Letzte Woche wurde einer meiner Lieblingsgastronomen im medialen Dorf
gefeiert, weil seit neuestem ein Aufkleber an der Eingangstür zu seinem
Berliner Speiselokal prangt, das der „AfD“ den Eintritt verwehren soll.
Es geht um einen runden Aufkleber mit rotem Rand und rot
durchstrichenem AfD-Schriftzug. So etwas wird in Zeiten, in denen es nur
noch darum geht, irgendwelche „Zeichen zu setzen“, von den Medien
natürlich dankbar aufgegriffen.
Auf Facebook hatte das Nobelhart&Schmutzig, dessen Miteigentümer
der wunderbar sympathische und feinfühlige Billy Wagner ist, mitgeteilt,
nun seine Pforten für „das Pack“ nicht mehr öffnen zu wollen. Etliche
Printmedien berichteten darüber und die einen klopften sich auf die
Schenkel über so viel „Mut“ und „Zivilcourage“, während andere sich über
das merkwürdige Demokratieverständnis der Betreiber mokierten.
Wie genau der Hinweis, die AfD sei nun in einem der angesagtesten
Sternerestaurants Berlins unerwünscht, umgesetzt werde, blieb natürlich
im Unklaren. Soll es in Zukunft Gewissensprüfungen für jeden Gast geben,
die in früherer Manier der Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern
von zwei Parteienvertretern - natürlich der „guten“ Parteien - und einem
Abgesandten eines Sozialverbands durchgeführt werden?
Oder wird jedem
Gast bei Eintritt ein Fragebogen ausgehändigt und das Essen erst
serviert, wenn dieser zur allgemeinen Befriedigung korrekt ausgefüllt
wurde? Man weiß es nicht.
Was man aber weiß: der Aufkleber ist eine Provokation und Provozieren
gehört zum Geschäft. Das ist so wie Titten bei Autowerbung.
Funktioniert zwar, aber jeder halbwegs intelligente Mensch wendet sich
bei so viel intellektueller und ästhetischer Unterforderung ab. Das
Wecken niederer Instinkte gilt in einer aufgeklärten Gesellschaft als
verpönt. Der Aufkleber des Nobelhart&Schmutzig ist so ein Code der
niederen Instinkte, eine Art Geheimzeichen, um die ganz offensichtlich
Guten von den noch offensichtlicher Bösen zu trennen. Man fühlt sich
einfach wohler, wenn man unter sich bleibt. Unfreiwillig komisch wird es
nur, wenn das Restaurant für die Ankündigung, jetzt endlich diesen
Anti-AfD-Aufkleber auf der Eingangstür prangen zu haben, die Worte
„Vielfalt, Diversität und Aufgeschlossenheit…" als Überschrift wählt.
Vielfalt, Diversität und Aufgeschlossenheit sind also die Gründe,
wegen derer man Einfalt, Gleichheit und Abschottung betreibt. Das nach
dem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht benannte
Böckenförde-Dilemma, nach dem Demokratie ihre eigenen Voraussetzungen
nur mit undemokratischchen Mitteln, vor denen sie sich tunlichst hüten
möge, sicherstellen könne, wurde nie schöner und anschaulicher
aufgezeigt. Böckenförde schrieb dazu: „Der freiheitliche, säkularisierte
Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.
Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen
ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich
die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der
moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft,
reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht
von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und
autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit
aufzugeben.“
Der entscheidende Begriff in der Beschreibung Böckenfördes ist der
des Wagnisses: Freiheit ist ein Wagnis. Im Umkehrschluss bedeutet es
aber auch, dass für die Zaghaften und die Spießer, die nach Sicherheit
und Bequemlichkeit gieren, Freiheit immer wie eine Bedrohung wirken
muss. Und während die einen nach Kopftuch-Verboten rufen, um das Wagnis,
das die freiheitliche Gesellschaft ist, auf ein für sie erträgliches
Maß zu reduzieren, pappen die anderen irgendwelche AfD-Verbots-Aufkleber
auf ihre Türen, um sich ebenfalls den Zumutungen der Freiheit nicht
stellen zu müssen. Was am meisten ärgert: dass gerade die Aufgeklärten
und Fortschrittlichen, die nicht müde werden, ständig die
Schwarmmoralbegriffe von Vielfalt und Offenheit im Mund zu tragen,
diejenigen sind, die als erste Vielfalt und Offenheit über den Jordan
jagen. Offenheit ist scheinbar immer nur die Offenheit den
Gleichdenkenden gegenüber.
Vor wenigen Wochen erst wurde der Fall eines Stuttgarter Zahnarztes
bekannt, der die Bewerbung einer Muslima ablehnte mit dem Hinweis, er
würde niemals eine Kopftuchträgerin einstellen. Wüsteste Beschimpfungen
waren die Folge, die Presse berichtete, natürlich entschuldigte sich der
Zahnarzt umgehend. Man kann trotzdem davon ausgehen, dass der Zahnarzt
noch Post eines deutschen Gerichts erhält, das bei ihm das
Antidiskriminierungsgesetz in Anschlag bringen wird.
Wer aber von Fremdenfeindlichkeit reden will, sollte auch von
Benachteiligungen wegen politischer Anschauungen nicht schweigen. Nicht
nur ist es ein Verfassungsgrundsatz der Bundesrepublik („niemand darf
wegen (…) seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen
Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“), spätestens seit dem
Antidiskriminierungsgesetz hat dieser Grundsatz auch Eingang in den
Privatrechtsverkehr gefunden.
Dass nun gerade diejenigen, die sich
voller Stolz im Lichte dieses Antidismkriminierungsgesetzes sonnen, die
ersten sind, die es bei den Rechten und Dunkeldeutschen über Bord zu
werfen bereit sind, überrascht nicht.
Seit sich die politische Debatte
in Deutschland extrem polarisiert hat, sind es gerade die „Offenen“, die
nicht müde werden, ihr Scherflein dazu beizutragen, immer mehr zu
polarisieren. Natürlich mit dem Krokodilstränen-Hinweis, man sei über
die Polarisierung der politischen Debatte so erschüttert.
Demokratie ist eine Struktur, eine Metaebene, sie ist, auch wenn man
das bedauern mag, kein festgefügter Inhalt. Wer sich als Demokrat
versteht, hat das Wagnis einzugehen, auch die Meinungen des politischen
Gegners zu respektieren. In einer funktionierenden Demokratie - und
Demokratie funktioniert nur, wenn sie das Wagnis eingeht, sich selbst zu
vertrauen -, ist es dem Rechtsstaat und Verfassungsschutz überlassen,
die Feinde der Demokratie zu benennen und auszuschalten.
Alles andere
grenzt an Selbstjustiz von Gutmeinenden, die in Wahrheit das Fundament
der Demokratie unterhöhlen. Ihre Verwunderung, dass die Feinde der
Demokratie immer mehr werden, ist dann die Blindheit für den Balken im
eigenen Auge.
Was am Ende bleibt: die Trauer darüber, dass selbst bei gutem Essen
und Trinken auf einmal die politischen Anschauungen wie eine Monstranz
vor sich hergetragen werden müssen. Diese Religiösierung des Politischen
ist das sicherste Zeichen für einen Fundamentalismus, der jede
Gesellschaft zu spalten bereit ist. Die Religiösierung des Politischen
stößt die Pforten zur Hölle auf. Statt dem Vornehmen der Sinnlichkeit
und ihrer ganz eigenen Moral zu vertrauen, erweist sich auch der Genuss
irgendeiner hergelaufenen Ideologie des Guten untergeordnet.
Vor allem
weil ich Billy Wagner als sehr feinen Menschen und herausragenden
Sommelier kennengelernt habe, der mir einige der schönsten
Weinerlebnisse meines Lebens bereitet hat, bin ich erschüttert.
Mit der AfD hat das nichts zu tun. Markus Vahlefeld
Politikversagen
Würtz-Wein
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