Zu den Symptomen für den Verlust des freien und offenen
Debattenklimas in Deutschland gehört das habituelle Messen mit zweierlei
Maß: Garniert Andrea Nahles den (vermeintlichen) Gang der SPD in die
Opposition mit dem Gossenspruch „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“,
geht man grinsend darüber hinweg. Kündige ich aus analogem Anlaß und mit
vergleichbarer Ironie an, die „Entsiffung des Kulturbetriebs“ mit
Freude in Angriff zu nehmen, dann ist das „die Sprache des Dritten
Reiches“. So allen Ernstes Augstein und Blome in ihrer gleichnamigen
TV-Show. Im Zweifel die Nazikeule.
Vielleicht hätte ich „Entsiffung“ in Anführungszeichen setzen müssen,
um den beiden sonst so durchironisierten Spaßjournalisten die
augenzwinkernde Anspielung auf Akif Pirinçcis mittlerweile geflügeltes
Wort von der „rot-grün versifften Republik“ deutlich zu machen.
Vielleicht hätte ich rekapitulieren müssen, was diesem Facebook-Eintrag
vorangegangen war, nämlich eine wochenlange Agitation inklusive
Unterschriftenaktion seitens Hunderter „Kulturschaffender“, des
Deutschen Kulturrats sowie der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth
gegen eine mögliche Leitung des Kulturausschusses durch die AfD. Der
Kulturbetrieb hatte sich damit parteiisch, pluralitätsfeindlich,
selbstgerecht – alias „rot-grün-versifft“ – gezeigt, wie es drastischer
kaum denkbar ist.
Daß Pirinçcis Verdikt leider auch auf weite Teile des akademischen
Betriebs zutrifft, davon hat mein ehemaliger Hochschulkollege Daniel Hornuff – in empörter Reaktion auf meinen Ausspruch – Mitte Februar in
der Zeit ganzseitig Zeugnis abgelegt. Getroffene Hunde bellen.
In diesem Fall ist es ein derart von persönlichen Ressentiments
durchsetztes Kläffen, so weitgehend auf Ad-personam-Argumente
beschränkt, daß es sich kaum lohnte, darüber Worte zu verlieren – wenn
nicht das bloße Erscheinen dieses Pamphlets in Deutschlands größter
Wochenzeitung und die darin sich manifestierende Geisteshaltung ein
Schlaglicht auf den beklagenswerten Zustand des intellektuellen
Mainstreams in diesem Land würfen. Das tagtägliche Versagen der
Intellektuellen auf Merkel-Deutschlands Weg in einen Gesinnungsstaat
läßt sich am Beispiel Hornuff auf seine Ursachen hin transparent machen.
Daniel Hornuff, soweit geistig agil, hat die postmoderne Lektion von
der Konstruiertheit aller Wahrheit und aller Identitäten gründlich
gelernt. Da er diesen philosophisch schon deutlich angemoderten, aber
politisch immer noch hegemonialen Diskurs smart und mediengerecht zu
vermitteln weiß, haben diverse Sender und Zeitungen ihn als „Experten“
für zeitgeistige Kultur- und Bildungsthemen entdeckt. Dort sagt er dann
Sätze wie: „Die Wahrheit ist eine Ideologie, die die
Geisteswissenschaften zu unterlaufen haben.“ Und er wettert gegen den
„Mythos der kulturellen Identität“ oder mokiert sich über das
„Gender-Bashing“ als „neuem Volkssport“, worin vor allem die
„Rechtspopulisten“ ihre „anti-akademische Arroganz“ offenbarten.
Innerhalb der epigonalen Verkürzung dekonstruktivistischen
Gedankenguts, derer sich Hornuff wie alle „organischen Intellektuellen“
der Postmoderne befleißigt, lautet der schlimmstmögliche Vorwurf:
„Essentialismus“. Wer die heillos naive Ansicht vertritt, „es gebe“ so
etwas wie Nationen, Völker, Geschlechter, der ist auch schon den
Sekundärsünden des „Nationalismus“, „Rassismus“, „Sexismus“ verfallen
und mithin nicht nur ein Tor, sondern auch ein Schuft. In einem Wort:
ein Faschist.
Daß dieser intellektuelle „Kampf gegen Rechts“ entgegen seinem
behaupteten Sinn für Komplexität, Differenz und Vielfalt mit derselben
schnöd-binären Verbissenheit geführt wird, wie sie etwa auch die
Straßenkämpfer der Antifa auszeichnet, daß er also einem gehörigen
„performativen Selbstwiderspruch“ unterliegt, ist nur der intellektuelle
Teil seiner Unerfreulichkeit. Hinzu kommt ein anderes, das weniger mit
geistigen Unzulänglichkeiten als mit platten materiellen Abhängigkeiten
zu tun hat.
In allen Institutionen kennt man den Typus des aalglatten
Karrieristen mit der feinen Witterung fürs Opportune, politisch
überkorrekt auf die Gunst der Obrigkeit schielend, immer für eine kleine
Intrige gegen mißliebige Konkurrenten zu haben. Im akademischen Milieu
erlangt er besondere Unappetitlichkeit durch seinen Hang zur moralischen
Aufplusterung, durch einen an den jeweils in Amt und Macht befindlichen
Werten orientierten Jakobinismus.
Im tapferen Widerstand gegen Hitler – gegen wen hätte er wohl damals
gekämpft? – unterstellt mir Daniel Hornuff „Nazi-Jargon“ und ein
Anstreben von „Säuberungsakten“. Selbst meine angeblichen „rassistischen
Hygienefantasien“ würde ich nur „pflichtschuldig nachplappern“,
moralische Niedertracht also mit geistiger Minderbemittlung apart
kombinieren. Dabei hatte der solcherart Delirierende durchaus gute
Vorsätze. „Ziel müßte es sein, den Pluralismus nicht nur zu predigen,
sondern, wenn man so will, anwendungsbezogen zu verwirklichen. Nur so
können wir unsere Sache glaubhaft einbringen“, forderte er in einem
früheren Artikel zum Umgang mit den „Rechtspopulisten“.
Statt der angekündigten „Ochsentour des Überzeugens, Begründens,
Nachweisens, Belegens, Nachfragens, Antwortens und kleinteiligen
Argumentierens“ reichte es, als es ernst wurde, dann aber nur zur Eselei
des Projizierens und zur Schweinerei des Diffamierens.
Ein Erklärungsansatz für dieses Versagen Hornuffs – auch und gerade vor den eigenen Ansprüchen – taucht im Schlußteil seines Zeit-Artikels
auf. Wer, wie ich, „Versorgungsansprüche“ an einer staatlichen
Hochschule habe, heißt es dort sinngemäß, solle gefälligst keine
Nestbeschmutzung betreiben, dürfe den Kulturbetrieb nicht in Frage
stellen.
Dieses Hornuffsche „Hauptargument“ ist niveaulos nicht nur wegen der
peinlichen Zurschaustellung akademischen Futterneids, sondern auch wegen
des Mangels an Unterscheidungsvermögen zwischen der Akademie als
Institution und ihren aktuellen Inhalten. Nur letztere sind – und dies
auch nur in einigen Tendenzen – Gegenstand meiner Kritik, was
Wertschätzung unserer kulturellen Institutionen nicht nur nicht
ausschließt, sondern voraussetzt.
Aufschlußreich wird Hornuffs wütendes Kritikverbot, wenn man es als
verkappte Selbstaussage des kulturell „subdominanten“
Intellektuellentypus liest. Ihm würde es tatsächlich nie einfallen, die
Hand, die ihn füttert, zu beißen. Man darf davon ausgehen, daß er
Zweifel am hegemonialen Diskurs, der seinen Kopf seit Eintritt ins
Studium kolonisiert und ihm ein, wenn auch meist prekäres,
Beschäftigungsverhältnis verschafft hat, schon aus Selbstschutz im Keim
erstickt, bevor sie laut werden können. Um so mehr muß ihn ärgern und
ängstigen, wenn andere sie äußern und damit – mehr vermeintlich als
tatsächlich – seine Existenz bedrohen.
Dann vollzieht sich wohl auch die Schließung einer ursprünglich noch
gesprächsbereiten Haltung zum kulturkämpferischen, latent paranoiden
Nazi-Jägertum. Sie ist gleichbedeutend mit einem Kurzschluß zwischen dem
eigenen, historisch kontingenten kulturellen Milieu und der (horribile
dictu) „Essenz“ der Kultur: „Wir, die Hornuffs dieser Welt, sind der
Kulturbetrieb. Und wir werden alle als kulturlose Barbaren, sprich als
Nazis, brandmarken, die es wagen, unsere tabubewehrte Dogmatik in Frage
zu stellen.“ Daß diese atemberaubende Arroganz aus einer tiefen
Verunsicherung hervorgeht, macht die Sache nicht besser.
Es eröffnet aber vielleicht Denkwege zum Ausgang aus der Logik der
sich vertiefenden Schützengräben. Die Tragik weiter Teile der Akademia –
Hornuff steht hier pars pro toto – besteht darin, sich in eine
selbstreferentielle, autoimmunisierte Blase eingeschlossen zu haben, in
der die Diskurse zunehmend unabhängig, ja konträr zur Wirklichkeit
prozessieren. Die Meinung, „Wirklichkeit“ sei ein ideologisches
Konstrukt, das es unter allen Umständen zu dekonstruieren gelte, ist
auch nicht gerade die beste Voraussetzung, deren Pochen an die
akademische Blasenwand richtig zu interpretieren und die eigene
Position, wie es dringend not täte, an ihr neu abzueichen.
So vollzieht sich gegenwärtig ein schleichender Verrat von
Intellektuellen an den besten europäischen Traditionen, der genuin
tragisch ist, weil er zerstört, was er zu retten meint, indem er es zu
retten meint. Wer den orwellschen Klang, der die Begriffe „Toleranz“,
„Weltoffenheit“, „Vielfalt“ längst erfaßt hat, nicht hört, und meint,
sie gegen den „ewigen Nazi“ in Stellung bringen zu müssen, gehört zu den
unschuldig-schuldigen, tragischen Helden einer in Dekadenz geratenen,
sich selbst ad absurdum und Europa in den Abgrund führenden Postmoderne.
Was könnte „Entsiffung“ vor diesem Hintergrund heißen? Zuvörderst
Beseitigung all des Gedankenmülls und all der ideologischen
Verunklarungen, die uns gegenwärtig daran hindern, das zu tun, was dem
zivilisatorischen Mindeststandard in einer aufgeklärten Gesellschaft
entsprechen würde: eine bei allen auch harschen
Meinungsverschiedenheiten offene und sachbezogene Debatte über das gute
und richtige Leben in unserer Gemeinschaft zu führen. Marc Jongen
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