Als jüngst in der Passionszeit die Arie „Erbarme Dich“ aus
Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion von einem griechischen Freund in
seinen Blog gestellt wurde, konnte ich miterleben, wie er von seinen
Mitbürgern Reaktionen der eigenen Art erntete. „Und das auf deutsch“ und
„Wußte gar nicht, daß die deutsche Sprache das Wort ‘Erbarmen’ kennt“
waren noch die zurückhaltendsten Kommentare.
Wird es nach der
Entfremdung zwischen Griechenland und Deutschland nun auch zu einer
Entfremdung zwischen Italien und Deutschland kommen?
Zunächst sollte das politische Deutschland zur Kenntnis
nehmen, daß die Diskriminierung der nun regierenden
Anti-Establishment-Parteien in den deutschen Medien, allen voran in den
öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, in Italien auf Unverständnis,
ja auf Zorn stößt. Die Italiener lesen in ihren Zeitungen und hören
durch Telefonanrufe ihrer in Deutschland lebenden Verwandten und
Freunde, daß sie rechtsextreme und verachtenswert populistische Parteien
gewählt hätten.
Italien war immer ein Weichwährungsland
Mag man sich bei uns mit einem Achselzucken daran gewöhnt
haben, daß im politischen Diskurs zwischen Rechts und Rechtsextrem nicht
mehr unterschieden und Populismus als Schimpfwort verwendet wird, aber
nun wird diese verquere deutsche Eigenart auf Italien projiziert. Dessen
Bevölkerung fühlt sich dadurch mißverstanden, auf arrogante Weise
belehrt und beleidigt. Erkennen wir an: Bei einer Jugendarbeitslosigkeit
von 30 Prozent, in Süditalien sogar von 50 Prozent, kann man es den
italienischen Wählern nicht verübeln, wenn sie nach einer politischen
Alternative suchen – die sich zudem im Rahmen der italienischen
Verfassung bewegt.
Von deutscher Seite sollte zudem akzeptiert werden, daß
Italien mit dem Euro wirtschaftlich und damit auch gesellschaftlich auf
Dauer nicht überleben kann. Nicht zuletzt wegen der besonderen
Verhältnisse des italienischen Südens, aber auch allgemein aus
wirtschaftlichen und Mentalitätsgründen war Italien immer ein
Weichwährungsland. Die Älteren von uns werden sich noch erinnern, daß
man in den 1960er Jahren für eine D-Mark etwa 200 Lire bekam, Ende der
neunziger Jahre aber bereits 1.200 Lire.
Italien mußte seine Wettbewerbsfähigkeit stets durch einen
gewissen Währungsverfall herstellen. Es ist deshalb nicht so verrückt,
wie es in unseren deutschen Ohren klingt, wenn die neue italienische
Regierung nun anstelle der ihr nicht mehr möglichen schrittweisen
Währungsanpassung einerseits die schrittweise Streichung von
Staatsschulden fordert und andererseits die Anerkennung einer weiteren
Steigerung ihrer Staatsverschuldung.
EU sollte Italien beim Euro-Ausstieg helfen
Umgekehrt können die neuen italienischen
Regierungsparteien und ihre Anhänger nicht schnell genug begreifen, daß
Deutschland dieser Ausweg versperrt ist. Das Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Maastricht-Urteil die Forderungen unseres Grundgesetzes an
einen europäischen Staatenverbund aufgezählt. So heißt es, den
Mitgliedstaaten sei die Pflicht auferlegt, übermäßige öffentliche
Defizite zu vermeiden.
Auch sei der Europäischen Zentralbank
eine Staatsfinanzierung nicht erlaubt. Das Europäische Vertragsrecht
setze Vorgaben, die „letztlich – als Ultima ratio – beim Scheitern der
Stabilitätsgemeinschaft auch einer Lösung aus der Gemeinschaft nicht im
Wege stehen“. Diese Konzeption der Währungsunion als
Stabilitätsgemeinschaft sei Grundlage des deutschen Zustimmungsgesetzes.
Die italienische Regierung muß also verstehen, daß sich Deutschland nur
im Rahmen dieses Gesetzes an der Währungsunion beteiligen darf.
Der Wählerauftrag auf italienischer Seite und die
höchstrichterlich vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der
Wirtschafts- und Währungsunion – sie sind unvereinbar. Die Europäische
Union wäre gut beraten, Italien bei einem schrittweisen Ausstieg aus dem
Euro zu unterstützen. Die Ausgabe handelbarer staatlicher
Kleinbetrags-Schuldscheine und damit die Schaffung einer Parallelwährung
könnte ein möglicher, wenn auch nicht unproblematischer Lösungsansatz
sein.
Souveränität ist das Recht eines Volkes über sich selbst zu bestimmen
Keinen Ausweg bieten die Vorschläge des französischen
Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Was die Zukunft der Europäischen
Union anbetrifft, muß man den einzelnen Mitgliedstaaten mehr Luft
lassen, anstatt das Korsett immer enger zu schnüren. Vor allem die Idee
eines europäischen Währungsfonds, der Rettungskredite mit einer Laufzeit
von 30 Jahren vergibt, die mit Auflagen für weitreichende
Strukturreformen verknüpft wären, ist nach diesem Maßstab der falsche
Weg.
Der Élysée-Palast hat nun nach dem Europa-Interview der Bundeskanzlerin in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
erklärt, Merkel nähere sich „bei allen Themen der europäischen
Souveränität den französischen Zielen an“. Mit dem Begriff „europäische
Souveränität“ wird mit begrüßenswerter Ehrlichkeit gesagt, daß es bei
den von der deutschen Bundeskanzlerin im Grundsatz unterstützten
französischen Vorstellungen um den Versuch geht, den Ausweg in einer
europäischen Staatlichkeit zu suchen.
Souveränität bezeichnet im Völkerrecht die Unabhängigkeit
eines Staates, über sich selbständig zu bestimmen. Beim Träger der
Souveränität liegt die Kompetenz-Kompetenz, also das Recht,
Zuständigkeiten zuzuweisen und zu verändern. Dies ist das Merkmal eines
Bundesstaates. Nach dem Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
darf Deutschland aus Gründen des Demokratie-Gebotes lediglich einem
Verbund souveräner Mitgliedstaaten beitreten, und diesem Verbund ist
eine Kompetenz-Kompetenz in dem genannten Urteil ausdrücklich untersagt.
Die Stunde der Wahrheit rückt näher.
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Dr. Manfred Brunner, Rechtsanwalt, klagte 1993 gegen den Maastricht-Vertrag. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde zurück.
Angela Merkel legionem romanam inspicit
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