Es war einmal – so kann die Geschichte beginnen
– eine Buchhändlerin namens Susanne Dagen in Dresden-Loschwitz. Ihr
Laden lag und liegt auch heute noch nah an der Elbe; wer das Blaue
Wunder überquert, die Stahlbrücke über den Fluß, der biegt rechts in ein
Gässchen ein und steht nach ein paar Schritten vor dem Kulturhaus
Loschwitz, dem Haus Susanne Dagens,
einem Häuschen aus dem 19. Jahrhundert in einer Umgebung, die schon sehr
süddeutsch aussieht: Häuser mit Vorgärten, Kopfsteinpflaster,
Weinwirtschaften. Unten in ihrem Haus befindet sich eine Buchhandlung,
oben ein Veranstaltungsraum, im Nebengebäude Wohnung und ein Zimmer für
Literaturstipendiaten. Zu ihr kommt vor allem das Bürgerpublikum von den
Elbhängen. Vor Weihnachten immer Thomas de Maizière, bis vor kurzem
noch Bundesinnenminister, um Bücher zum Verschenken zu kaufen. Die
Autoren Uwe Tellkamp und Durs Grünbein, viele andere Leser. Zweimal
bekam Dagen die Auszeichnung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
als „Buchhändlerin des Jahres“. Hier endet die Geschichte von der Frau,
die als Institution in Dresden gilt beziehungsweise galt. Und es
beginnt das Stück. „Die verlorene Ehre der Susanne D.“, das spätestens
ab Herbst 2017 von praktisch jedem Medium geschrieben wurde.
Schon vor
der Frankfurter Buchmesse hatte sie sich mit einem SPIEGEL-Autor
unterhalten, der Material für eine der üblichen
Was-ist-eigentlich-im-Osten-los-Geschichten sammelte. Sie kamen auch auf
die Pegida-Demonstrationen zu sprechen. Dagen sagte einfach, was sie
meinte: Sie sei auf keine Pegida-Demonstration gegangen, aber sie finde
es grundsätzlich gut und interessant, dass sich Leute mit ihrer
politischen Meinung auf der Straße äußern. Seitdem schreibt praktisch
jedes politisch wohlmeinende Blatt – wie vor ein paar Tagen der
Berliner „Tagesspiegel“ – nur noch von der „Pegida-Sympathisantin und Buchhändlerin Susanne Dagen“. Dann folgte der zweite Akt. Auf der Buchmesse in Frankfurt/Main nach einem nur schwach verklausulierten Aufruf der Messegeschäftsführung des Börsenvereins,
sich mit „rechten Verlagen“ unter Nennung von Standnummer und
Veranstaltungsdaten „auseinanderzusetzen“. Was auch geschah:
Linksradikale Truppen stahlen nachts Literatur von den Ständen des
Antaios- und des Manuscriptum-Verlags, beschädigten und vernichteten
Bücher, darunter auch Michael Klonovskys Roman „Land der Wunder“
, erstmals verlegt bei Kein & Aber, später bei Manuscriptum. Sie
unterbanden und störten Veranstaltungen an den Ständen. Unmittelbar
danach klagte der Chef der Buchmesse Juergen Boos auf Spiegel Online:
„Schon
im Vorhinein wurde ausführlich über die drei, vier rechten Stände
berichtet und ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse skandalisiert.
Das Interesse an der Sensation macht solche Veranstaltungen noch
wirkmächtiger. Das finde ich ganz schlimm.“
Die Ausschreitungen und die nachfolgende Heuchelei brachten Susanne Dagen dazu, die Charta 2017 herunterzutippen:
Ein Aufruf, die Meinungsfreiheit nicht in den politischen Grabenkämpfen
zu ruinieren. Seitdem ist sie nicht nur die Dresdner
Pegida-Sympathisantin, sondern die bundesweit gefährliche Neurechte,
die selbst gar nicht wusste, wie ihr geschah: die frühere DDR-Insassin
mit maximaler Distanz zum System sah und sieht sich selbst als Liberale
bis Libertäre.
Der Dresdner Autor Uwe Tellkamp gehörte zu den
Erstunterzeichnern der Charta. Dagen half auch bei der Organisation der
Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein am Donnerstag
vergangener Woche im Dresdner Kulturpalast. Eine lange Sündenliste also.
Am
Donnerstag um 10.30 wird die Buchhändlerin auf der Leipziger Buchmesse
mit Kollegen über Meinungsfreiheit diskutieren. Das ZDF und andere
Kamerateams haben sich angesagt. Jetzt ist sie plötzlich für beide
Seiten des Streits eine Symbolfigur. Wendt
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