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Mittwoch, 28. März 2018

Sie wollen nicht

Als die österreichische Regierung ankündigte, künftig Mobiltelefone von Asylbewerbern auszulesen, um deren Herkunftsangaben zu überprüfen, gab es in den meisten deutschen Medien negative und pikierte Kommentare: das sei ein völlig ungerechtfertigter Eingriff. Ganz ähnlich die Berichterstattung, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im September 2017 ankündigte, Mobiltelefone von Migranten zur Aufklärung ihrer Herkunftsländer heranzuziehen. Dazu wären die Geräte sehr gut geeignet – nicht nur wegen der gespeicherten Gesprächsdaten in bestimmte Länder, sondern auch wegen der Roamingdaten, die den Weg des Einreisenden nachzeichnen.
Durch eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion wurde jetzt bekannt, dass zumindest in Deutschland das Instrument trotz aller rechtlichen Möglichkeiten praktisch nicht genutzt wird. Von September 2017 bis Januar 2018 wurden nach Angaben des BAMF nur 8 900 Datenträger von Asylbewerbern ausgelesen, um mehr über die Herkunft der Migranten zu erfahren. Und nur in 900 Fällen seien die Ergebnisse „aktenrelevant“ gewesen. Laut BAMF-Chefin Jutta Cordt handelt es sich bei der Handy-Überprüfung  um die „ultima ratio, wenn wir Zweifel an der Herkunft haben, die sich anders nicht verifizieren lassen“. Von September 2017 bis Januar kamen etwa 70 000 Asylbewerber nach Deutschland, davon zwei Drittel ohne Papiere. Mindestens in diesen Fällen müssten die BAMF-Mitarbeiter grundsätzlich an den mündlichen Angaben der Einreisenden zweifeln. Welche anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen sollten, um das Herkunftsland herauszufinden, dazu teilte Cordt nichts mit. Das Telefon-Überprüfungsverfahren stellt ohnehin die Rechtslage auf den Kopf: eigentlich muss der Asylbewerber oder Kriegsflüchtling belegen, dass er in einem bestimmten Land an Leib und Leben bedroht ist, das heißt, er müsste zunächst einmal belegen, dass er überhaupt aus dem Land stammt. In der Praxis versucht die zuständige Behörde längst, etwas über die Bewerber herauszufinden und ihnen im Zweifelsfall nachzuweisen, dass sie nicht schutzberechtigt sind.

Aber selbst die gesetzlichen Instrumente dazu wendet das BAMF praktisch kaum an. Anders als in Österreich fehlt der politische Wille dazu.
Es gibt auch so gut wie keine Rücknahmen von Asylentscheidungen und Flüchtlingsstatus-Anerkennungen – obwohl die zuständigen Politiker nach dem Fall Amri und Hussein K. angekündigt hatten, jetzt würden auch rückwirkend Asylentscheidungen noch einmal überprüft. Und obwohl die Polizei bei der Ermittlung von Straftaten mit Beteiligung von Asylbewerbern und vorgeblichen Kriegsflüchtlingen immer wieder auf Falschangaben zur Herkunft und Identität stößt. Laut BAMF vollzogen Beamte im 4. Quartal 2017 bei einer Gesamtzahl von 49 190 Fällen ganze acht Rücknahmen von Asylentscheidungen (0,8 Prozent),  bei subsidiär Schutzbedürftigen (die weder unter das Asylrecht noch die Flüchtlingskonvention fallen) in 35 Fällen (3,6 Prozent). Und selbst das bedeutet noch nicht zwingend: Abschiebung.

Die scheitert unter anderem daran, dass die meisten Bundesländer nur über wenige Abschiebehaftplätze verfügen – und eine ganze Reihe, etwa Berlin, über gar keine. Sachsen will jetzt 9,7 Millionen Euro investieren, um zumindest einige zusätzliche Plätze zu schaffen. Es ist ein ganz ähnliches Phänomen wie bei der Telefonüberprüfung: Rechtlich ist die Abschiebehaft nach Paragraf 62 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz möglich – praktisch wird sie kaum verhängt. In Berlin legten die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne sogar im Koalitionsvertrag fest, dass das Land auf Abschiebungen möglichst verzichtet – und auf Abschiebehaft erst recht.
Zu was für absurden Folgen das führt, zeigt der Fall Mohamed Ben Fathi exemplarisch:

Der Tunesier reiste 2014 illegal aus der Schweiz nach Deutschland ein, entzog sich der Rückschiebung in die Schweiz, indem er untertauchte, und konnte auch nach Ablehnung seines unbegründeten Asylantrags durch das BAMF nicht abgeschoben werden, weil er, wie es hieß, „für die Behörden nicht mehr erreichbar war“.
Er lebte fortan als Untergetauchter vom Drogenhandel. Außerdem wurde er in die Datei islamistischer Gefährder aufgenommen. Zivilfahnder nahmen ihn im Dezember 2017 an der Warschauer Brücke fest, dem gleichen Ort, an dem auch der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri Drogen verkauft hatte. Obwohl die Polizisten nach der Überprüfung schnell wussten, dass es sich um einen Straftäter, Gefährder und abgelehnten Asylbewerber handelte, und obwohl zu diesem Zeitpunkt schon tunesische Passersatzpapiere für ihn vorlagen, ließen sie ihn wieder laufen. Erst am 26. Januar 2018 fasste das Amtsgericht Tiergarten auch wegen des öffentlichem Drucks durch den Berliner CDU-Parlamentarier Burkhard Dregger den Beschluss – allerdings in Abwesenheit von Fathi – den Tunesier bei nächster Gelegenheit in Abschiebehaft zu nehmen. Den Antrag dazu stellte eine sächsische Behörde, da der Asylbetrüger dort zuletzt gemeldet war. Nach Feststellung des Gerichts (der Beschluss liegt Publico vor) hatte Fathi europaweit 18 Identitäten benutzt, davon zwei in Deutschland. Er war insgesamt 11 Mal straffällig geworden. Schon im September 2017 versicherte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, jetzt wüssten die Behörden endlich, wo sich welcher Asylbewerber aufhalte, Doppelidentitäten wie bei Amri seien nicht mehr möglich. In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar wurde Fathi dann endlich erneut verhaftet. Ob er tatsächlich mittlerweile außer Landes gebracht wurde, ist noch nicht klar.

Nach Veröffentlichung der „Erklärung 2018“ gegen die illegale Masseneinwanderung bemühten sich etliche Journalisten um den Nachweis, diese Illegalität gebe es gar nicht. Der Blick in die Praxis zeigt: Nach wie vor nutzen die Behörden selbst die vorhandenen Mittel kaum, um herauszufinden, wer eigentlich ins Land kommt – und um diejenigen wieder loszuwerden, die sich zu Unrecht in Deutschland aufhalten.
Zurzeit steht in Berlin der abgelehnte tschetschenische Asylbewerber Ilyas M. vor dem Landgericht. Er hätte eigentlich nach einer kriminellen Karriere und einer abgesessenen Haftstrafe abgeschoben werden müssen, es passierte aber nicht. Am 15. September 2017 erwürgte er die Kunsthistorikerin Susanne Fontaine im Tiergarten, nur 300 Meter entfernt vom Hardenbergplatz. Seine Beute: Zwei Euro und Fontaines Mobiltelefon.   (hier mit Dokumentation)

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