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Donnerstag, 15. März 2018

Die verlorene Ehre der Susanne D.

Es war einmal – so kann die Geschichte beginnen – eine Buchhändlerin namens Susanne Dagen in Dresden-Loschwitz. Ihr Laden lag und liegt auch heute noch nah an der Elbe; wer das Blaue Wunder überquert, die Stahlbrücke über den Fluß, der biegt rechts in ein Gässchen ein und steht nach ein paar Schritten vor dem Kulturhaus Loschwitz, dem Haus Susanne Dagens, einem Häuschen aus dem 19. Jahrhundert in einer Umgebung, die schon sehr süddeutsch aussieht: Häuser mit Vorgärten, Kopfsteinpflaster, Weinwirtschaften. Unten in ihrem Haus befindet sich eine Buchhandlung, oben ein Veranstaltungsraum, im Nebengebäude Wohnung und ein Zimmer für Literaturstipendiaten. Zu ihr kommt vor allem das Bürgerpublikum von den Elbhängen. Vor Weihnachten immer Thomas de Maizière, bis vor kurzem noch Bundesinnenminister, um Bücher zum Verschenken zu kaufen. Die Autoren Uwe Tellkamp und Durs Grünbein, viele andere Leser. Zweimal bekam Dagen die Auszeichnung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels als „Buchhändlerin des Jahres“. Hier endet die Geschichte von der Frau, die als Institution in Dresden gilt beziehungsweise galt. Und es beginnt das Stück. „Die verlorene Ehre der Susanne D.“, das spätestens ab Herbst 2017 von praktisch jedem Medium geschrieben wurde.

Schon vor der Frankfurter Buchmesse hatte sie sich mit einem SPIEGEL-Autor unterhalten, der Material für eine der üblichen Was-ist-eigentlich-im-Osten-los-Geschichten sammelte. Sie kamen auch auf die Pegida-Demonstrationen zu sprechen. Dagen sagte einfach, was sie meinte: Sie sei auf keine Pegida-Demonstration gegangen, aber sie finde es grundsätzlich gut und interessant, dass sich Leute mit ihrer politischen Meinung auf der Straße äußern. Seitdem schreibt praktisch jedes politisch wohlmeinende Blatt  – wie vor ein paar Tagen der Berliner „Tagesspiegel“ –  nur noch von der „Pegida-Sympathisantin und Buchhändlerin Susanne Dagen“. Dann folgte der zweite Akt. Auf der Buchmesse in Frankfurt/Main nach einem nur schwach verklausulierten Aufruf der Messegeschäftsführung des Börsenvereins, sich mit „rechten Verlagen“ unter Nennung von Standnummer und Veranstaltungsdaten „auseinanderzusetzen“. Was auch geschah: Linksradikale Truppen stahlen nachts Literatur von den Ständen des Antaios- und des Manuscriptum-Verlags, beschädigten und vernichteten Bücher, darunter auch Michael Klonovskys Roman „Land der Wunder“ , erstmals verlegt bei Kein & Aber, später bei Manuscriptum. Sie unterbanden und störten Veranstaltungen an den Ständen. Unmittelbar danach klagte der Chef der Buchmesse Juergen Boos auf Spiegel Online:
Schon im Vorhinein wurde ausführlich über die drei, vier rechten Stände berichtet und ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse skandalisiert. Das Interesse an der Sensation macht solche Veranstaltungen noch wirkmächtiger. Das finde ich ganz schlimm.“
Die Ausschreitungen und die nachfolgende Heuchelei brachten Susanne Dagen dazu, die Charta 2017 herunterzutippen: Ein Aufruf, die Meinungsfreiheit nicht in den politischen Grabenkämpfen zu ruinieren. Seitdem ist sie nicht nur die Dresdner Pegida-Sympathisantin, sondern die bundesweit gefährliche Neurechte, die selbst gar nicht wusste, wie ihr geschah: die frühere DDR-Insassin mit maximaler Distanz zum System sah und sieht sich selbst als Liberale bis Libertäre.
Der Dresdner Autor Uwe Tellkamp gehörte zu den Erstunterzeichnern der Charta. Dagen half auch bei der Organisation der Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein am Donnerstag vergangener Woche im Dresdner Kulturpalast. Eine lange Sündenliste also.
Am Donnerstag um 10.30 wird die Buchhändlerin auf der Leipziger Buchmesse mit Kollegen über Meinungsfreiheit diskutieren. Das ZDF und andere Kamerateams haben sich angesagt. Jetzt ist sie plötzlich für beide Seiten des Streits eine Symbolfigur.   Wendt


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