Klonovsky kommentiert die Gastarbeiterwertschätzungsrede Steinmeiers:
Dass der aktuelle Bundespräsident, wenn er indigniert Rückschau auf die deutsche Geschichte hält, dies ungefähr auf dem Differenzierungsniveau eines DDR-Staatsbürgerkundelehrers tut, habe ich in meinem Diarium bisweilen pflichtschuldig dokumentiert (hier etwa und hier). Augenscheinlich empfindet Steinmeier keine besonders große Sympathie für das Volk, welches er repräsentiert – was ich verstehen könnte, nur warum wird so einer dann Bundespräsident? –, sondern er beschuldigt, bezichtigt und belehrt es lieber, auch retrospektiv. Die deutsche Geschichte scheint ihm kaum mehr zu taugen denn als ein Steinbruch für immer neue Vorwürfe an die Adresse der Lebenden.
Nun hat Steinmeier den Festakt zum 60. Jahrestag des Gastarbeiteranwerbeabkommens mit der Türkei zum Anlass einer weiteren Abrechnung mit seinen fremdenfeindlichen, rassistischen und islamophoben Landsleuten genommen, wobei ich nicht leugnen möchte, dass es solche Harthirne unter den Deutschen gab und gibt und immer geben wird, denn alle Völker verachten einander und alle haben recht, wie Karl Kraus in gebotener Sachlichkeit feststellte. Ich kenne übrigens eine Reihe entzückender Türken, und ich meine damit nicht einmal zuerst Akif Pirincci. Gewiss, die meisten Türken sind schlecht in die deutsche Gesellschaft integriert, denn ein normaler Türke ist stolz, steht gerade, rasiert sich den Nacken aus, isst gern Fleisch, stiege niemals vom Auto aufs Lastenfahrrad um, verteidigt seine Familie, glaubt an Gott, gendert seine Sprache nicht, egal welche, und lässt sich partout nicht einreden, dass er sein Geschlecht frei wählen könne. Man missverstehe meine folgenden Ausführungen trotzdem nicht als turkophob! Nur das Laster der Wahrheitsliebe verleitet mich, dem Bundespräsidenten da und dort sanft zu widersprechen.
Blicken wir denn mit Pahl-Rugensteinmeier in den Brunnen der deutsch-türkischen Vergangenheit, ins Jahr des Herrn 1961.
„Die Realität, in der die Menschen damals ankamen, folgte eher einer Logik des messbaren Nutzwerts als der großer Visionen. Und dieser Nutzwert war nur auf Zeit angelegt. Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei vom 30. Oktober 1961 war kein Akt der Nächstenliebe oder gar ein Zeichen fortschrittlicher Zuwanderungspolitik. Deutschland war knapp an Arbeitskräften. Die Optionen lauteten: Entweder Wachstumsverzicht oder Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland.” *
Wie es aussieht, wenn sich die hier „Nächstenliebe” genannte Fernstenliebe mit einer „forschrittlichen Zuwanderungspolitik” verknüpft, wissen gerade wir als Deutsche ja erst seit 2015ff. ! Aber was die Gründe des Anwerbeabkommens betrifft, flunkert der temporäre Insasse des Schlosses Bellevue ein bisschen, wahrscheinlich gewohnheitsmäßig. Es waren nämlich vor allem die Amerikaner, die darauf drängten, den NATO-Partner Türkei als geostrategischen Pfahl im Fleische des Sowjetimperiums zu unterstützen, was bereits damals auf ein Abfließen des Bevölkerungsüberschusses hinauslief, denn viele Türken fanden in ihrer überwiegend agrarisch strukturierten Heimat keine Arbeit mehr.
„Die Türkei hatte ein erhebliches Interesse daran, einen Teil der rasch anwachsenden Bevölkerung befristet als Gastarbeiter ins Ausland zu schicken. Neben der Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes versprach sie sich zu Recht dringend benötigte Deviseneinnahmen sowie einen Modernisierungsschub durch zurückkehrende Gastarbeiter, die sich entsprechende Qualifikationen angeeignet haben würden. Rund 77 Prozent der Erwerbstätigen waren damals in der Landwirtschaft tätig, nur etwa zehn Prozent in der Industrie”, schreibt Stefan Luft in seinem Buch „Abschied von Multikulti”.
Der Bundesrepublik blieb keine Wahl. Was der Hegemon befahl, musste der kleine NATO-Partner ausführen. 1961 wurde die Richtung künftiger Migrationsströme vorgeschrieben. Der Unterschied zu den späteren deutschen Willkommensdelirien bestand darin, dass weiland noch Politiker das Land regierten (im weitesten Sinne), die versuchten, die Dinge vom Ende her zu sehen, und sich ein Gewissen daraus machten.
(Quelle)
„Die bessere Zukunft wird es nicht geben, solange Ausgrenzung, Vorurteile, Ressentiments den Alltag unserer Gesellschaft immer noch durchziehen”, statuiert mehr als vierzig Jahre später Schmidts Genosse Steinmeier. Wahrscheinlich meint er damit Äußerungen wie die Folgenden, für die ein Politiker heute multimedial geteert und innerparteilich gefedert würde:
„Mich erschüttert es”, beteuert Steinmeier, „wenn Menschen mit anderer Hautfarbe, Sprache oder Religion bis heute zur Zielscheibe von Hass und Hetze werden. Wenn sie angefeindet werden, im Netz oder auf der Straße. Wir wissen doch: Das sind nicht nur Worte, sondern das ist ein Gift, das Wirkung hat. Das ist ein Gift, das immer wieder Menschen glauben macht, sie dürften im Namen eines angeblichen Volkswillens andere Menschen demütigen, bedrohen, jagen oder gar ermorden.”
Als Beispiele nennt der deutsche Chefankläger „die niederträchtigen Morde des NSU, die Toten in Mölln und Solingen und Hanau”. Mit der eurozentrisch-exklusiven Formulierung „andere Hautfabe, Sprache und Religion” meint er ersichtlich Nichtdeutsche. Die Menschen anderer Hautfarbe, Sprache und Religion, die zum Beispiel am Berliner Breitscheidplatz, in Chemnitz, Würzburg, Dresden oder Köln zur Zielscheibe feindlicher Fremder wurden, passen thematisch, das wird jeder verstehen, nicht in eine solche Rede. Ebensowenig wie die alljährlich fünfstellige Zahl von Deutschen, die Opfer von Zuwandererkriminalität werden, denn diese Zuwanderer sind ja keine Türken. Freilich: Werden tatsächlich ausgerechnet Türken in ’schland derzeit wegen ihrer „Hautfarbe, Sprache oder Religion zur Zielscheibe von Hass und Hetze”? Werden sie „angefeindet, im Netz oder auf der Straße”? Oder aus anderen Gründen? Solchen vielleicht:
Halten wir hier inne und fest: Die Gastarbeiter kamen, weil die Amis, die Türken und nicht zuletzt womöglich Allah das so wollten, und der damaligen Generation deutscher Ausgrenzungs- und Hass-Politiker schwante für die Folgen nichts ausschließlich Gutes, sogar zwei – offenbar machtlose – Kanzler hätten den Zustrom gern gedrosselt. Ein Genosse von Schmidt und Steinmeier, der Herr Sarrazin, hat 2010 die große, nicht wirklich rosige Zwischenbilanz gezogen. Wobei die Türken unter den muslimischen Einwanderern die geringste Schelte verdienen!
„Wir nannten sie Gäste”, fährt Steinmeier unbeirrt fort, zitiert daraufhin zustimmend die germanophobe Linksradikale Ferda Ataman mit den Worten: „Wir sind doch keine Gäste in einem Haus, das wir selbst mitgebaut haben”, und setzt für diejenigen, die es noch nicht begriffen haben, hinzu: „Diejenigen, die an dem Fundament des gemeinsamen Hauses damals gebaut haben, um sie geht es heute.”
Am Fundament. Hmm. Wieder daneben, und diesmal nicht gerade knapp. Der Topos, dass die türkischen Gastarbeiter am Wirtschaftswunder mitwerkelten, gehört allerdings inzwischen zum Standardrepertoire des Multikultibegleitgeschwafels. Ich habe hier schon mehrfach darüber geschrieben, heute nur die Kurzfassung:
Als das Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit der Türkei unterzeichnet wurde, herrschte in Westdeutschland Vollbeschäftigung. Vorausgegangen war ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, das anno 1955, im wachstumsstärksten Jahr der deutschen Geschichte, den Begriff „Wirtschaftswunder”** hervorbrachte. Die Investitionen waren von 1952 bis 1960 um 120 Prozent, das Bruttosozialprodukt um 80 Prozent gestiegen. Die deutsche Automobilindustrie hatte ihre Produktion zwischen 1950 und 1960 verfünffacht. Industrie und Dienstleister konnten innerhalb weniger Jahre zwei Millionen Arbeitslose sowie die Arbeitsfähigen unter den acht Millionen Vertriebenen und den 2,7 Millionen Menschen, die aus der DDR geflohen waren, in Lohn und Brot bringen. Im Jahr des Anwerbeabkommens lag die Arbeitslosigkeit unter einem Prozent, eine absurd niedrige Quote, die tatsächlich einen akuten Arbeitskräftemangel beschreibt. Kein muslimischer Gastarbeiter war an diesem Aufschwung beteiligt. Nur weil das Land mitsamt seiner Industrie und Infrastruktur wieder aufgebaut war, konnte es überhaupt ausländische Arbeitnehmer beschäftigen.
Mir ist egal, was aus den Tatsachen, aber nicht, was aus ihren Verdrehungen folgt, wie gut gemeint sie auch sein mögen.
Ende der Durchsage. MK
*So was nennt man ein Musterbeispiel von sozialdemokratischem Klischee. Und von sozialdemokratischer, auf die eigene pfiffige Verdachtspose stolzer Dummheit. Für diesen Menschenschlag zählt nur eines: die (pseudo)moralische Eitelkeit. Und das billigste Mittel, um derselben zu schmeicheln, besteht darin, den Unternehmern, die das Land am Laufen halten, irgendetwas moralisch Fragwürdiges anzuhängen.
**Dieser Begriff ist nicht deutschlandexklusiv und er zielt auch nicht nur auf die deutsche Wirtschaftsleidtung ab. Auch in Italien wird die Zeit des in Westeuropa durch den Marshallplan in Gang gesetzten Wirtschaftsbooms als "miracolo economico" bezeichnet.
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