Sinns emotionaler Auftritt zeigt, dass die Euro-Zone noch lange keineswegs, wie in Politik und Medien oft suggeriert, über den Berg ist. In Berlin fand sich am Dienstag eine illustre Runde namhafter Ökonomen zusammen. Ihr Ziel war es, einen Notfallplan für einen möglichen Euro-Zerfall zu entwickeln. Unter dem Titel „Is the Euro sustainable – and what if not“ (zu Deutsch etwa: Ist der Euro wirklich überlebensfähig und was, wenn es nicht so ist?) diskutierten führende deutsche und internationale Spitzenökonomen Kosten und Folgen eines möglichen Euro-Zerfalls, Reformen, die einen Austritt erleichtern könnten, und historische Erfahrungen mit dem Zerfall von Währungsverbünden.
Geladen hatten die private Hochschule ESMT und das Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen nach Berlin. Die Lage in der Währungsgemeinschaft mag sich dank des synchronen Konjunkturaufschwungs stabilisiert haben, doch die steigenden Target-Salden offenbaren die ökonomischen Bruchstellen der Währungsunion. Und die Wahlen in Italien haben bewiesen, dass die Gefahr einer Euro-Schmelze alles andere als gebannt ist. Dort hatte der Chef der rechtspopulistischen italienischen Lega, Matteo Salvini – immerhin einer der Wahlsieger – verlauten lassen, dass einzig der Tod unabänderlich ist, eine Währung ganz sicher nicht. Doch während sich die Politik allein darum sorgt, die Euro-Zone stabiler zu machen, wollen Ökonomen auch Vorsorge für den Fall treffen, dass die Gemeinschaftswährung scheitert.
„Die Wahrscheinlichkeit eines Euro-Zerfalls ist nicht null. Als Wissenschaftler müssen wir das durchdenken“, sagte Kai Konrad, Finanzwissenschaftler am mitausrichtenden Planck-Institut. Ihm sekundierte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Christoph Schmidt. „Selbst für sehr unwahrscheinliche Ereignisse sollte man gewappnet sein.“
„Exit-Klausel grundsätzlich diskutieren“
Nach Ansicht der Ökonomen sind drei Exitszenarien denkbar: Der Austritt eines Landes ohne Zustimmung der anderen, ein Austritt im Konsens mit den anderen oder aber der Ausschluss eines Landes gegen den Willen des austretenden Landes. Für all diese Szenarien gebe es keinen rechtlichen Rahmen, sagt Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts. Derzeit hat die Euro-Zone mit Artikel 50 des EU-Vertrags zwar eine Austrittsklausel, aber dabei ist der Euro-Austritt verbunden mit dem Austritt aus der Europäischen Union. Das sei nicht wünschenswert, sagt Fuest. „Derzeit steht ein Austritt nicht auf der Tagesordnung, deshalb ist die Zeit günstig, eine Euro-Exit-Klausel grundsätzlich zu diskutieren“, sagt Fuest. Diese könne man jetzt im Rahmen des Reformprozesses in die Verträge aufnehmen. Fuest würde derzeit keinem Land den Austritt empfehlen. Nach Ansicht von Fuest könne eine solche Klausel einen disziplinierenden Einfluss haben. „Eine Euro-Mitgliedschaft geht damit einher, dass man die Regeln der Euro-Zone akzeptiert“, sagt Fuest vor allem in Richtung Italien. Dort hatte Lega-Chef Salvini gefordert, dass Italien sich gegen die Vereinbarungen über die Fiskalpolitik hinwegsetzt, die Italien selbst unterschrieben hat. „Das ist mit einer Mitgliedschaft im Euro-Raum unvereinbar“, sagte Fuest.Einige Ökonomen können sich mit der Idee anfreunden, gegebenenfalls Serien-Regelbrecher aus dem Euro zu werfen. Dass Länder sich durch Austrittsoption davor schützen, Transfers an andere Staaten zahlen zu müssen, ist derzeit nicht absehbar, aber für die Zukunft nicht generell auszuschließen.
Es braucht Regelungen für den Austritt
„Die größten ökonomischen Vorteile von Austrittsregeln wären, dass die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Austritts einschließlich der Unsicherheit sinken und Konflikte unter den Staaten weniger wahrscheinlich werden“, sagt Fuest. Möglicherweise entstehe mehr Unsicherheit über den Fortbestand der Euro-Zone. „All das spricht dafür, hohe prozedurale Hürden für einen Austritt vorzusehen, aber nicht dafür, keine Regelungen für den Austritt zu haben“, sagt Fuest.Austritts- und Sezessionsklauseln könnten vor allem als Schutz vor Umverteilung zulasten einzelner Staaten dienen. Wohlhabendere Länder wie Deutschland oder die Niederlande könnten durch eine Austrittsklausel vor dem Wandel der Euro-Zone zu einer Transferunion geschützt werden. Doch eine Austrittsklausel könnte auch den schwächeren Ländern helfen. Länder wie Italien könnten durch eine eigene Währung wieder wettbewerbsfähiger werden.
Wie groß die Differenzen sind, machte Sinn deutlich. Damit die schwächeren Länder preislich wieder zu Deutschland aufschließen könnten, müsste hierzulande die Inflation in den kommenden zehn Jahren 4,5 Prozent stärker steigen als im Rest der Euro-Zone.
Top-Ökonomen auf politisch vermintem Terrain
Der Austritt eines Landes würde für Deutschland teuer. Steige ein bestimmtes Land aus, bleibe die Bundesbank auf ihren Target-Forderungen gegenüber diesem Mitglied sitzen.Allein Italien hat derzeit Target-Verbindlichkeiten gegenüber dem Eurosystem von 444 Milliarden Euro.
Steige Deutschland aus, wären wohl die gesamten Forderungen von gut 900 Milliarden Euro dahin. Für diesen Fall sei eine Sorge jedoch unbegründet, dass nämlich eine wiedereingeführte D-Mark zu stark aufwerten würde. „Die Bundesbank könnte nach dem Vorbild der Schweizerischen Nationalbank durch massive Interventionen den Wert niedrig halten“, sagte Fuest.
Doch die anwesenden Wirtschaftshistoriker warnten davor, einen Euro-Zerfall zu leichtfertig hinzunehmen. Die Historie zeige, dass der Kollaps einer Währungsunion meistens zu Turbulenzen geführt haben. „In der Regel führte der Zerfall einer Währungsunion auch zu einem Zerfall der entsprechenden Zollunion“, sagte Albert Ritschl, Wirtschaftshistoriker an der London School of Economics.
Und das war auch die Quintessenz der Euro-Konferenz. Doch auch wenn der Masterplan noch nicht steht: Immerhin war es die erste hochrangige Ökonomenrunde, die sich auf das politisch verminte Terrain bewegt hat. Die WeLT
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.