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Freitag, 23. März 2018

Parallelen

Kandel ist ein eher beschauliches deutsches Städtchen mit nicht einmal 10.000 Einwohnern. Bei airbnb werden immerhin 20 Unterkünfte in der „schönen Südpfalz“ offeriert, tripadvisor führt schöne Gaststätten auf, 14 davon in der Kategorie „deutsch“, jeweils acht „europäisch“ und „mediteran“, einmal „griechisch“ gibt’s auch noch. Zu einer Touristenattraktion hat sich der 2006 eröffnete Hochseilgarten „Fun Forest“ entwickelt. Die Kandeler selbst zieht es eher hinaus in die weite Welt, das örtliche Busunternehmen offeriert Fahrten nach Lourdes, zum Open Air-Konzert in Berlin, zu „Donau in Flammen“ in Linz und in das „Wein- und Ferienland Mosel“.

Kandel schlief friedlich vor sich hin, bis es, wie es Wikipedia euphemistisch umschreibt, durch einen „Kriminalfall in Kandel 2017“, bei dem ein „als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling eingereister, nach Sachverständigengutachten ca. 20 Jahre alter Afghane seine 15-jährige Ex-Freundin erstach“. Seitdem ist in Kandel Medienalarm. Sobald sich jemand zeigt, der ein Journalist sein könnte, holen die Bürger die Wäsche von der Leine und die Kinder von der Straße. In und um Kandel herum ist ein Stellvertreterkrieg um die Lufthoheit in der Debatte um die Zuwanderung ausgebrochen. Und darum, wer nun die Bürger von Kandel repräsentiert – und wer nicht.
Es begann mit einer Demonstration des Frauenbündnisses „Kandel ist überall“, das forderte, „endlich Konsequenzen aus den schrecklichen Verbrechen zu ziehen, die inzwischen überall im Land passieren“. Es wurde medial sogleich in die rechtsradikale Ecke bugsiert und – Gottseibeiuns – eine Nähe zur AfD festgestellt. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht mit der Ursache der Proteste auseinandersetzen muss, nämlich mit der Tatsache, dass sich Frauen in Deutschland vielerorts nicht mehr sicher fühlen – und zwar nicht nur solche, die in der Nähe der AfD gesichtet wurden.
Weil nun politischer Geländegewinn der AfD drohte, entstand unter Schirmherrschaft der Obrigkeit die Gegenaktion „Wir sind Kandel“, Unterstützer sind beispielsweise Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, ihr Vorgänger Kurt Beck und eine endlose weitere Reihe von Honoratioren des Landes, die alle für sich in Anspruch nehmen, Kandel zu sein. Das kleine Städtchen kann sich vor staatstragenden Neubürgern gar nicht retten. Nun ist für den kommenden Samstag wieder eine Demonstration von „Kandel ist überall“ angesagt, was naturgemäß eine Reaktion von „Wir sind Kandel“ erfordert.

Die Bösen von „Kandel ist überall“ werden immer mehr 

„Die rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen schüren Ängste und Verunsicherungen bei den Menschen. Es werden Feindbilder beschworen und Institutionen unserer Demokratie in Frage gestellt“, gibt „Wir sind Kandel“ zu Protokoll, und wendet sich „gegen Hetze, Rassismus und Hass. Wir stehen für Demokratie, Respekt und Vielfalt“. Es sei denn, es handelt sich um „Kandel ist Überall“ oder – Gottseibeiuns – die AfD.  Wobei mir eines nicht ganz klar ist. Man kann doch „endlich Konsequenzen aus den schrecklichen Verbrechen zu ziehen, die inzwischen überall im Land passieren“ (Kandel ist überall“), und für „Demokratie, Respekt und Vielfalt“ einstehen („Wir sind Kandel“). Irgendwie kann ich zwischen beiden Aussagen keinen rechten Widerspruch erkennen, eher im Gegenteil. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht ums große Ganze, es geht ums Prinzip, es geht um den Endkampf Gut gegen Böse. „Wir sind Kandel“ (gut) gegen „Kandel ist überall“ (böse).
Nun haben die Guten von „Wir sind Kandel“ offenbar ein wenig Sorge, zahlenmäßig ins Hintertreffen zu geraten, weil die Bösen von „Kandel ist überall“ immer mehr werden, schließlich sind die überall. Um dieser Geisterarmee des Faschismus auf Augenhöhe entgegen treten zu können, wurde jetzt ein Joint-Venture von SPD und Deutschem Gewerkschaftsbund aufgelegt, das mit einer Busflotte tapfere Widerstandskämpfer aus Nah und Fern nach Kandel karrt, die dort einheimische Bürger simulieren sollen. Von Koblenz bis Trier und von Saarbrücken bis Worms stehen Busse bereit, um die Kombatanten kostenlos nach Kandel zu transportieren. Das erinnert ein bisschen an die Marne-Taxis, die der Legende nach im September 1914 französische Soldaten an die Front nördlich von Paris chauffierten, was zu einem glorreicher Sieg über den Erbfeind führte.
Aktuell kann es allerdings zu der aparten Verwicklung führen, dass ein Gewerkschaftsmitglied, das sich den Bösen von „Kandel ist überall“ angeschlossen hat, von den ebenfalls angereisten Tages-Kandelern ausgepfiffen wird, die sich zu „Wir sind Kandel“ hingezogen fühlen. Wobei Kandidat 1 (böse) mit seinen Mitgliedsbeiträgen, die Anreise von Kandidat 2 (gut) finanziert, allerdings ohne gefragt worden zu sein, ob er mit dieser Verwendung seiner Gewerkschaftsbeiträge einverstanden ist.

Busreise mit angeschlossener Propaganda-Veranstaltung

Weder die stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, Julia Troubal, die zur kostenlosen Busreise mit Teilnahme an einer angeschlossener Propaganda-Veranstaltung eingeladen hat, noch der DGB Rheinland-Pfalz, der die Busse kostenlos zur Verfügung stellt, mochten sich bis gestern nachmittag auf eine Anfrage von Achgut.com zur Sache äußern.
Die Kollegen von der Antifa reisen übrigens in der Regel individuell an. Wer dafür aufkommt, ist mir nicht bekannt. Ich kann hier lediglich darüber Auskunft geben wie dies in Thüringen gehandhabt wurde, als im fernen Dresden Demonstranten gegen Pegida gebraucht wurden.
„Zuschüsse aus dem Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit für Fahrten zu Gegendemonstrationen bei rechtsextremistischen Aufmärschen“ heißt ein Schriftstück (Drucksache 6/946 vom 21.08.2015), das die Thüringer Landesregierung 2015 zähneknirschend auf eine kleine Anfrage im Landtag hin veröffentlichen musste. Demnach flossen zwischen 2012 und 2015 genau 41.263,20 Euro als staatliche Transport-Zuschüsse an entsprechende Gruppierungen. Der Begriff „gelenkte Demokratie“ bekommt angesichts der Busverschickungen jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.
Staatsaufmärsche für „Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ waren im politischen Arsenal der Bundesrepublik sehr lange Zeit nicht üblich. Angefangen hat damit Gerhard Schröder, der die Massen mit seinem „Aufstand der Anständigen“ in Marsch setzte. Auch sein lupenrein demokratischer Freund Putin lässt ganz gerne Claqueure aufmarschieren. Es wird für die Regierenden hierzulande allmählich schwierig, sich über dessen Methoden zu beschweren.   Dirk Maxeiner

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