Stationen

Mittwoch, 14. März 2018

Die Italienisierung kommt voran

Vor Jahren kursierte eine witzige Beschreibung von Himmel und Hölle, bezogen auf die Fähigkeiten und Eigenarten der Europäer. Also die Hölle, das sind: italienische Banker, Schweizer Liebhaber, deutsche Polizisten, englische Köche und französische Automechaniker. Im Himmel dagegen: Italienische Liebhaber, französische Köche, englische Polizisten, deutsche Mechaniker und Schweizer Banker. Wie gesagt, das war ein Geck, der die Gäste bei Partys immer zu einem verständnisvollen Lacher brachte.
Das Leben in dem Europa, das die Brüsseler Bürokraten und die Berufseuropäer gerade organisieren wollen, ist aber nicht mehr zum Lachen: französische Gewerkschaften, italienische Banken, polnische Justiz, ungarisches Presserecht, spanischer Regionalismus, britischer Egoismus, zypriotisches Staatsbürgerrecht, griechische Politiker, rumänische Staatskorruption, luxemburgische Steuerfluchtgesetze und deutsche Romantiker: ein abenteuerliches Gebräu.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich bin ein glühender Anhänger der europäischen Idee. Nicht nur, weil ich viele Jahre meines Lebens auf anderen Kontinenten verbracht und auch dort sechs Jahre (Japan) gewohnt habe, sondern weil die faszinierende Vielfalt Europas diesen Kontinent so liebenswert macht. Und um gleich ein weiteres Bekenntnis abzulegen: Ich bin von einem freien, fairen Handel als Wohlstandsquelle für alle Völker überzeugt. Ich habe mich deshalb in der immer liberaleren Zoll- und Wirtschaftsunion Europas, das intern auf Grenzen verzichtete, sehr wohl gefühlt, und ich habe es genossen, an Grenzen nicht mehr stundenlang zu warten, um dann absurde Fragen zu beantworten.
Dieses Europa der Vielfalt, der unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, der sehr ausgeprägten Eigenarten ist aber gerade dabei, zerstört zu werden. Selbst nach Österreich sind die Übergangszeiten an den Grenzen wieder unkalkulierbar. Sicher nicht, weil plötzlich Scharen von österreichischen Schmugglern und Kriminellen unser Land gefährden, sondern weil ein heilloses Durcheinander von Verfolgten aus den Bürgerkriegsstaaten Syrien, Irak, Afghanistan, dem Iran etc, und aus religiöser Verfolgung aus denselben Staaten, wie auch aus den korruptionsgetränkten Ländern Afrikas und Asiens ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben in unseren Kontinent drängen.

Umerziehung statt Realität

Die größte Gefahr für mein Europa aber sind die Regierungen, die das gemeinsame Fundament, die Rechtssicherheit und die Eigenverantwortung zerstören. Und das sind nicht nur Polen, Ungarn und Rumänien (neuerdings auch wieder die Slowakei), das sind auch Deutschland und Italien.
Es ist schon atemberaubend, wie die seit Jahren an den Machthebeln sitzenden Politiker alle Warnzeichen übersehen, die die Zerstörung des europäischen Projektes aufleuchten lassen. Das Wahlergebnis in Italien am 4. März ist dafür ein eklatantes Beispiel. Da wird darüber gejammert, dass die „populistischen“ Parteien überraschend hohe Zustimmung bei den Wählern erhielten.
Die „Populisten“ mutieren zur gefährlichsten Seuche Europas, vielleicht sogar der Welt, wenn der irritierende US-Präsident Trump mitvereinnahmt wird. Aber was machen „Populisten“ denn? Sie schauen auf das Maul des Volkes, des Populi, und nehmen deren Sorgen auf. Dass ihre Versprechungen und Rezepte dabei unrealistisch sind, spielt beim Wahlverhalten des „Volkes, des Populi“, dann keine Rolle mehr. Diejenigen Parteien aber, die für den Unmut der Menschen mit ihrer Politik gesorgt haben, sind offenbar unfähig, die Warnsignale wahrzunehmen. Statt hinzuhören, versuchen sie das Volk lieber umzuerziehen. Und das funktioniert nicht.
In Italien hat die Lega Nord auf die geografische Einordnung „Nord“ verzichtet und ist mit 17,69 Prozent  (+13,39 Prozent) die drittstärkste Partei geworden. Nun haben sich die Italiener ein Wahlrecht zugelegt, dass sie selbst kaum noch durchschauen. Der Zusammenschluss von Parteien zu Blöcken ist deshalb auf den ersten Blick maßgeblich. Die Lega ist Bestandteil eines Mitte-Rechts-Blocks, zu dem auch die Partei „Forza Italia“ des Greises Silvio Berlusconi gehört, der zwar selbst kein Amt antreten darf, weil er rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt ist, der aber trotz aller Affären immer noch durch die politische Chaoswelt Italiens segelt.
Berlusconi hat 7,66 Prozent verloren und ist damit bei 13,94 Prozent deutlich hinter der Lega gelandet. Ist das jetzt eine Katastrophe, dass die Italiener dem Charme des alternden Gigolos und Hütchenspielers Berlusconi nicht mehr gefolgt sind? Die Frage muss doch eher lauten: Gibt es außer Berlusconi keinen marktwirtschaftlich liberalen Italiener mehr, der auf das politische Geschehen Einfluss nehmen kann?
Die Mitte-Rechts-Koalition hat alle Provinzen der Nordens und der Mitte Italiens abgeräumt, bis auf die „rote“ Toskana. Dazu gehören Regionen wie die Emilia Romagna und Umbrien, die früher fest in den Händen der Kommunisten waren. Aus und vorbei. So grandios wie die Mitte-Rechts-Koalition im Norden auch gesiegt hat, so ist noch überzeugender im Süden der Sieg der Protestbewegung „5 Sterne“ ausgefallen. Die hat ein Komiker gegründet, der das Chaos in Italien mit Hohn und Spott überzog. Auch hier ist die Frage zu stellen: Ist es wirklich verwunderlich, dass die Menschen die Korruption und Zusammenarbeit der ehemaligen Democratia Christiana (unsere CDU) und der PD (unsere SPD) mit der Mafia leid sind?

Die Italienisierung des Euro

Jetzt wird in Paris, Brüssel und Berlin darüber spekuliert, ob es doch noch eine Koalition in Italien gibt, die nicht aus dem Euro austreten wird. Und wieder ist das die falsche Fragestellung: Wie, so sollten die Brüsseler Apologeten sich fragen, ist es möglich, dass gerade Italien, das Land, das der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Italiener Mario Draghi, mit einer halsbrecherischen Geldpolitik vor der Pleite retten will, jetzt Europa für seine Finanzprobleme verantwortlich macht? 2,5 Billionen Euro hat Draghi schon gedruckt und dafür vor allem auch die Staatsschulden Italiens aufgekauft – wie die der anderen südeuropäischen Schuldenländer auch. 2,5 Billionen! Ist dieses Papiergeld, für das Draghi mit seiner Unterschrift auf den Euroscheinen bürgt, der Kitt, der Europa zusammenhalten soll?
Die Ironie der Wahlergebnisse spiegelt die Realität wider, die in den Konferenzsälen Brüssels ausgeblendet wird. Dieses Italien mit seiner Historie, seiner Wirtschaftspolitik und den daraus entstandenen politischen wie wirtschaftlichen Traditionen ist für eine Gemeinschaftswährung nicht bereit. Als unter Romano Prodi, dem damaligen Ministerpräsidenten, Italien mit verschönten Zahlen und noch mehr illusorischen Versprechungen entgegen der selbstauferlegten Maastricht-Kriterien mit einer atemberaubenden Staatsverschuldung von über 130 Prozent doch in den exklusiven Club der Euroländer aufgenommen wurde, war dies gleichzeitig der Beginn der Zerstörung der Idee eines freiheitlichen, demokratischen, werteverpflichtenden Europas.
Ja, ich bin immer noch für den Euro, einen Euro allerdings, dessen Stabilität in den Maastrichter Kriterien festgelegt wurde und die konsequent und verbindlich eingehalten werden müssen. Eine gemeinsame Währung aber, die nach Gutdünken von einer EZB-Bank mit einem gerade amtierenden italienischen Präsidenten, der die ganze europäische Währung italienisiert, gegen einen solchen Euro müssen wir uns wehren, weil er mittelfristig gefährliche politische Entwicklungen produziert. Nichts macht dies deutlicher, als das Wahlergebnis in Italien vom 4. März 2018.

Vorbild Italien – eine historische Währungsunion

Kein anderes Land in Europa kann besser als Beispiel dafür dienen, wie eine falsche Währungsgemeinschaft noch nach Jahrzehnten, vielleicht sogar nach Jahrhunderten nachwirkt. Nachdem Guiseppe Garibaldi mit seinen Rothemden (ihm verdanken wir, das „rot“ mit „links“ identifiziert wird. Er saß im Parlament mit seinen Republikanern in roten Hemden auf der linken Seite) das Königreich beider Sizilien, also Süditalien erobert hatte, wurde er schnell verdrängt und das weit überlegene Königreich Savoyen-Piemont übernahm die Regierungsgewalt im Süden. Der hatte 1861 etwa das gleich Pro-Kopf-Einkommen wie der Norden, aber der Reichtum innerhalb Süditaliens war sehr ungleich verteilt. 90 Prozent der Süditaliener waren Analphabeten. Doch statt einer Republik, von der Garibaldi träumte, übernahmen die Adligen und Kaufleute des Nordens die Macht. Die blühenden Manufakturen Neapels, zum Beispiel, konnten sich nicht gegen die Finanzmacht des Nordens behaupten. Dazu muss erwähnt werden, dass Neapel damals nach London und Paris die drittgrößte Stadt Europas war.
Die gemeinsame Währung, vom Norden durchgesetzt, zerstörte die wirtschaftliche Basis des Südens. Drei Jahre, von 1861 bis 1864, dauerte ein mörderischer Kleinkrieg, in dem sich die Bevölkerung des Südens, vor allem in Sizilien, gegen die Übermacht aus dem Norden wehrte. Die Mafia als ehrenwerte Gesellschaft, die die Übergriffe des Staates bekämpfte, ist ein Erbe der Zwangsintegration und der Währungsangleichung. Die Folge hält seither an. Der Tiefpunkt war 1951, also 90 Jahre nach der Währungseinheit Italiens, da betrug die Wirtschaftsleistung des Südens nur noch 40 Prozent der des Nordens. Heute ist sie etwas angewachsen, auf 60 Prozent..

Die Währung zur Unterjochung des Südens

Doch nicht nur die Wirtschaftsleistung trennt den Norden vom Süden. Die historischen unterschiedlichen Erfahrungen von Nord und Süd sind tief im Bewusstsein verankert. 1976 ergaben die Wahlen einen deutlichen Linksruck. Zum ersten Mal siegte in Neapel ein kommunistischer Bürgermeister. Daran wurden die Hoffnungen geknüpft, dass er jetzt aus Neapel ein zweites Bologna machen würde. Bologna, kommunistisch seit Jahren regiert, war eine Vorzeigestadt. Keine Korruption, kostenloser Nahverkehr (schon 1976 gab es also so etwas) und funktionierende städtische Dienstleistungen.
Bei den Dreharbeiten für das ZDF für einen Film, der Bologna mit Neapel vergleichen sollte, erlebte ich drei wunderbare Tage in Bologna: bestes üppiges Essen, witzige Gesprächspartner, gebildete, aufgeklärte Europäer. Aber sie alle waren Kommunisten.  Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass wir in Deutschland andere Kommunisten kennen würden, die das Land durch eine Mauer trennten und auf den Befehl aus Moskau hörten, also keine deutschen Patrioten, so wie sie italienische Patrioten waren. Aber damit löste ich nur Heiterkeit aus: Was für eine tolle Idee: Eine Mauer hinter Florenz durch Italien, und damit wären sie den korrupten Süden los. Ja, das fänden sie gut.
Anschließend waren wir in Neapel und fragten den neuen Bürgermeister, ob er jetzt ein zweites Bologna aus Neapel machen wolle. Auch beim ihm löste ich wieder Heiterkeit aus. „In Bologna,“ so erklärte er mir, „ist jede Partei erfolgreich, ob Kommunisten oder nicht. Das liegt an den Bolognesern, die verwöhnt sind. Deswegen heißt es ja auch: Bologna la grassa – das fette Bologna. Und in Neapel funktioniert nichts, egal, wer die Stadt regiert.“
1981 siegten überraschend die Sozialisten in Apulien. Vor allem Bari machte von sich reden, weil dort viele mittelständische Unternehmen die Linkspartei unterstützt hatten. Bei den Dreharbeiten zu meinem ZDF-Beitrag erklärte mir ein Unternehmer, warum er die Sozialisten unterstützt. Die hätten keine Ahnung vom Geschäftsleben, kümmerten sich hauptsächlich um sich selbst, setzten die vielen tausend Bestimmungen, die uns behindern, nicht um. „Wissen Sie“, sagte er, „Italien wächst nachts, wenn die Bürokraten schlafen.“
Jetzt, bei den letzten Wahlen, wählte die Provinz von Bologna und die Romagna Emilia die Populisten von der Lega, und in der Provinz Campania mit der Hauptstadt Neapel siegten die Populisten von der „5 Sterne“ Partei. Deren Spitzenkandidat Luigi di Maio stammt aus Pomigliano d’Arco bei Neapel, einer Stadt, in der einmal zwischen Tomatenfeldern eine Alfa Sud Fabrik gebaut wurde, um die Industrialisierung des Südens zu beschleunigen.
Wie die beiden „Populisten“ ein erfolgreiches Italien aufbauen wollen, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich bleibt jetzt Italien lange ohne Regierung, was auch nichts besonderes ist. Das Land hat in gut 70 Jahren 63 Regierungen überstanden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass dies unter den Populisten von Nord und Süd besser wird. Auch die Schulden werden nicht weniger. Was neu an dieser Entwicklung für Deutschland ist? Dank des Euro sind wir an dem italienischen Chaos mitbeteiligt. Um die Sympathien für dieses wunderschöne Land aber nicht zu verlieren, empfiehlt es sich, wieder einmal nach „Bologna la grassa“ zu fahren und sich dort lukullisch verwöhnen zu lassen.   Günter Ederer

Mehr als alles andere interessiert die deutschen Medien die Frage: Wer ist für den Aufstieg der Populisten in Italien, aber auch in den anderen Staaten Europas verantwortlich? Politiker und Parteien, die sich den Nöten und Befürchtungen der Bevölkerung annehmen, oder Politiker, die konsequent versuchen, das Volk zu erziehen? Wir wissen noch nicht, wie das italienische Experiment nach den letzten Wahlen ausgeht, aber wir können zusehen, wie der Euro in Deutschland und in Europa weiter seine zersetzende Wirkung unter der Führung dieser EZB fortsetzt. Gerade wer Europa schätzt, muss sich gegen diesen Euro, der ohne Maastricht-Kriterien zum Spielball politischen Versagens geworden ist, zur Wehr setzen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat eine Stärkung Europas, eine engere Verzahnung gefordert. Dazu gehört eine Bankenunion, verbunden mit einer Einlagensicherung, also die gegenseitige Haftung aller europäischer Banken und auch ein europäischer Währungsfonds. Beide Vorschläge sind geeignet, Europa weiter zu verzahnen, aber nur dann, wenn die einzelnen Staaten sich an gemeinsam beschlossene Verträge halten müssen.
Davon sind wir aber weit entfernt. Nicht etwa, weil die betroffenen Länder sich unverantwortlich verhalten, sondern weil die Beschlüsse einfach gegen ihr Selbstverständnis, ihre Kultur gehen. Dies wird in Brüssel negiert. Wie das Beispiel Italien zeigt, sind diese unterschiedlichen Kulturentwicklungen nicht durch Konferenzbeschlüsse abzuschaffen. Was über 100 Jahre in Italien nicht funktioniert hat, wird jetzt aber par ordre du mufti beschlossen. Und das Gebot Brüssels lautet: Ab sofort verhalten sich die Süditaliener wie Norditaliener und die Griechen wie Schweden.
In Italien, aber auch in Griechenland und Spanien, haben die Staaten Jahrzehnte das  Eigentum an Immobilien durch niedrige Steuern gefördert. Dadurch liegen sie im Pro-Kopf-Vermögen in der EU über Deutschland. Ihre Lohn- und Haushaltspolitik aber zielte jeweils auf die nächste Wahl und war deshalb bei Renten, sozialen Hilfszahlungen, Lohnerhöhungen und Arbeiterrechten entsprechend großzügig. Wurde dies dann gefährlich für den internationalen Wettbewerb, wurde wieder abgewertet und das Spiel ging von vorne los. Die Währung atmete und war den nationalen Bedürfnissen angepasst. Die Urlaubsreisenden in Italien konnten dies an immer mehr Nullen auf den Lirescheinen und immer günstigeren Wechselkursen mitverfolgen.

Wahlsieg geht vor Wahrheit

Mit dem Euro war diese Wirtschafts- und Währungspolitik vorbei. Alle Staaten im Süden Europas, die so Jahrzehnte wirtschafteten, verloren schnell an Wettbewerbsfähigkeit und taumelten in hohe Arbeitslosigkeit. Die Banken-Finanzkrise verschärfte diese Situation, aber sie ist nur ein Symptom für die hohen Staatsdefizite und die daraus folgende Sparpolitik samt Arbeitslosigkeit.
Noch ein gefährlicher Nachteil des Euro, so wie er jetzt konstruiert ist, wurde in der italienischen Wahl 2018 überdeutlich. Die deutschen Medien wurden nicht müde, die Wahlsieger dadurch als unverantwortlich zu brandmarken, weil sie unhaltbare Versprechungen gemacht haben. Einige Beispiele: ein Mindesteinkommen von 1.000 Euro im Monat, kostenlose Besuche beim Tierarzt, ein kostenloses Gebiss, Rückzahlung der Grundsteuern etc. Nun sind unverantwortliche Wahlversprechen keine italienische Spezialität. Gefährlich aber wird ein solches Verhalten, wenn es mit Schuldzuweisungen an andere Länder verbunden ist. Im italienischen Fall wurden für alle Sparmaßnahmen die Deutschen verantwortlich gemacht. Deren Diktat wolle man sich nicht länger unterwerfen.
Dieses Verhalten entspricht einer einfachen Logik und wird mehr oder weniger in allen Nationen angewandt. Wenn ein Politiker die Wahl hat, Punkte zu sammeln, wenn er einer anderen Nation die Schuld geben kann, dann wird er dies skrupellos tun. Ein Wahlsieg mit verlogenen Sprüchen ist dann den Politikern immer noch lieber, als eine Wahlniederlage, die die Wahrheit ausspricht. Die könnte in Italien ganz einfach lauten: Schuld an unserer Misere sind wir alle, weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und jetzt im Schuldenchaos versinken. Deutschland hat damit nichts zu tun. Aber soviel Masochismus kann von keinem Politiker erwartet werden. (In Deutschland sind meistens die Amerikaner an allem schuld.)
Die Konstruktion des Euro macht es leider leicht, sich über andere Nationen aufzuregen und sie für die eigene Situation verantwortlich zu machen. Eigentlich geht es uns nichts an, wie Italien seine Rentner bezahlt und wie früh sie in den Ruhestand geschickt werden. Eigentlich geht es uns auch nichts an, dass eine der ärmsten Regionen Europas, Sizilien, seinen Regionalparlamentariern bis 15.000 Euro netto im Monat zahlt, mehr als in jedem anderen europäischen Parlament. Es geht uns aber etwas an, wenn wir dafür über verschiedene EU-Kassen mitbezahlen sollen. Und schon haben wir das Problem des Euro: Jeder redet bei jedem mit, jeder beschuldigt jeden und keiner ist verantwortlich für eine unübersehbare Misswirtschaft.

Der ungeliebte deutsche Klassenprimus

Hier kommt nun die Rolle der Bundesrepublik Deutschland ins Spiel. Sie war und ist der Gewinner dieser Währung, vor allem, wenn man zu den oberen Einkommensschichten gehört. Natürlich ist es legitim, darauf hinzuweisen, dass die Staaten selbst an ihren Finanzschwierigkeiten schuld sind, aber das macht Deutschland nicht sympathischer. Der Klassenprimus, der den anderen sagt, wie sie zu sparen haben, wie sie den Lebensstandard ihrer Bevölkerung kürzen müssen, ja, wie unfähig sie eigentlich sind, wird zunehmend gehasst. Die gewaltigen Profite, die Deutschland aus dieser Konstellation zieht, sollen jetzt durch die Bankenunion und höhere Zahlungen an die EU wieder abgeschöpft werden. Das ist für das deutsche Normalgemüt allerdings eine Vorstellung, die wütend macht. „Deutschland, der Zahlmeister für alles“. Und schon haben die Populisten auch in Deutschland eine Plattform, auf der sie erfolgreich agieren können.
Es ist eigentlich schizophren: Die Italiener wählen Populisten, weil sie sich von dem Euro, und nicht zuletzt von den Deutschen ausgenommen fühlen, und die Deutschen wählen Populisten, weil sie die unlauteren Währungsgewinne wieder abgeben sollen.
Noch immer ist den deutschen Traditionsparteien nichts Besseres eingefallen als die hiesigen Populisten, die „Alternative für Deutschland“ mit Geschäftsordnungstricks im Parlament zu bekämpfen. Sie vergessen dabei, dass die Gründungszelle der AfD entstand, weil Professoren und Unternehmer zum richtigen Ergebnis kamen, dass dieser Euro Europa spaltet. Die Entwicklung hat ihnen recht gegeben. Gerade haben in diesen Tagen acht nordeuropäische EU-Staaten (Irland, Niederlande, Finnland, Schweden, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen) deutlich formuliert, dass sie gegen eine „Vergemeinschaftung“ der Staats- und Bankenschulden und einer Einlagesicherung sind. Diese angebliche Stärkung der europäischen Idee würde nämlich bedeuten, dass auch die Sparer von Finnland und Deutschland für die Schulden griechischer, zypriotischer und italienischer Banken haften müssten. Deutschland hat nicht unterschrieben. Unsere Regierung ist zum einen noch in einer Selbstfindungsphase, zum anderen gehört sie zu den Europa-Romantikern, die mehr Unheil für die Idee Europa anrichten, als die mittlerweile im nationalen Getöse angekommen AfD-Funktionäre.

Die Primitivparole „My Country First“

Das Anwachsen der Nationalisten mit ihrem dummdreisten „My Country first“ ist nicht mit Aufrufen gegen Neofaschisten, Rassisten usw. zu verhindern, sondern mit einer transparenten Politik, die den Menschen die Angst nimmt, von einer nichtverstandenen Globalisierung, vom Freihandel, und von fremdartiger Einwanderung bedroht zu werden. Über diese Themen werde ich später Beiträge auf der Achse schreiben. Die zunehmende Akzeptanz von völkischem Gedankengut und nationaler Überschätzung ist vor allem einer illusorischen realitätsfernen Politik der bisherigen Machteliten zuzuschreiben.
Dazu ein Beispiel: Die Geldschwemme und Nullzinspolitik der EZB unter Mario Draghi hat den deutschen Sparern Milliarden gekostet. Vor allem diejenigen, die dem jahrelangen Mantra gefolgt sind und zusätzlich zu ihrer Rente eine Lebensversicherung abgeschlossen haben. Ihre Rechnung für die Alterssicherung ist Makulatur, dank einer Eurorettung für – ja für wen denn? Den griechischen Rentner, der jetzt erkennen muss, dass seine Alterssicherung auf Pump gebaut war? – den italienischen Arbeiter, der keinen Job mehr hat, weil seine Regierungen ihn mit Lügen vollgelabert haben? – den spanischen Sparkassen, die Milliarden ungedeckte Kredite vergeben haben? – den deutschen Landesbänkern, die Milliarden im Größenwahn verzockt haben?

Mehr Realitätssinn ist das beste Rezept für ein Europa der Vielfalt und des Zusammenhaltes. Wie wirklichkeitsfremd muss eine Partei sein, die ausgerechnet durch mehr kaum kontrollierbare Transfer- und Umverteilungskassen bei den deutschen Wählern wieder Vertrauen gewinnen will, wie die SPD? Wie verbohrt muss eine Kanzlerin sein, die ihrer Partei nach herben Stimmenverlusten ein „so weiter wie bisher“ verordnet und gerade dabei ist, die Übernahme der EZB-Präsidentschaft durch einen deutschen Stabilitätsbanker wie Jens Weidmann zu verspielen? Wie viele Wahlniederlagen der Traditionsparteien in Europa müssen die Grünen noch erleben, bis sie aus ihrem romantischen Umerziehungstraum aufwachen? Und hat die FDP wirklich von ihrem historischen Versagen als Juniorpartner der Merkel-CDU gelernt? Da fällt mir gerade noch so ein Spruch ein, der auf Partys garantiert für Heiterkeit sorgt. Die Frage: Was unterscheidet die SPD und die CDU im Umgang mit Steuergeldern? Antwort: Die SPD weiß schon, dass sie mit den Geldern von anderen nicht umgehen kann, die CDU weiß es nur noch nicht!
Daraus ließe sich ableiten: Die Sozialdemokratie ist in Europa schon marginalisiert; die CDU hat noch nicht mitbekommen, dass ihr Politikstil in Italien vernichtet und in Frankreich zerlegt ist und in Großbritannien keinen Partner mehr hat.   Günter Ederer

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