Stationen

Montag, 9. April 2018

Tz, tz, tz - wortwörtlich

Das Transskript eines kurzfristig und vollmundig angekündigten Beitrags über die „Gemeinsame Erklärung 2018“ im Kulturmagazin der ARD, ttt. Anders als angekündigt kam Alice Schwarzer in dem Beitrag nicht vor. Es gab dazu auch keine Erklärung der Redaktion.
Anmoderation Max (fka Dieter) Moor:
Die Leute, denen Yücel auf den Zeiger geht, sehen sich in Deutschland gerade wieder mächtig im Aufwind. Es sind längst ja nicht mehr nur Schnürstiefelträger, die Nationalismus, Rassismus, Herrenmenschen-Denken wieder aufleben lassen. In der selbstherrlich so genannten „Gemeinsamen Erklärung Zweitausendundachtzehn“ meldeten sich Intellektuelle zu Wort. Und sie behaupten, Deutschland würde, Zitat, „durch illegale Masseneinwanderung beschädigt“. Natürlich wissen diese Leute selbst, das ist absurd, aber: Es geht hier ja nicht um Tatsachen, sondern um Suggestion. Alternative Fakten werden einfach so lange penetrant behauptet, bis sich immer mehr Menschen bedroht fühlen, irgendwie, und nach dem starken Mann rufen, der endlich aufräumen soll – altbewährtes Despoten-Rezept, übrigens. Höchste Zeit also, dass jene ihre Stimme erheben, die für die wirkliche Freiheit einstehen. Es gibt ja nur eine. Die, die für alle gilt.
Off-Sprecherin: Es geht um die Stimmung im Land. Eine gemeinsame Erklärung, abgegeben von bekannten Intellektuellen. Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder und Vera Lengsfeld unter ihnen. Mehr als 100.000 Menschen haben schon unterzeichnet. Deutschland werde durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt. Und: Die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes müsse wiederhergestellt werden – nicht mehr und nicht weniger sagt diese Erklärung.
Julia Ebner, Extremismusforscherin: „Die Äußerung ist natürlich sehr kurz und prägnant und gibt nicht besonders viele Informationen her. Was mir allerdings gleich im ersten Satz schon bewusst wurde, ist, dass es sich hier um eine eigentlich Verfälschung der Fakten handelt.“
Harald Welzer, Sozialpsychologe: „Hier ist die Rede von Masseneinwanderung, von illegaler Masseneinwanderung, davon, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch beschädigt wird.“
Michel Friedman, Publizist: „Eine massenweise illegale Einwanderung gibt es im Jahre 17, 18 nicht mehr in Deutschland. Es wird aber suggeriert, dass es so sei, und dass es so weitergehen könne.“
Welzer: „Das ist ungefähr so, als würden 90.000 Menschen unterschreiben, dass der Mond aus Schweizer Käse ist und dass er aber dringend aus einem anderen Käse sein müsste.“
Off-Sprecherin: Die Erstunterzeichner sind nicht irgendwer. Sie selbst zählen sich zur intellektuellen Elite des Landes, zu den eher Konservativen.
Friedman: „Wenn kluge Menschen, gebildete Menschen – und darauf legen ja die Erstunterzeichner Wert –, wenn solche Menschen solche Fehlleistungen machen, dann wissen Sie, was sie tun. Die Fehlleistung besteht darin, dass sie anderen Menschen in diesem Land, die Angst haben, die verunsichert sind, noch eins draufgeben und so tun, als jetzt eine hochqualifizierte Gruppe, eine intellektuelle Gruppe, eine wissende Gruppe, Ihnen den Stempel draufdrückt, Sie hätten recht.“
Off-Sprecherin: Sie spielen mit der Angst vor einem Bevölkerungsaustausch. Die Extremismusforscherin Julia Ebner hat diese wirkmächtigen Suggestionen der Neuen Rechten untersucht und sich die Unterzeichnerliste der Erklärung genauer angesehen.
Ebner: „Es sind über 50 Prozent eindeutig rechten Bewegungen oder dem rechten Umfeld zuzuordnen. Das bedeutet entweder dem Pegida-AfD-Umfeld oder aber auch wirklich dem neuen rechten Umfeld. Und wir haben hier mit einer Datenanalyse herausgefunden, dass 35 Prozent der Erstunterzeichner sind eindeutig entweder tatsächlich aktiv in der Neuen Rechten oder zumindest in dem Umfeld.“
Off-Sprecherin: Die Neuen Rechten wollen die Diskussion im Land mit ihren Worten und Vorstellungen durchdringen. Julia Ebner sagt, das sei ihre Strategie, der Schulterschluss mit den Konservativen des Landes.
Welzer: „Die Akteure, die hier die Wortführer sind, die sind ja in ihren Absichten erkennbar, und das ist eigentlich auch gar nicht so schlimm, das kann eine moderne Demokratie auch verkraften. Aber wenn es gelingt, diese Begrifflichkeiten und die dahinter sich zeigenden Haltungen verallgemeinert zu machen, so dass Leute das auch leichthin sagen, ja, oder zum Beispiel dann so etwas widerspruchs… äh, also widerspruchslos die Behauptung aufzunehmen, es gebe Masseneinwanderung, einfach nur, weil das gesagt worden ist, dann verändert sich das komplette politische Gefüge, und es verändert sich eben von einer zivilisierten, freundlichen Kultur hin zu einer Angstkultur und einer Ausgrenzungskultur. Und das ist die eigentliche Gefahr.“
Ebner: „Gerade im Medienhandbuch der Identitären steht zum Beispiel explizit, dass sie die legitimen Ängste zum Beispiel vor Migra… vor Immigration, aber auch vor Terrorismus, dass sie das als wirklich Einstiegspunkt verwenden wollen für ihre … um ihre Ideologien zu verbreiten, weil sie wissen, dass sie so auch wirklich breitenwirksam werden können.“
Off-Sprecherin: Und plötzlich scheint es optisch plausibel. Mit diesen Bildern im Kopf kann jeder türkische Gemüsehändler als Beweis für einen Bevölkerungsaustausch gesehen werden.
Juli Zeh, Schriftstellerin: „Die Idee, Deutschland steht irgendwie vor der Apokalypse, durch Einwanderung, Überfremdung und so weiter, und das tatsächlich in Deutschland im Jahr 2018 – wenn man versucht, es zu evaluieren, wo stehen wir, wie funktioniert die Justiz, die Wirtschaft, die Polizei, die Sicherheit – kann man ja alles betrachten – das hat sich völlig voneinander abgekoppelt. Also, die Emotionen in der Bevölkerung und das, was wir hier genießen, haben sich sehr weit entfernt, und das finde ich so besorgniserregend.
Ebner: „Ich denke, jeder, der diese Petition unterschreibt, sollte sich auch Gedanken darüber machen, was das eigentlich in der Endkonsequenz heißt, weil, dass man nämlich Bewegungen wie der identitären Bewegung oder der Neuen Rechten hiermit auch politische Macht einräumt, und die eigentlich legitim … legi … ja, in gewisser Weise eine gewisse Legitimität einräumt. Das könnte auch gefährlich sein, weil die natürlich nicht halt machen vor noch drastischeren Maßnahmen.“
Off-Sprecherin: Drastischere Maßnahmen – will man sich das wirklich vorstellen?
Welzer: „Na ja, es passiert halt ein extrem erfolgreiches Agenda-Setting. Und das kann nur deswegen passieren, weil diejenigen, die eigentlich die Verfahrensweisen einer liberalen Demokratie, eines liberalen demokratischen Rechtsstaates gut finden, und das einfach so als unsere Geschäftsgrundlage betrachten, die äußern sich ja nicht.
Off-Sprecherin: Vielleicht halten die Demokraten die Demokratie ja für zu selbstverständlich. Ein großes Risiko.
Ebner: „Wir befinden uns auf jeden Fall an einem Wendepunkt, es scheint jetzt sich zu entscheiden, inwiefern diese Randideologien auch wirklich es schaffen, in den Mainstream befördert zu werden.“
Off-Sprecherin: Menschenfeindliche Ressentiments, völkischer Nationalismus – vielleicht ist es so, dass die Demokraten diesen Angriff auf die liberale Demokratie unterschätzen.
Welzer: „Anstatt sich angegriffen zu fühlen, greifen Sie zu dem bewährten Mittel der Pädagogisierung, ja, und sagen, ,oh, das haben wir noch nicht genug erklärt‘, ,oh, das haben die noch nicht richtig verstanden‘, ,oh, wir müssen die jetzt mitnehmen‘. Und das ist im Kern unpolitisch.“
Off-Sprecherin: Diese Haltung setzt der Wirkmächtigkeit ihrer Bilder nichts entgegen. Was fehlt, ist die ernsthafte Konfrontation, auch mit den Ursachen des rechten Protests.
Juli Zeh: „Also, es bringt nichts, die auszusortieren, und zu sagen, die sind alle dumm, die sind alle Nazis, die sind alle aggressiv, die sind alle gefährlich, also, das wird nur dazu führen, dass sich immer, immer mehr Menschen, die unzufrieden sind und sich diskriminiert fühlen, unter so ‚nem Label versammeln. Also, ich glaube, damit kommen wir nicht weiter.
Off-Sprecherin: Es muss sich also was tun. Selbstgewissheit und Bequemlichkeit war gestern.
Friedman: „Mir geht eins besonders momentan auf die Nerven: diese scheinbare Lähmung, ,Ja, was soll man denn jetzt tun?', ,Wie soll man denn mit AfD-lern umgehen?', ,Wie soll man mit Menschen umgehen, in denen Rassismus ein Alltag ist, oder ein Teil ihres Bewusstseins?' Ja, reden, streiten. Streiten, reden. Argumentieren!
Off-Sprecherin: Dabei sollten wir wissen, was uns wirklich wichtig ist.
Friedman: „Jeder ist jemand. Und niemand ist niemand. Und niemand hat das Recht, irgendeinen Menschen zum Niemand zu machen. Darüber sollten die Unterzeichner ein bisschen nachdenken. Über die Diskussion freue ich mich sehr.“
Moor, Überleitung zum nächsten Beitrag: Er weiß sehr genau, was es bedeutet, wenn die Rassisten und Herrenmenschen im Lande das Sagen haben. Er ist in einer jüdischen Familie aufgewachsen in Südafrika …   HMB

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