Stationen

Mittwoch, 21. März 2018

Der tote Punkt

Gehört der Buddhismus zu Deutschland? Der Hinduismus? Voodoo? Oder will da etwa jemand ausgrenzen?
Anders gefragt: Gibt es überhaupt irgendetwas, das nicht zu Deutschland gehört?


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"Was weiß die Zigarre über Männer und Frauen?" Mit dieser Frage, die sich explizit nicht auf jene Zigarre bezieht, deren Genuss sich Monica Lewinsky und Bill Clinton im Oral Office geteilt haben sollen, eröffnet der Tagesspiegel einen Tusch zum 80. Wiegenfest der Historikerin Karin Hausen. Die Dame wird als eine Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung gewürdigt (ein historisches Gebiet, das bestimmt genau so spannend ist wie die Geschichte der Arbeiterbewegung). Frau Hausen ist Feministin, aber Gendersternchen, Unterstriche und auch den Terminus "Gender" mag sie nicht recht: "Ich bevorzuge das deutsche Wort Geschlecht. Es ist so hinreißend vieldeutig, Menschengeschlecht, Adelsgeschlecht, Geschlechtskrankheiten ..." (Wobei: Genderkrankheiten?) Vielleicht ist sie Wissenschaftlerin genug, um den Unterschied zwischen Begriffen, mit denen sich sinnvoll arbeiten lässt, und ideologischen Konstrukten zu erfassen, vielleicht ist sie auch nur zu früh geboren, um schon richtig brainwashed zu sein, vielleicht beides zusammen.

Aber was hat es mit der Zigarre auf sich? Am Beispiel der Tabakswickel lasse sich zeigen, referiert der Tagesspiegel eine These der Historikerin, "wie im 19. Jahrhundert die Handlungs- und Spielräume von Männern und Frauen neu definiert wurden. Männer rauchten Zigarren, Frauen nicht, und wenn eine Frau es doch tat, wie etwa die Französin George Sand, so wurde das als ein demonstratives Überschreiten der Geschlechterordnung von vielen – Männern wie Frauen – abgelehnt." Eine weit eindrucksvollere und exzessivere Zigarrenraucherin als die Chopin-Dulcinea war übrigens die letzte Favoritin von Liszt, die aus Polen stammende Fürstin Caroline Sayn-Wittgenstein, Ehefrau des Prinzen Nikolaus zu Sayn-Wittgenstein, Sohn eines in russischen Diensten stehenden Generalfeldmarschalls. Sie war Liszt in Kiew begegnet und hatte ihren Gatten und ihre 30.000 Leibeigenen verlassen, um fortan nur ihm zu folgen. Zuvor hatte sie sich durch einen Grundstücksverkauf eine Million Rubel beschafft. Sie muss eine sehr eindrucksvolle Person gewesen sein, nicht nur was ihre Art der Partnerwahl, ihren Zigarrenkonsum und ihre geistig-literarischen Neigungen betraf, sondern auch habituell. Einer Anekdote zufolge soll sie den redseligen Egozentriker Richard Wagner derart zusammengefaltet haben, dass der wie ein Kind verstummte; kaum einem Sterblichen ist das je gelungen. Aber das waren Exzentrikerinnen und Heroinen.

Da nur Männer Zigarren oder Pfeife rauchten und sich zum Rauchen in separate Räume zurückzogen, interpretiert Hausen das Tabakrauchen als eine "bedeutungsvolle Grenzmarkierung". Ein gewisses Maß an Geschlechtertrennung ist freilich der Normalzustand in sämtlichen Weltkulturen; einzig der Westen hat es fertiggebracht, Männer und Frauen nicht nur gleichzustellen, sondern Frauen buchstäblich jedes männliche Refugium zu öffnen. Die Holden können, wenn sie denn wollen, zur Armee gehen, boxen, Eishockey spielen, Pfeife rauchen, Physikerinnen oder, wahrscheinlicher, Politikerinnen werden und sich bei den Wiener Philharmonikern einklagen. Die Frage, ob das im beispielsweise ästhetischen Sinne wünschenswert ist, stellt sich nicht mehr, denn wir haben ja individuelle Wahlfreiheit. Aber alle Möglichkeiten der partiellen Männerdomäneneroberung oder Vermännlichung sind für die meisten Frauen bis heute vollkommen uninteressant. Ich kenne beispielsweise Dutzende Frauen, die an der Zigarre ziehen, aber keine einzige, die sie bis zu Ende rauchen wollte.

Das wirklich Rätselhafte, ja dialektisch Tückische an dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass der Westen durch die, nein, nehmen wir die Kausalität heraus: parallel zur Gleichstellung der Frauen wehrlos geworden ist. Die individuelle Wahlfreiheit hat ihren Zenit erreicht. Noch ein paar Jahrzehnte, dann werden womöglich Verhältnisse hergestellt sein, bei denen nicht viel von dieser Art Emanzipation übrig bleibt. Der wachsende Rest der Welt kennt sie ohnehin nicht.   MK am 21.

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