Stationen

Sonntag, 11. März 2018

SED


Die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, eine Sozialdemokratin, tat heute kund und zu wissen, dass der Schriftsteller Uwe Tellkamp in einem Streitgespräch mit Durs Grünbein am Donnerstag in Dresden eine "Privatmeinung" vorgetragen habe, "die ich nicht teile".
Das wirft zunächst die Frage auf, was es außer Privatmeinungen noch für Meinungssorten gibt und in welchem Verhältnis sie zu jener stehen. Fraktionsmeinung? Parteimeinung? Regierungsmeinung? Offizielle Meinung? Landesmeinung? EU-Meinung? Weltmeinung? Gattungsmeinung? Wie der Suhrkamp-Verlag gestern verkündet hat, gibt es auch eine Verlagsmeinung, wobei man gern erführe, wie man innerhalb des Geltungsbereiches der Suhrkamp-Kultur mit Angestellten umgeht, die besagte Verlagsmeinung nicht teilen (Alexander Wendt hat dazu alles Nötige gesagt).
Daraus folgt die Frage, welche Art von Meinung außer seiner privaten nach Ansicht der Kunstministerin ein Schriftsteller bei einem Podiumsgespräch vortragen sollte. Und warum eine vom Steuerzahler finanzierte politische Amtsträgerin, die angeblich als Schirmherrin von Wissenschaft und Kunst fungiert, die Bonzenmentalität an den Tag legt, die Meinung eines Schriftstellers als sekundär (= privat = nicht staatlich zertifiziert) und von ihrer abweichend zu klassifizieren. Die Dame war übrigens von 1981 bis 1988 Mitglied der SED. Diese Prägung scheint heute noch zu wirken.   MK am 10. 3. 2018

Immer wenn man denkt, schlimmer geht es nicht mehr,
kommt ein noch niederträchtiger Strolch daher.

Nachdem Tellkamp über den massenhaften Zuzug von Flüchtlingen gesagt hatte, „die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern“, twitterte der Verlag stante pede: „Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlages zu verwechseln.“ So ließen zuletzt die Verlage der DDR ihre Autoren im Regen stehen, wenn sie Druck von oben bekamen.

Siegfried Unseld, der einstige Suhrkamp-Verleger, müsste sich im Grabe umdrehen, würde er von diesem Verrat Wind bekommen. Natürlich war auch er nicht immer mit dem einverstanden, was etwa Thomas Bernhard verlauten ließ. Aber wann hätte er sich deshalb je von seinem Autor öffentlich distanziert? Wann hätte Ernst Rowohlt jemals Hans Fallada coram publico den Rücken gekehrt, wann wäre Samuel Fischer derart von Gerhart Hauptmann abgerückt. Nicht zuletzt in ihrer Loyalität gründete der gute Ruf deutscher Verleger – bisher.

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