Das Transskript eines kurzfristig und vollmundig angekündigten Beitrags
über die „Gemeinsame Erklärung 2018“ im Kulturmagazin der ARD, ttt.
Anders als angekündigt kam Alice Schwarzer in dem Beitrag nicht vor. Es
gab dazu auch keine Erklärung der Redaktion.
Anmoderation Max (fka Dieter) Moor:
Die Leute, denen Yücel auf den Zeiger geht, sehen sich in Deutschland
gerade wieder mächtig im Aufwind. Es sind längst ja nicht mehr nur
Schnürstiefelträger, die Nationalismus, Rassismus, Herrenmenschen-Denken
wieder aufleben lassen. In der selbstherrlich so genannten „Gemeinsamen
Erklärung Zweitausendundachtzehn“ meldeten sich Intellektuelle zu Wort.
Und sie behaupten, Deutschland würde, Zitat, „durch illegale
Masseneinwanderung beschädigt“. Natürlich wissen diese Leute selbst, das
ist absurd, aber: Es geht hier ja nicht um Tatsachen, sondern um
Suggestion. Alternative Fakten werden einfach so lange penetrant
behauptet, bis sich immer mehr Menschen bedroht fühlen, irgendwie, und
nach dem starken Mann rufen, der endlich aufräumen soll – altbewährtes
Despoten-Rezept, übrigens. Höchste Zeit also, dass jene ihre Stimme
erheben, die für die wirkliche Freiheit einstehen. Es gibt ja nur eine.
Die, die für alle gilt.
Off-Sprecherin: Es geht um die Stimmung im Land.
Eine gemeinsame Erklärung, abgegeben von bekannten Intellektuellen. Uwe
Tellkamp, Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder und Vera Lengsfeld unter
ihnen. Mehr als 100.000 Menschen haben schon unterzeichnet. Deutschland
werde durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt. Und: Die
rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes müsse
wiederhergestellt werden – nicht mehr und nicht weniger sagt diese
Erklärung.
Julia Ebner, Extremismusforscherin: „Die
Äußerung ist natürlich sehr kurz und prägnant und gibt nicht besonders
viele Informationen her. Was mir allerdings gleich im ersten Satz schon
bewusst wurde, ist, dass es sich hier um eine eigentlich Verfälschung
der Fakten handelt.“
Harald Welzer, Sozialpsychologe: „Hier
ist die Rede von Masseneinwanderung, von illegaler Masseneinwanderung,
davon, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch beschädigt wird.“
Michel Friedman, Publizist: „Eine
massenweise illegale Einwanderung gibt es im Jahre 17, 18 nicht mehr in
Deutschland. Es wird aber suggeriert, dass es so sei, und dass es so
weitergehen könne.“
Welzer: „Das ist ungefähr so,
als würden 90.000 Menschen unterschreiben, dass der Mond aus Schweizer
Käse ist und dass er aber dringend aus einem anderen Käse sein müsste.“
Off-Sprecherin: Die Erstunterzeichner sind nicht
irgendwer. Sie selbst zählen sich zur intellektuellen Elite des Landes,
zu den eher Konservativen.
Friedman: „Wenn kluge Menschen,
gebildete Menschen – und darauf legen ja die Erstunterzeichner Wert –,
wenn solche Menschen solche Fehlleistungen machen, dann wissen Sie, was
sie tun. Die Fehlleistung besteht darin, dass sie anderen Menschen in
diesem Land, die Angst haben, die verunsichert sind, noch eins
draufgeben und so tun, als jetzt eine hochqualifizierte Gruppe, eine
intellektuelle Gruppe, eine wissende Gruppe, Ihnen den Stempel
draufdrückt, Sie hätten recht.“
Off-Sprecherin: Sie spielen mit der Angst vor einem
Bevölkerungsaustausch. Die Extremismusforscherin Julia Ebner hat diese
wirkmächtigen Suggestionen der Neuen Rechten untersucht und sich die
Unterzeichnerliste der Erklärung genauer angesehen.
Ebner: „Es sind über 50 Prozent eindeutig
rechten Bewegungen oder dem rechten Umfeld zuzuordnen. Das bedeutet
entweder dem Pegida-AfD-Umfeld oder aber auch wirklich dem neuen rechten
Umfeld. Und wir haben hier mit einer Datenanalyse herausgefunden, dass
35 Prozent der Erstunterzeichner sind eindeutig entweder tatsächlich
aktiv in der Neuen Rechten oder zumindest in dem Umfeld.“
Off-Sprecherin: Die Neuen Rechten wollen die
Diskussion im Land mit ihren Worten und Vorstellungen durchdringen.
Julia Ebner sagt, das sei ihre Strategie, der Schulterschluss mit den
Konservativen des Landes.
Welzer: „Die Akteure, die hier die Wortführer
sind, die sind ja in ihren Absichten erkennbar, und das ist eigentlich
auch gar nicht so schlimm, das kann eine moderne Demokratie auch
verkraften. Aber wenn es gelingt, diese Begrifflichkeiten und die
dahinter sich zeigenden Haltungen verallgemeinert zu machen, so dass
Leute das auch leichthin sagen, ja, oder zum Beispiel dann so etwas
widerspruchs… äh, also widerspruchslos die Behauptung aufzunehmen, es
gebe Masseneinwanderung, einfach nur, weil das gesagt worden ist, dann
verändert sich das komplette politische Gefüge, und es verändert sich
eben von einer zivilisierten, freundlichen Kultur hin zu einer
Angstkultur und einer Ausgrenzungskultur. Und das ist die eigentliche
Gefahr.“
Ebner: „Gerade im Medienhandbuch der Identitären
steht zum Beispiel explizit, dass sie die legitimen Ängste zum Beispiel
vor Migra… vor Immigration, aber auch vor Terrorismus, dass sie das als
wirklich Einstiegspunkt verwenden wollen für ihre … um ihre Ideologien
zu verbreiten, weil sie wissen, dass sie so auch wirklich breitenwirksam
werden können.“
Off-Sprecherin: Und plötzlich scheint es optisch
plausibel. Mit diesen Bildern im Kopf kann jeder türkische Gemüsehändler
als Beweis für einen Bevölkerungsaustausch gesehen werden.
Juli Zeh, Schriftstellerin: „Die Idee,
Deutschland steht irgendwie vor der Apokalypse, durch Einwanderung,
Überfremdung und so weiter, und das tatsächlich in Deutschland im Jahr
2018 – wenn man versucht, es zu evaluieren, wo stehen wir, wie
funktioniert die Justiz, die Wirtschaft, die Polizei, die Sicherheit –
kann man ja alles betrachten – das hat sich völlig voneinander
abgekoppelt. Also, die Emotionen in der Bevölkerung und das, was wir
hier genießen, haben sich sehr weit entfernt, und das finde ich so
besorgniserregend.
Ebner: „Ich denke, jeder, der diese Petition
unterschreibt, sollte sich auch Gedanken darüber machen, was das
eigentlich in der Endkonsequenz heißt, weil, dass man nämlich Bewegungen
wie der identitären Bewegung oder der Neuen Rechten hiermit auch
politische Macht einräumt, und die eigentlich legitim … legi … ja, in
gewisser Weise eine gewisse Legitimität einräumt. Das könnte auch
gefährlich sein, weil die natürlich nicht halt machen vor noch
drastischeren Maßnahmen.“
Off-Sprecherin: Drastischere Maßnahmen – will man sich das wirklich vorstellen?
Welzer: „Na ja, es passiert halt ein extrem
erfolgreiches Agenda-Setting. Und das kann nur deswegen passieren, weil
diejenigen, die eigentlich die Verfahrensweisen einer liberalen
Demokratie, eines liberalen demokratischen Rechtsstaates gut finden, und
das einfach so als unsere Geschäftsgrundlage betrachten, die äußern
sich ja nicht.
Off-Sprecherin: Vielleicht halten die Demokraten die Demokratie ja für zu selbstverständlich. Ein großes Risiko.
Ebner: „Wir befinden uns auf jeden Fall an einem
Wendepunkt, es scheint jetzt sich zu entscheiden, inwiefern diese
Randideologien auch wirklich es schaffen, in den Mainstream befördert zu
werden.“
Off-Sprecherin: Menschenfeindliche Ressentiments,
völkischer Nationalismus – vielleicht ist es so, dass die Demokraten
diesen Angriff auf die liberale Demokratie unterschätzen.
Welzer: „Anstatt sich angegriffen zu fühlen,
greifen Sie zu dem bewährten Mittel der Pädagogisierung, ja, und sagen,
,oh, das haben wir noch nicht genug erklärt‘, ,oh, das haben die noch
nicht richtig verstanden‘, ,oh, wir müssen die jetzt mitnehmen‘. Und das
ist im Kern unpolitisch.“
Off-Sprecherin: Diese Haltung setzt der
Wirkmächtigkeit ihrer Bilder nichts entgegen. Was fehlt, ist die
ernsthafte Konfrontation, auch mit den Ursachen des rechten Protests.
Juli Zeh: „Also, es bringt nichts, die
auszusortieren, und zu sagen, die sind alle dumm, die sind alle Nazis,
die sind alle aggressiv, die sind alle gefährlich, also, das wird nur
dazu führen, dass sich immer, immer mehr Menschen, die unzufrieden sind
und sich diskriminiert fühlen, unter so ‚nem Label versammeln. Also, ich
glaube, damit kommen wir nicht weiter.
Off-Sprecherin: Es muss sich also was tun. Selbstgewissheit und Bequemlichkeit war gestern.
Friedman: „Mir geht eins besonders momentan auf
die Nerven: diese scheinbare Lähmung, ,Ja, was soll man denn jetzt
tun?', ,Wie soll man denn mit AfD-lern umgehen?', ,Wie soll man mit
Menschen umgehen, in denen Rassismus ein Alltag ist, oder ein Teil ihres
Bewusstseins?' Ja, reden, streiten. Streiten, reden. Argumentieren!
Off-Sprecherin: Dabei sollten wir wissen, was uns wirklich wichtig ist.
Friedman: „Jeder ist jemand. Und niemand ist
niemand. Und niemand hat das Recht, irgendeinen Menschen zum Niemand zu
machen. Darüber sollten die Unterzeichner ein bisschen nachdenken. Über
die Diskussion freue ich mich sehr.“
Moor, Überleitung zum nächsten Beitrag: Er weiß sehr
genau, was es bedeutet, wenn die Rassisten und Herrenmenschen im Lande
das Sagen haben. Er ist in einer jüdischen Familie aufgewachsen in
Südafrika … HMB
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