Der Staub des Wahlkampfs
hat sich gelichtet – doch Italiens Spitzenpolitiker belauern sich immer
noch wie in einem Sergio-Leone-Western. Jeder wartet auf den Zug des
Kontrahenten. Am kommenden Freitag werden die Gegner zur Aktion
gezwungen: Dann tritt das italienische Parlament zum ersten Mal seit der
Wahl zusammen.
Das Dilemma bleibt dasselbe. Der Movimento 5 stelle (M5S) von Luigi
Di Maio ist stärkste Einzelkraft in Abgeordnetenhaus und Senat, das
Bündnis der rechten Mitte hingegen stärkste Koalition. Letzteres wird
von Matteo Salvini und seiner Lega angeführt, die zugleich zweitstärkste
Partei beider Kammern ist. Das Bündnis der linken Mitte unter Führung
des Partito Democratico (PD) schafft es nur auf die dritte Position und
liegt rund 100 Sitze hinter den anderen beiden Lagern.
„Nichts ist unmöglich oder unerreichbar“, meinte Salvini am Montag.
Der Mailänder facht damit Spekulationen an, daß es doch noch zur
„Koalition der Populisten“ aus M5S und Lega kommen könnte. Salvini setzt
prophylaktisch nach: „Wir und der M5S haben eine sehr unterschiedliche
Vision davon, was Arbeit angeht: Die wollen 600 bis 700 Euro an jemanden
geben, der zuhause bleibt, wir nutzen das Geld lieber, um die Steuern
für den zu senken, der arbeitet.“
Populist ist nicht gleich Populist
Populist ist eben doch nicht gleich Populist. Obwohl die Lega
protektionistisch ausgerichtet ist, ist sie ihrer wirtschaftsliberalen
Linie treu geblieben. Der Movimento flirtet dagegen mit dem
Grundeinkommen. Und während Salvini seit der Wahl am 4. März immer
wieder nachlegt, wenn es um die EU geht – erst vor kurzem forderte er
ein Referendum über den Euro – schlägt Di Maio bereits moderatere Töne
gegenüber Brüssel an. Und das, obwohl ein Euro-Referendum mal eine Idee
des Parteigründers Beppe Grillo war.
Dennoch: Di Maio und Salvini nähern sich an. Nach einem Telefonat kam
es zu einem ersten Kompromißvorschlag. Im Abgeordnetenhaus würde die
Lega einen Präsidenten des Movimento unterstützen, wenn die Senatoren
des M5S im Gegenzug einen Leghisten zum Senatspräsidenten küren. Eine
Kammer an Di Maio, eine Kammer an Salvini. Realpolitik im Heimatland
Machiavellis.
Kritik kam prompt – aus dem rechten Bündnis. Salvinis Juniorpartner
Silvio Berlusconi mißtraut dem taktischen Spiel des Lega-Chefs. Sollte
dieser das rechte Bündnis zugunsten einer Koalition mit Di Maio
verlassen, ginge seine Forza Italia (FI) mit ihren 14 Prozent unter –
und Berlusconi wäre von der Regierung ausgeschlossen. Giorgia Meloni von
dem kleinen Partner der Fratelli d’Italia (FdI) rügte den Vorstoß
ebenfalls: „Wer hat gesagt, daß dem M5S eine der Kammern gehört? Die
sind doch nur Zweite bei der Wahl geworden.“
Herzog oder König
Salvini steht vor der Entscheidung, ob er lieber ein Herzog in der Regierung sein möchte oder ein König in der Opposition.
Die Lega koaliert mit FI und FdI in Regionen und Kommunen, landesweit.
Ein Bruch auf Nationalebene erscheint deshalb unwahrscheinlich.
Tatsächlich könnte Salvini auf eine informelle Koalition pokern, bei der
das rechte Lager in der komfortablen Opposition bleibt, und nur bei den
Themen zustimmt, bei denen Minderheitsregierung und Lega
übereinstimmen. Die Einwanderungspolitik ist da nur ein Beispiel.
Im Hintergrund lecken die Sozialdemokraten ihre Wunden. Ob die Absage
an jedwede Regierung bestehen bleibt, oder sich eine „deutsche Wende“
ankündigt, ist noch offen. Wenn, dann wäre nur ein Zusammengehen mit dem
M5S möglich – denn das rechte Bündnis sieht sich nach einer kurzen
Charmeoffensive enttäuscht und hat eine Koalition mit dem PD vorige
Woche ausgeschlossen.
Der Ball liegt also in der Hand von Di Maio. Der kündigte bereits an,
daß die Regierungsbildung in Italien kürzer dauern werde als in
Deutschland. Sollte dem nicht so sein, könnte Italiens Staatspräsident
Sergio Mattarella auf den Plan treten. Und die Geschichte der
technokratischen Regierung Italiens ist lang. Und Mattarella ist
Gründungsvater des PD. Sollte es so weit kommen, könnten Di Maio und
Salvini ihre Chance auf die Macht verspielt haben. Marco Fausto Gallina
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