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Mittwoch, 30. November 2016

Mehr Respekt für „die, die schon länger hier leben“!



Deutschland ist ein Land der Freiheit. Und das muss so bleiben. Eine dieser Freiheiten rückt zunehmend in das Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit: die Religionsfreiheit. Auslöser ist ein politischer Islam, der sich aus religiösem Fundamentalismus und politischem Extremismus speist und einen allumfassenden Geltungsanspruch des islamischen Rechts in einer totalitären Auslegung für alle Bereiche von Staat, Recht und Gesellschaft fordert.

Er befindet sich weltweit auf dem Vormarsch, ist längst auch bei uns angekommen und lehnt in seiner Rückwärtsgewandtheit all die Grundwerte ab, die unser Grundgesetz schützen will: Demokratie, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Religionsfreiheit – jedenfalls die der anderen. Auch in Deutschland schafft sich dieser politische Islam zunehmend Freiräume. In wachsenden Parallelgesellschaften werden grundgesetzkonträre Werte und patriarchalisch-archaische Traditionen gelebt und eingefordert.
Es tut sich zunehmend ein besonderes Spannungsfeld auf zwischen der Religionsfreiheit auf der einen und anderen Grundwerten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung auf der anderen Seite. In die Öffentlichkeit gelangt dieses Thema vor allem dann, wenn gut ausgebildete Einzelpersonen hervortreten, die sich ohne erkennbare Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf andere Grundrechte und -werte unserer Verfassungsordnung energisch auf ihre Grundrechte berufen: die Lehrerin, die im Klassenzimmer mit Kopftuch unterrichten will, auch wenn Eltern, Kinder und Schulleitung das ablehnen; die Rechtsreferendarin, die im Gerichtssaal mit Kopftuch auftreten will, obwohl damit der fatale Eindruck einer religiös motivierten, von der Scharia beeinflussten Rechtsprechung entstünde.
Ich bin gespannt, ob das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund des politischen Islams seine bisherige Auslegung der Religionsfreiheit in Zukunft neu denken wird. Denn in den bisherigen Konfliktfällen entpuppt sich das aktuelle verfassungsrechtliche Verständnis der Religionsfreiheit als ein sehr weites. Es hat keine klaren objektiven Konturen und errichtet hohe Hürden für staatliche Beschränkungen.
Die Religionsfreiheit umfasst nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Rechtslehre nicht nur typisch religiöse Verhaltensweisen wie etwa Gebete oder Gottesdienste. Sie schützt auch Verhaltensweisen, die – wie etwa die Bekleidung – erst und entscheidend durch das subjektive Verständnis der einzelnen Betroffenen zur Religionsausübung werden.

Werfen wir nur einmal einen Blick auf die Vollverschleierung: Auch wenn sie aus vorislamischer Zeit herrührt und man aus dem Koran kein klares Gebot entnehmen kann, erklären betroffene Frauen im Einzelfall, dies sei für sie Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung und geschehe freiwillig – also nicht auf Druck ihres Mannes oder ihrer Familie. Ist die Bekleidung erst einmal zur Religionsausübung erklärt, sind die Hürden für staatliche Beschränkungen hoch und nur zum Schutz überwiegender Grundwerte mit Verfassungsrang zulässig: Weil die Frau aber freiwillig ihre religiöse Pflicht erfülle, könne man für ein Verbot nicht die Menschenwürde anführen, nicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht die negative Religionsfreiheit anderer, die mit einer solchen Glaubensbekundung nicht konfrontiert werden wollen.

Im Zweifel für die selbstbestimmte, emanzipierte Burkaträgerin also? Da erinnert man sich doch, dass Frauen sich mancherorts erst voll verschleierten, nachdem IS-Kämpfer ihr Dorf besetzt hatten. Dass Frauen in vielen muslimischen Ländern noch vor 50 Jahren kaum Kopftuch oder Schleier trugen und selbstverständlich auch studieren durften.

Muss es da nicht ein legitimes Ziel sein, unsere offene Kommunikation zu schützen? Sie ist ein Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Kultur. Echtes Zusammenleben ist für uns nur möglich, wenn wir unserem Gegenüber ins Gesicht sehen können. Warum soll es schützenswert sein, dass jemand in der Öffentlichkeit sein Gesicht verbirgt, sich ausgrenzt und entindividualisiert?
Was ist das für ein schützenswertes Verständnis von Freiheit und Gleichberechtigung, wenn eine Frau voll verschleiert durch die Innenstadt läuft, während der Mann neben ihr kurze Hosen und T-Shirt trägt? Selbst wenn es im Einzelfall eine selbstbestimmte Entscheidung sein mag, legitimiert der Staat mit ihrem Schutz die Unterdrückung der muslimischen Frauen, die zur Verschleierung gezwungen werden, und erhöht den Druck auf diejenigen, die das bisher verweigert haben.
Viele haben Zweifel, ob in Deutschland ein allgemeines Vollverschleierungsverbot in der Öffentlichkeit verfassungsrechtlich zulässig wäre. Ich bin da nicht so pessimistisch. Unser Grundgesetz war immer in der Lage, auf neue Entwicklungen adäquate Antworten zu geben. Die sogenannten IT-Grundrechte etwa wurden ohne eine Verfassungsänderung aus dem Grundgesetz heraus entwickelt. Wenn sich die Zeiten wandeln, kann sich auch die Verfassung wandeln. Gerade wenn weltweit ein fundamentalistischer, intoleranter, nicht integrationsbereiter politischer Islam auf dem Vormarsch ist und Islamisten die Religion als Schutzmantel für ihre politischen Zwecke missbrauchen, muss man die Religionsfreiheit neu denken und in diesem Gesamtkontext neu einordnen.
Widerstreitende Grundrechtspositionen sind stets in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Wenn sich angesichts des politischen Islams herausstellt, dass eine zu weite Auslegung der Religionsfreiheit die Tür zu weit aufstößt für die Einschränkung anderer Grundrechte und damit die Grundrechte anderer zu stark einschränkt, wäre es nur folgerichtig, wenn das Bundesverfassungsgericht die Tür einen Spalt weiter schließen würde.

Das hätte nichts mit einem Rückbau der Verfassung oder gar einem Generalverdacht zu tun, sondern wäre die Folge einer nüchternen Analyse der Realität.
Deshalb sollte man künftig durchaus höhere Anforderungen an die Plausibilität der Behauptung stellen, etwa eine Bekleidung sei Teil der Religionsausübung. Es droht eine Banalisierung der Religionsfreiheit, wenn jedes Verhalten vom Betroffenen in kaum nachprüfbarer Weise zur Religionsausübung erklärt werden kann. Und selbst wenn die Vollverschleierung noch darunter fiele: Wenn der Koran eine solche Bekleidung nicht unmissverständlich vorschreibt und nur fundamentalistische Islamgelehrte dies herauslesen, zählt sie in keinem Fall zum Kernbereich der Religionsausübung, sondern allenfalls zu ihrem Randbereich. Dann sollten auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung einer staatlichen Beschränkung niedriger sein - vor allem wenn es um eine besonders intensive Form der Religionsausübung mit vielen Drittbetroffenen geht.
Grundrechte des Einzelnen sind Teil einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und bestehen auch zu ihrem Schutz und damit im öffentlichen Interesse. Der Einzelne ist nicht nur Individuum, sondern auch Teil einer Gemeinschaft, die ihm diese Rechte verleiht. Deshalb kann man von dem Einzelnen - auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze - ein Mindestmaß an Rücksichtnahme auf die Interessen seiner Mitmenschen verlangen: auf ihre Religionsfreiheit, ihr Erziehungsrecht, ihr Verständnis von der Gleichberechtigung von Mann und Frau und ihre allgemeine Handlungsfreiheit.

Der vom Bundesverfassungsgericht postulierte möglichst „schonende Ausgleich“ der Religionsfreiheit mit widerstreitenden anderen Verfassungsgütern sollte auch tatsächlich so erfolgen und nicht regelmäßig zu Lasten der Allgemeinheit gelöst werden. Die aktuelle Entwicklung sollte auch Anlass sein, der offenen Kommunikation als Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft - zum Beispiel gestützt auf das Demokratieprinzip beziehungsweise die Menschenwürde und die Freiheitsrechte - Verfassungsrang beizumessen und ihr Vorrang vor dem subjektiven Religionsverständnis zu geben.
Ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat muss seine Grundlagen und Grundwerte bestmöglich schützen und verteidigen auch und gerade, wenn er es mit Anhängern eines politischen Islams zu tun hat, die besonders kompromisslos und vehement auf ihre Rechte pochen, und erst recht, wenn sie unsere Werte nicht teilen.   Winfried Bausback

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