Stationen

Samstag, 26. November 2016

Apropos Volker Kauder und Heiko Maas

Es war ein schöner Sommertag des Jahres 1985, als ich bei einem Abstecher nach Ost-Berlin mit zwei Damen im Straßencafé in ein interessantes Gespräch verwickelt wurde. In für mich verblüffender Offenheit zogen sie über die Missstände ihrer Republik her.
Das dauerte, bis sich eine weitere Dame zu uns gesellte. Meine bisherigen Gesprächspartnerinnen haben als gelernte DDR-Bürger sofort gerochen, dass mit der Frau irgendwas nicht stimmte,  und verstummten weitgehend. Die Neue warf sich denn auch sofort in die Schlacht zur Verteidigung des Arbeiter- und Bauernstaates. Selbstverständlich habe jeder DDR-Bürger das Recht, offen seine Meinung zu sagen, meinte sie allen Ernstes.
Ach ja? Da wollte ich wissen, ob ich meine Meinung denn auf Flugblättern verteilen dürfe in den Straßen der DDR. Ja sicher, antwortete die mutmaßliche Genossin − vorausgesetzt natürlich, dass das, was ich da schreibe, auch der Wahrheit entspreche.
Ich war baff. Das Abitur gerade hinter mir, musste ich eingestehen: Keiner meiner Politiklehrer hatte es vermocht, mir den Unterschied von Demokratie und Diktatur, Freiheit und Unterdrückung so fein zugespitzt zu servieren wie diese rote Tante.
In freiheitlichen Demokratien gilt: Niemand „besitzt“ die Wahrheit, sie ist immer umstritten, weshalb jeder seine eigene Version öffentlich verkünden darf, ohne dafür bestraft zu werden. In unterdrückerischen Diktaturen dagegen gibt es eine Instanz, welche die „Wahrheit“ festlegt. Wessen öffentliche Kundgebungen dieser Wahrheit nicht entsprechen, spürt die Knute.

War ich aber froh, durch den Kontrollposten an der Friedrichstraße zurück in einen freien Staat entweichen zu können, in dem ich ohne eigenes Zutun leben darf − oder nur bis vor Kurzem leben durfte?
Die Gestalt der roten Tante ist nämlich wieder auferstanden, nur trägt sie heute die Gesichtszüge von Volker Kauder. Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag ärgert sich in einem Beitrag für „Welt/N24“ darüber, dass große Internetforen zu „Plattformen geworden (sind), auf denen Unwahrheiten verbreiten werden“ und fordert: „Wir müssen weiter diskutieren, ob die Betreiber der Plattformen nicht mehr tun müssen, um das Netz nicht nur von rechtswidrigen Inhalten freizuhalten, sondern von Lügen generell in der politischen Debatte.“
Donnerwetter: Ab sofort gibt es oben an der Macht also wieder Leute, die für alle verbindlich festlegen, was als „Wahrheit“ zu gelten hat und was als „Lüge“. Wessen öffentliche Absonderungen im Internet sich nicht an jene „Wahrheit“ halten, der soll aus der Debatte geworfen werden.

Diktatorische Machthaber werfen ihren Kritikern gern vor, sie seien für das böswillige Ausland unterwegs, mithin feindliche Agenten. Bei Kauder liest sich das so: „Bekanntlich wird aber auch aus Russland versucht, politische Debatten bei uns zu beeinflussen.“ Diese skandalöse Enthüllung kommt gerade rechtzeitig, da bekannt wird, dass eine staatliche deutsche Institution ein paar Milliönchen hat springen lassen für die Stiftung der Eheleute Clinton.
In den USA können sich die einzig wahren Bestimmer der Wahrheit noch immer nicht damit abfinden, dass das Volk den Falschen gewählt hat. „Widerstand“ formiert sich. Wogegen eigentlich? Gegen Trump, klar. Allerdings ist der gerade demokratisch gewählt worden.
Wie das passieren konnte, ist nach wie vor ein großes Rätsel. Auch, warum man es nicht hat kommen sehen. Dabei standen doch alle gemeinsam gegen den blonden Teufel! Das scheint auch weiterhin so zu sein, wie der „Welt/N24“-Korrespondent erfreut berichtet: „Wer sich in diesen Tagen mit New Yorker Aktivisten, Sozialarbeitern, Künstlern, Journalisten und Pädagogen unterhält, spürt eine gewaltige Mobilisierung und Bereitschaft, sich Trump und dessen Ideologie entgegenzustellen.“ Mit welchem Ziel? Die demokratische Entscheidung zu „korrigieren“? Interessant, was „engagierte Demokraten“ heute für Blüten treiben.
Indes, die Frage, warum „wir“ den Trump-Sieg nicht haben kommen sehen, könnte mit der Auslassung des Korrespondenten durch die Blume beantwortet worden sein: Wer sich sein Bild von der öffentlichen Stimmung in den USA im Gespräch mit „New Yorker Aktivisten, Sozialarbeitern, Künstlern, Journalisten und Pädagogen“ zusammenpinselt, dürfte das Gemüt des Durchschnitts-Amerikaners um etliche Meilen verfehlen.

Bei uns wäre das kaum anders: Wer in Deutschland nach diesem Schema vorginge, könnte heute noch nicht begreifen, warum die DDR der Bundesrepublik beigetreten ist und nicht umgekehrt.
Wahrheit hin, Wahrheit her: Der hasserfüllte Kampf gegen Donald Trump liefert uns zumindest ein paar aufschlussreiche Erkenntnisse darüber, wofür die politische Linke heute steht und wofür nicht (mehr). Was hat der Mann versprochen? Er will nicht mehr überall auf der Welt militärisch eingreifen, was Clinton ganz gewiss getan hätte. Seit den 60er Jahren prangerten besonders die Linken diese Eingriffe als „US-Imperialismus“ an. Heute attackieren sie denjenigen, der diesen „Imperialismus“ abstellen will. Trump will zudem den Ausgleich mit Russland, keinen neuen Kalten Krieg. Die angeblichen Erben der „Entspannungspolitik“ gehen durch die Decke. Dann verspricht er, die einfachen Arbeiter vor Billigkonkurrenz zu schützen − sozialdemokratisch durch und durch. Die etablierte Linke? Sie findet das ekelerregend.
Friedenspolitik und den Schutz des „kleinen Malochers“ erklären die Linken also für Teufelszeug. Man reibt sich die Augen. Auf wessen Seite stehen die eigentlich? Das kann erahnen, wer einen kurzen Rückblick wagt. Damals, in den schlimmen Zeiten der „abgeriegelten Nationalstaaten“ mit ihren abgeschotteten Arbeitsmärkten lief das so: Wenn die Wirtschaft brummte, wurden bald die Arbeitskräfte knapp. Das nutzten die Arbeitnehmer frech aus und forderten höhere Löhne. Da sie keinen Ersatz hatten, muss­ten die Arbeitgeber oft nachgeben. Das war ärgerlich für sie.

Nun ist es aber so, dass die Wirtschaft so gut wie niemals in allen Staaten zugleich boomt. Es gibt immer welche, wo es nicht so gut läuft und Arbeitskräfte über sind. Daher haben wir heute die „Arbeitnehmerfreizügigkeit“, durch die man schnell Ersatzarbeiter aus lahmenden Ländern holen und die Lohnforderer zu Hause so in die Schranken weisen kann. Als Steigerung dieser „Freizügigkeit“ haben Merkel und ihre linken Jünger noch die „Politik der offenen Grenzen in einer globalisierten Welt“ draufgesattelt. Haben Sie mal einen Konzernchef, einen Grünen-Politiker oder einen Sozi über Zuwanderung reden hören? Die sagen alle genau das Gleiche. Zufall? Wohl kaum.
Neben dem Fetisch Zuwanderung und offene Grenzen blieb der Linken noch die „Klimapolitik“ (mit der die Konzerne Milliarden verdienen) und die Pflege einiger sorgsam ausgesuchter „Randgruppen“, wo Trump im Wege stehen könnte. Und der Frauen. Na ja, nicht aller Frauen. Das reaktionäre Weibsstück, das ausschließlich Hausfrau und Mutter werden will statt sich der Erweiterung des Arbeitskräfte-Angebots zu verschreiben, das hat von links ebenso wenig Anerkennung zu erwarten wie aus den Vorstandsetagen von Daimler oder der Deutschen Bank.

Es ist sicher kein Zufall, dass Trumps mächtigster Widersacher in den USA George Soros heißt, der skrupelloseste Milliarden-Spekulant unserer Epoche. Dass der „Humanist“ Soros allerhand linke Initiativen und ihre „Aktivisten“ vor seinem Wagen massiv unterstützt, wundert nicht.
Die zeitgenössische, globale Linke erscheint einem wie die abgefeimteste List, die sich die Geschichte je hat einfallen lassen. Alles ist anders, als wir glaubten. Wer diese Erkenntnis teilt, darf stolz einen neuen Titel tragen: Er lautet „Populist“.    Hans Heckel

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