Diese Reportage handelt vom Martyrium und von Wundern, deren nicht
geringstes der Tonfall ist, mit dem von ihnen berichtet wird – er ist
von gelassener Schönheit. Der Schriftsteller Martin Mosebach schaut
genau hin, auf das Martyrium der 21 Männer, die dort am libyschen Strand
in ihren orangefarbenen Overalls vor ihren schwarzvermummten Henkern
knien am 15. Februar 2015, ohne alle Gratisempörtheit, die da
normalerweise mitgeliefert wird.
Ja, er hat ein Auge für die kalkulierte ästhetische Dramaturgie, die
Schnitte, mehrere Kameras waren da wohl im Einsatz, und die über die
Gesichter der Märtyrer gleitende Fahrt, das bemerkt er, ließ sich nicht
ohne zuvor im Sand verlegte Schienen bewerkstelligen. Die
Propaganda-Rede des Anführers in die Kamera, die Botschaft an „die
Nationen des Kreuzes“, anschließend die Enthauptungen, die
abgeschnittenen Köpfe, die graue Dünung, die sich rot färbt – ein
Kunstwerk des Grauens.
Es war der Kopf des jungen Kiryollos, den das Vatican-Magazin
auf seinem Titel abbildete, mit seinem rätselhaft entspannten Gesicht,
das Mosebach faszinierte. „Dies war noch nicht der Kopf eines Toten“,
schreibt er. „Nach der Enthauptung schien es noch ein winziges Verweilen
von Bewußtsein und Wärme gegeben zu haben, einen Ewigkeitsmoment aus
Traum und Schlaf, in dem die Endgültigkeit des soeben Geschehenen
vielleicht schon gar nicht mehr wichtig ist.“
Mosebach bricht auf, um die Lebensumstände, die Herkunft, die
Familien der zwanzig Wanderarbeiter aus dem oberägyptischen Dorf
El-Goreb kennenzulernen, der 21. ist ein Ghanaer, der sich ebenfalls zu
Christus bekannte. Obwohl ihm die Geiselnehmer angeboten hatten, ihn
laufen zu lassen, hatte er sich mit den anderen für den Martyrertod und
die Nachfolge im Kreuzestod entschieden. Die Mehrzahl von ihnen starb
mit „Jarap Jesoa“ auf den Lippen, den Worten „Herr Jesus“. Bereits zwei
Wochen nach der Massenhinrichtung wurden sie vom koptischen Papst
Tawadros II. heiliggesprochen und in einer stilisierten modernen
Sammel-Ikone verehrt, die auf dem Umschlag von Mosebachs Buch abgebildet
ist.
Mosebachs „21“ erzählt nicht von Terroropfern, von denen der
„Islamische Staat“ viele forderte, es erzählt von aktiven Gläubigen, die
sich weigerten, ihren Glauben zu verraten, weil sie ihn als ihren
wertvollsten Besitz betrachteten und ein Menschenleben ohne ihn als
sinnlos erachteten und „geringer als das eines Tieres, das schließlich
in seiner eigenen Vollkommenheit“ existiert.
Schnell wird klar, daß sich die schwarze Horde, die den eisigen
unversöhnten Schrecken in die Herzen senken wollte, verkalkuliert hatte,
denn ihre Propaganda-Absicht wurde überstrahlt von der Heiligkeit
dieser schlichten Wanderarbeiter, die sie aussehen ließen wie „einer
jener Trupps von Teufeln, die in Abständen über die Erde jagen“.
Es stellt sich heraus, daß die meisten Männer aus El-Goreb als
Liturgen in ihrer Dorfkirche aktiv waren, in der koptischen Kirche, die
eine der Martyrer ist, seit der römische Kaiser Diokletian in einem
veritablen Blutrausch versuchte, diese ersten Christen Ägyptens
auszulöschen – allein, sie waren bereits zu viele. Diese Vergangenheit
sollte ewige Gegenwart bleiben, ihre Zeitrechnung datieren die Kopten
seit Diokletian, und sie blieben Opfer, erst recht, seit die
arabisch-muslimische Invasion und Herrschaft begann.
Heute stellen die Kopten, die wahren Ureinwohner Ägyptens und echten
Nachfahren des Pharaonenvolkes, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, zu
groß, um erneut vernichtet werden zu können und zu wenige, um sich
erfolgreich gegen Schikanen und Morde zur Wehr zu setzen.
Sie stellten die ersten Mönche, die ersten Wüsteneremiten, der
Heilige Antonius in seinen Versuchungen war Kopte, die koptische
Liturgie ist die wohl ursprünglichste des Christentums, auch wenn sie in
der immer auch leicht hochmütigen lateinischen Kirche nicht anerkannt
wurde. Eine Liturgiereform wäre hier ausgeschlossen, und wenn es sie
gäbe, würde sie wohl auf eine Intensivierung – nicht Aufhebung – der
Sakralität hinauslaufen.
Natürlich drängt sich die Frage auf, die sich jeder Christ von heute
mit weiß Gott unbehaglicher Intensität stellen muß: Bin ich bereit für
meinen Glauben zu sterben? Mosebach läßt sie diskutieren von den zwei
Seelen in der Brust, dem Bezweifler und dem Beschwörer, ein wunderbares
und nicht unkomisches Intermezzo.
Für den Bezweifler ist der Märtyrer-Kult gefährlicher Ausdruck
religiöser Gewalt, der Beschwörer wiederum weist darauf hin, daß der
christliche Märtyrer nie Gewalt ausübt, sondern nur erduldet.
Der Bezweifler: „Also wenn es mir das Leben rettet, würde ich jederzeit beschwören, daß zwei und zwei fünf ergibt.“
Der Beschwörer: „Aber die 21 sollten eben nicht bestreiten, daß zwei
und zwei vier ist. Die Wahrheit des Christentums ist keine mathematische
Formel.“
Der Bezweifler: „Wahrheit, wenn ich das schon höre …“
Und dann kann sich Mosebach der heimlichen Faszination, ja Verführung
nicht verschließen die in der Vorstellung liegt, daß ein ganzes von
Halbheiten und Irrtümern geprägtes Leben im Martyrertod mit einem Schlag
in die Heiligkeit überführt wäre.
Und so trifft er im Heimatdorf der Zwanzig auf eine fast heitere
Gelassenheit bei den Hinterbliebenen, den Müttern oder Geschwistern oder
Ehefrauen, auf die nun ebenfalls der fromme Glanz der Heiligkeit fällt.
Und sie berichten von den Wundern, die sich seither ereignet haben im
Tonfall allergrößter Selbstverständlichkeit, und Mosebach, der Künstler,
hütet sich, ihnen zweifelnd in die Parade zu fahren, wie es ein
Reporter täte.
Irgendwann seufzt er tatsächlich „Ich bin kein Reporter“, aber nur,
um zu beweisen, daß er das Handwerk zu beherrschen weiß wie kein
zweiter. Wenn er mit einer beseelten und verstehenden Präzision (Bruce
Chatwin kommt in den Sinn oder, wenn sanfter Humor anklingt, Gay Talese)
die halbfertigen modernen Betonbauten des einstmals aus schönen
traditionellen Lehmhütten bestehenden Dorfes beschreibt, tachistisch mit
weißer Farbe bespritzt, mit schräg gekippten Ikonen und Fotos,
gesprenkelt von Fliegendreck, halb gekachelten Räumen, die als Ställe
zweckentfremdet sind, als scheuten sie hier das Vollkommene und
Perfekte, dann ist sein Auge so wach wie das der besten Reporter.
Man merkt diesem schmalen Buch auf jeder Seite an, wie sehr es
geschrieben sein wollte. Eine muskulöse und gleichzeitig asketische
Reportage, da ist kein Wort überflüssig, kein Gramm Fett. Als Journalist
und Reporter kann man sich vor dieser Leistung nur verneigen. Und für
einen Katholiken, der verzweifelt seine Kirche in die bequemen
Anpassungen an die Moderne entschwinden sieht, ist die Lektüre ein Muß. Matussek
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