon bei einer Wahlveranstaltung gesagt hatte.
In dieser Veranstaltung hatte er den Unterschied gemacht zwischen seiner persönlichen Haltung („weltanschaulich und aufgrund meines Glaubens bin ich persönlich gegen Abtreibung“) und den „Überzeugungen des allgemeinen Interesses“ oder der Mehrheit der Bevölkerung. Für ihn sei deshalb klar: „Niemand und schon gar nicht ich selbst werden Hand anlegen an dieses Gesetz“. Und was die Abtreibung als Grundrecht angehe meinte er: „Die Grundrechte stehen bei uns in der Verfassung. Dort finde ich das Grundrecht auf Abtreibung nicht.“

Konservative Politiker zeigten sich empört. 215 Abgeordnete schrieben einen offenen Brief an Juppé, Senatoren meldeten sich in Interviews zu Wort. In Blitzumfragen verlor er an Boden. Juppé ruderte zurück und konzentrierte sich auf das Wahlprogramm seines Kontrahenten. Aber es war zu spät. Auch die Angriffe aus der linksliberalen Presse und den elektronischen Medien, sowie in den sozialen Netzwerken konnten die Dynamik für Fillon nicht mehr stoppen.
Zuletzt erschienen Artikel in Le Monde und anderen linksliberalen Blättern, in denen Gleichgeschlechtliche dazu aufriefen, Juppé zu wählen, auch wenn man noch nie für einen Konservativen gestimmt hätte, es gehe einfach nur darum, „Fillon abzublocken“. Die Beteiligung war mit rund 4,5 Millionen Wählern zwar noch größer als beim ersten Wahlgang, aber die Rufe von links verhallten oder mobilisierten eher die Konservativen.
Mit Juppé tritt nach Sarkozy ein weiterer Kandidat des Ancien Régime, des Establishments, von der Bühne. Fillon war immer nur am Rand als Teil dieses Establishments gesehen worden. Aber er hat seine eigene Agenda, sein eigenes Programm. Und das verspricht für die ersten Jahre nur Blut und Tränen: Abbau des aufgeblähten Staatsapparats um 500.000 Stellen, Abschaffung der 35-Stunden-Woche, Einschnitte im Sozialsystem, Erhöhung der Mehrwertsteuer, und so weiter.
Fillon spricht harte Wahrheiten aus, er verschönt nichts. Juppé wollte eine sanfte Wende, Fillon sagt offen, diese Zeiten sind vorbei. Die Franzosen sind offenbar bereit, ihm zu folgen. Noch am Wahlabend scharten sich die Konservativen um ihren neuen Hoffnungsträger. Jetzt wird es darauf ankommen, die Dynamik dieser Sammlungsbewegung in die Mitte und auf die Flügel auszudehnen.
Nach den Umfragen stehen die Chancen dafür gut. Demnach wäre Fillon auch der einzige, der die Präsidentin des Front National, Marine Le Pen, in der Stichwahl um die Präsidentschaft im kommenden Mai schlagen könnte. Und zwar ebenso deutlich wie am Sonntag Juppé.   Jürgen Liminski

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