Stationen

Freitag, 25. November 2016

Jochen Klepper


(für Björn Höcke)
Eine der weniger bekannten Arbeiten Ernst Jüngers trägt den Titel Das Sanduhrbuch. Dieses mit warmem Herzen verfaßte Gegenstück zum Arbeiter behandelt die mechanische Uhr und ihren erbarmumgslosen Gleichtakt der Zeiteinteilung und mündet in die Beschreibung der behaglicheren Formen der Zeitmessung.


Die Sanduhr wird Jünger zum Sinnbild einer verrieselnden Zeit, deren aufzubrauchender Vorrat oben in Bewegung gerät, um sich unten hoffentlich als Bestand, als Erfahrungs- und Lebensschatz anzusammeln.

Man kann derlei Bilder strapazieren und die Sanduhr als Allegorie für ein Leben nehmen, das den Kopf voll hat, aber vorerst mit leeren Taschen und auf wackligen Beinen dasteht. Mit der Zeit mag sich das Verhältnis umkehren, der Verlust der Möglichkeit, alles Verfügbare in Bewegung zu setzen, wird durch den sicheren Stand und den Umfang des zur Ruhe gelangten Erworbenen aufgewogen. Hölderlin dichtete so:

»Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedlich und heiter ist dann das Alter.«

Wir sind ein alterndes Volk, und die defensivste aller möglichen Zukunftsvorstellungen lautet, daß dieses Volk und dieses müde, ausgekämpfte Abendland sich selbst schonen und verschont bleiben mögen, damit sie das Feierabendbier und die seltenen Kinder in aller Ruhe genießen können. Das Abendland bereisen, solange es noch Reste seiner Schönheit zeigen kann – es gibt keinen Grund, auf die Seychellen zu fliegen, solange man sein Erbe nicht durchschritten hat!
Indes: Schon diese paar Sätze sind nichts weiter als ein Privatprogramm, keinesfalls sind sie politisch, denn ständig drehen die Leute ihre Sanduhr um und verwandeln den ruhenden Bestand in eine erneut rieselnde Möglichkeit, und für unser Volk und Land hat das die große Politik nun wieder getan, wir wissen das alle, denn diese Bewegung, diese Revolution im Wortsinne, hat keinen ausgespart, hat alle erfaßt.

Unser Land ist auf den Kopf gestellt worden wie eine Sanduhr, und nun rieselt es, und das Gute daran ist, daß diejenigen, die uns in Bewegung gebracht haben, nicht wissen, wie sich die Körnchen im unteren Glas verschütten, verdrängen, neu ordnen werden. Denn nichts wird unten sein, wie es oben war, oder präziser und als Auftrag formuliert: Nichts darf unten wieder so sein, wie es oben war, und nachdem es durch den dünnen Kanal der Uhr gerieselt ist, durch die Schleuse zwischen dem Davor und dem Danach. Denn das ist jener Durchgang, den alles passieren muß, was erneut (und ohne Not) in Bewegung gesetzt wurde: aus der Ruhe in ein Ruckeln und Rutschen, hinein in den Trichter und durch die Schleuse.

In aller Arroganz und in Verkennung der Lage vermeint das Establishment, den ausgelösten Sortierungsvorgängen in Politik und Gesellschaft nach Belieben Einhalt gebieten zu können oder sie im Griff zu haben. Aber dem ist nicht so, und wer die erste Handvoll Körner, die durch die Schleuse jagten und sich aufhäuften, bereits für den ganzen Vorgang hält, ist blind für das, was da geschieht, oder weit, weit weg von denen, die nun in den Trichter rutschen:
Pegida, AfD, Identitäre, das ganze publizistische und metapolitische Netzwerk – das alles hat Schockwellen ausgelöst, und weil ein Schock nicht ewig dauert, meinen die Leute vielleicht, es sei ausgestanden. Sie haben keine Ahnung. Sie wissen nicht, was es bedeutet, wenn das Paradigma, die Erzählweise, die Sprechgewohnheiten ins Rutschen geraten, und jeder Einzelne sich neu sortiert. Manchen geschieht das nicht rasch genug, andere wehren sich verzweifelt dagegen, dritte beobachten sich verwundert, belustigt, ernsthaft selbst bei diesem Vorgang. Aber egal, wie wir ihn wahrnehmen und beschreiben: Er läuft ab.

Es gibt aber eine Gefahr, sie rührt davon her, daß es in Schleusenzeiten drei Typen von Sortierern gibt:
Die einen gehörten schon immer zum Establishment und wollen dort bleiben. Die zweiten gehören noch nicht dazu und wollen dorthin. Die dritten wollen eine echte Alternative formulieren und durchsetzen, das Establishment ist ihnen herzlich egal.
Eine Wende, die mehr sein soll als eine Ergänzung der herrschenden Klasse, mehr als das Förderband für die Typen 1 und 2, muß von denen getragen und betrieben werden, die dem 3. Typ angehören. Zu den Verhaltenslehren der Schleusenzeit gehört die Unversöhnlichkeit ebenso wie die Gewißheit, daß der »kleine Mann« (auf der Straße und in jeder Parteibasis) diesen 3. Typ bejubelt, den 1. und 2. aber zwangsläufig abbekommt. Dies gilt es zu verzögern, so lange wie möglich.

Einer, der die Machtmittel zur Stutzung von 1 und 2 in der Hand hielt, war Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig. Ich las heute wieder einmal in Jochen Kleppers Roman Der Vater, und dieser Vater ist ja kein anderer als jener Friedrichs des Großen, den wir wohl nur deswegen so nennen können, weil sein Vater in ihm den Rohdiamanten erkannte und ihn schliff.

Wie er das machte? Einmal beispielsweise so: Er kam von einer seiner Reisen aus den Ostgebieten seines Königreiches zurück, hatte gefördert, Mut gemacht, gegründet, gestiftet und die Hoffnung verbreitet, daß sich der zähe Fleiß einst auszahlen werde, und nun platzte er in eine der Gesellschaften, die seine Ehefrau dafür nutzte, in politischen Phantasien zu schwelgen, den kargen preußischen Hof schlecht zu machen und den Erbprinz seinem Vater zu entfremden.
Es wurde an Tischen um Geld gespielt, und als nun unverhofft der König hereintrat, sah er dort seinen Sohn in neuer Perücke und neuem Kostüm sitzen und den Mittelpunkt jener Günstlinge und Intrigenspinner (Typ 1 und 2) bilden, die ihm so verhaßt waren:
Es gab recht betretene, aber auch sensationslüsterne Gesichter, als der König so unerwartet im Halbrund der Spieltische erschien.
Der König bemerkte, daß Gattin und Tochter sich flüchtig verständigten. Die Königin bot ihm an, in dem Gelben Zimmer neben der Orangerie ihm und einigen der Herren rasch eine Tabagie zu arrangieren. Der König dankte. Dagegen erkundigte er sich unvermittelt, aber nicht unhöflich nach der Herkunft all der unzähligen neuen Dosen – er schätzte, es seien an die zwei- bis dreihundert –, die wie eine kostbare Sammlung auf den Möbeln umherstanden und die er vor der Reise noch nicht bemerkt zu haben glaubte: Dosen aus Gold, Perlmutter und Brillanten, Lapislazuli und Carneol. Er rückte an ihnen hin und her, was den Damen ungezogen schien. Eins der Kästchen griff er heraus.
»Achthundert Taler«, meinte der König, »wozu benötigt man dies?«
Es sei eine neue Mode, erfuhr er. Die Damen nähmen jetzt auch un peu du tabaque. Und zu jedem Kleide wähle man die passende Tabatiere. Das sei jetzt üblich.
Der König schob auf einem japanischen Lacktisch alles, was an Dosen über ihn verstreut war, zusammen.
»Damit können Sie Dörfer retten, meine Damen, in jenem Lande droben im Osten, das Sie zur Königin, zu Prinzessinnen, zu königlichen Hofdamen macht. Im alten Preußen droben ist jetzt Hungern à la mode
Mit kurzem Gruße ging er hinaus. Die Damen umflatterten aufgescheucht die sichtlich angegriffene Königin.
Ich lese dieses Buch solcher Stellen wegen immer wieder.   GK

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