Stationen

Donnerstag, 29. März 2018

Laudatio auf einen, der nicht müde wurde

Matthias Walden ist längst vergessen, und absichtlich habe ich einen in Teilen spöttischen und längst von der Wirklichkeit überholten Nachruf des „Spiegel“ auf ihn verlinkt. Ich schlage lieber eines von Waldens erhellenden Büchern auf. Walden ist es, der über den Nationalsozialismus berichtet, über den Prozess gegen den General der SS Karl Wolff, in NS-Kreisen „Wölffchen“ genannt. Wolff ist der Mann, der auf den Farbfilmen Eva Brauns vom Obersalzberg als eleganter, Knickerbocker und Karo tragender „Engländer“ abgebildet ist, sonst aber die schwarze Uniform der SS bevorzugte.

Walden beschreibt, wie Wolff, NS-typisch, im Gerichtssaal zwischen apodiktischer Besserwisserei und devoter Liebedienerei schwankt, wie er für Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen mit fünfzehn Jahren Zuchthaus davon kommt und hinterher beim linksliberalen „Stern“ des NS-Kriegsberichters Henri Nannen seine lächerlichen Hitlertagebücher-Helfershelfer und Unterstützer findet.


Walden ist es auch, der über den Aufstand im Warschauer Ghetto schreibt, er habe als Flakhelfer davon nichts gewusst, doch das schütze ihn vor gar nichts. Walden ist es, der schreibt, aus der Shoah gebe es nichts „zu lernen“, außer, dass die Toten tot und ihres Lebens beraubt seien, ihrer Kinder und Enkel. Derselbe Walden entrüstet sich, die PLO dürfe Büros in Europa eröffnen, jene PLO, die bis zu ihrer grausamen Entwaffnung durch Israel, der siebentausend Zivilisten zum Opfer fielen, selbst eben noch eine militärisch geschulte Terrororganisation von Moskaus Gnaden gewesen sei.

Er zählt die Waffen auf, die Sturmgewehre, die Panzer aus der Sowjetunion, die Israel damals zerstörte oder erbeutete. Walden schont niemand, die PLO nicht, Israel nicht, auch sich selbst nicht. Chronist ist der, der schreibt, wie es war. Walden hasst Ideologien und verachtet Ideologen, die „Wahrheit“ ist ihm suspekt, ihn interessiert die Wirklichkeit. Daher findet er auch die deutsche Teilung eine politische Farce, und er schont die SPD nicht, die sie lange Zeit zementieren hilft.

Walden entlarvt eine Rede Egon Bahrs in der Evangelischen Akademie in Tutzing zum „Wandel durch Annäherung“ an die DDR als fingiert, abgesprochen mit Willy Brandt, der sich einen Tag später ahnungslos stellt, obwohl er selbst die Rede hat schreiben lassen, damit Bahr sie als Versuchsballon lancieren kann.

Bahr und Walden haben beide beim RIAS in Berlin gearbeitet, respektieren einander selbst dann, wenn es unsauber läuft.
Walden denunziert nicht, er hält fest, wie es wirklich war. Zuweilen verteidigt er Willy Brandt, gerade dann, wenn dessen Verhalten im „Dritten Reich“ der deutschen Rechten zum Anlass für Gemeinheiten wird.

Walden bleibt sich treu, er nennt Mauer Mauer, Schießbefehl Schießbefehl, die Annäherung an den Materialismus und Marxismus das Grundübel des Westens, er beklagt die Jämmerlichkeit, mit der der Westen bereit ist, seine Ideale hintan zu stellen, er nennt dieses Verhalten „Müdigkeit“. Er mahnt an, das könne man angesichts des Nationalsozialismus besser wissen, gerade als deutsche Linke.

Es waren nicht die „Achtundsechziger“, auch nicht ihre Altnazis und spät gewendeten Nationalkonservativen, die die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus leisteten und für das Existenzrecht Israels Partei ergriffen, ohne das Verhalten Israels zu beschönigen. Oh, Schreck, es war nicht die Linke, es waren nicht die „Achtundsechziger“, es waren nicht die angeblich geläuterten, nationalkonservativen Neu-Linken, es war die verhasste „Springer-Presse“! Matthias Walden mahnt auch für heute, wenn er von der „Müdigkeit des Westens“ schreibt, der seine Ideale verrät, und dem Protagonisten des Vietnamkriegs, Henry Kissinger, den Friedensnobelpreis verleiht. Das ist ein altes Lied, und für jene, die die uralten linken Scheuklappen tragen, ist und bleibt es wohl weiterhin wahrlich „rechts“...

Der heutige Bundespräsident, bekennender Fan von Heinz Bude, sieht indessen wieder einmal die Demokratie in Gefahr. Matthias Walden, der angebliche „Rechte“, schreibt in seinem Buch „Die Fütterung der Krokodile“ auch ihm, dem Bundespräsidenten, ins Stammbuch, er solle nicht gar so mutlos sein:
Das politische Träumen bleibt den Ideologen vorbehalten. Radikale Linksutopien gewannen eine scheinbare Überlegenheit gegenüber demokratischer Gesinnung, weil weitergesteckte Ziele nur noch von denen markiert wurden, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen. (…) Unsere Fernziele eines in Freiheit wiedervereinten Deutschland, eines gemeinsam denkenden, sprechenden und handelnden Europa in einer solidarischen, durch die Ideale der Menschenrechte überlegenen freien Welt wurden als unrealistischer Ballast dem Gespött des etablierten und des heranrückenden Extremismus östlicher und westlicher Freiheitsfeindlichkeit überlassen. Statt sie als Vorstellungskraft zu verstehen und zu bewahren, ließ man sie als Phantasie, nachdem sie als Phantasterei denunziert und entwertet worden war, einfach verfallen. (…) Nicht die ideologische Utopie ist es, die dem Westen fehlt, sondern die Vorstellungskraft seiner geistigen und sittlichen Überlegenheit. Ohne das Vertrauen in die Macht des Gedankens und des Wortes, ohne die Vision von einer besseren Zukunft kann keine der Anfechtungen der Gegenwart bestanden werden; denn den Ausblick auf das Gute zu verlieren, bedeutet, das Bessere mit Sicherheit zu verfehlen. Nicht politischer Wunderglaube wäre der Ausweg aus den Sackgassen des Kleinmutes, sondern – neben Vorsicht und Rücksicht – Weitsicht und Zuversicht.   Jesko Matthes

In der Tat, die 68-er hat nie der Wunsch bewegt, verantwortlich mit dem Erbe der nationalsozialistischen Verbrechen umzugehen und reinen Tisch zu machen. Das ist eine nachträglich entstandenen Legende, zum Zweck der Selbstbeweihräucherung. Die 68-er Bewegung war die wahrscheinlich letzte Jugendbewegung in Europa. Ihren Ausgang nahm sie aber in den USA, um dann fast die ganze Welt zu erfassen (jedenfalls darf man den Prager Frühling durchaus hinzurechnen).
In Deutschland kam als Komplikation dieses Bruchs mit der Vergangenheit die NS-Problematik hinzu, die bis heute ausnahmslos alle Aufreger als maßgebendes, ethikgewährleistendes Moment wie ein Hintergrundrauschen begleitet bzw. als stählerner Damoklesmaßstab über den hohlen Köpfen schwebt. Aber während der gesamten 70-er Jahre interessierten die 68-er sich nur wenig für dieses Hintergrundrauschen bzw. vor allem, um dieses referenzgebende Summum Malum zum Eichmaß zu erklären und als Maßstab zu verwenden:
1. um die USA anzuschwärzen, weil es nicht sein kann, dass wir uns in Deutschland wegen Auschwitz ins Büßerhemd kleiden müssen und gleichzeitig den Völkermord in Vietnam gutheißen sollen (womit die 68-er nicht unrecht hatten),
2. um Israel anzuschwärzen, weil diese 68-er als erste systematisch den Antisemitismus genai wie Gedeon in Antizionismus transponierten und ihnen ihr marxistischer Wahn erlaubte, in Israel nur einen Brückenkopf des Kapitalismus und des US-amerikanischen Imperialismus zu sehen und
3. schlussendlich um die Generation ihrer Eltern anzuschwärzen, weshalb in Deutschland die Entwurzelung sehr viel größeren Schaden angerichtet hat als sonst wo auf der Welt: selbst die Gebildeten unter den Deutschen sind geschichtsloser und gesichtsloser (und im negativsten Sinne selbst-loser) als alle anderen und unsere Identifikationsmöglichkeiten erschöpfen sich im Nachhall des einst rühmlichen Made in Germany (das durch Winterkorns Praktiken jetzt auch ramponiert ist) und einer geradezu größenwahnsinnigen Sehnsucht nach Selbstauflösung (siehe Vahlefeldts Bestandsaufnahme) im großen Ganzen der Eurorettungserwartungen und Weltrettungsphantastereien.

Wir sind ein völlig neurotisiertes, schicksalergebenes, auf nie endende Schuldigkeit dressiertes Volk geworden. Verantwortlich dafür sind nicht so sehr die 68-er, die wenigstens Vitalität besaßen, sondern a) diejenigen, die den 68-ern jahrzehntelang nacheiferten und bis heute unbelehrbar sind und b) die Konservativen, die nicht nur damals im Jahre 68 zu müde, feige und ideenlos waren, um der vitalen Jugendbewegung etwas Intelligentes entgegenzusetzen, sondern auch später, als die 68-er längst begonnen hatten, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, immer noch versäumten unsere Zeit zu durchdenken und zu selbstgefällig waren, um den von Enzensberger und Wagenbach verbreiteten Anschauungenen bessere Weltbilder entgegenzustellen.

Erst jetzt, wo es zu spät ist, gibt es ein paar konservative Intellektuelle, die sich die Mühe machen, dem linken Establishment so zu antworten, wie es das seit langem verdient.
Was fehlt, ist nun eine Jugendbewegung, die diese Antworten auf ihre Fahnen schreiben könnte, aber es gibt mittlerweile schlicht zu wenig Jugend hierfür. Vielleicht ist Martin Sellner ja in 20 Jahren Bundeskanzler, aber dann wird es in Deutschland bereits einige Landstriche geben, in denen die Muslime die Mehrheit sind. Mit anderen Worten: er muss dann die Suppe auslöffeln, die ihm Merkel unverdrossen weiter einbrockt, als befänden wir uns immer noch im Jahr 2015.

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