Stationen

Mittwoch, 9. November 2016

Marcel Beyer

So wie ein Volk sich einmal über dem Fremden vergißt, so wie es seinen Nationalcharakter, das Band, das es zusammenhält, aufgibt, so wie es einmal in geistiger Bildung der Sklave eines andern wird, so geht auch leicht die politische Freiheit unter, auf die ihr stolz jetzt pocht…!

Dies Deutsche, dies wird euer Los sein; wenn ihr euch jetzt nicht zu neuem, kräftigen Leben wieder erhebt, wenn ihr nicht wieder bald anfangt Deutsche zu werden, wenn ihr euch nicht eure Nationalität, rein und geläutert von allem Fremden wieder erwerbt, werden eure Nachkommen sich eures gebrandmarkten Namens schämen und untergehen werdet ihr ein Spott der Nachwelt und der Gegenwart.
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Schon klar: Nicht mein Stil. Zur (sicher vergeblichen) Irreführung habe ich aus „Teutsche“ „Deutsche“ gemacht. Wer war’s also? Hitler? Also bitte, nein! Der Arndt, Ernst Moritz? Oder… Nein, nein: Georg Büchner. Namensträger des renommiertesten deutschen Literaturpreieses. Ein, hm, Liberaler eigentlich.

Schrieb ich nicht neulich, das leidenschaftliche Rennen durch sperrangelweit geöffnete Scheunentore sei gleichsam eine condititio sine qua non, um hierzulande einen begehrten Kulturpreis zu ergattern? Damals ging es um Carolin Emcke, frischgekürte Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, und um ihre Rede. Nun geht es wieder um Reden (vulgo: Geschwätzwissenschaften, wie Inhaber nichtgeisteswissenschaftlicher akademischer Titel gern sagen). Genauer: Um Marcel Beyer, frischester Büchnerpreisträger. Noch genauer aber: Um die personifizierten Halterungen, die dafür sorgen, daß das Scheunentor nicht zuklappt, während der Traktor in die Hütte bzw. den Palast einfährt.

Der Traktor, das wäre hier Marcel Beyer. Geboren 1965 auf der Schwäbischen Alb, seit zwanzig Jahren Wahldresdner, Poet. Träger des Kleist-, des Oskar-Pastior-, des Erich-Fried-Preises, usw.usf. In der Wochenzeitung für Debatte (JF) machten sie vergangene Woche Beyer unbarmherzig nieder: Die Preisvergabe als Schandmal, gewissermaßen. Hier, in der Sezession, wurde Beyer differenziert und sehr unterschiedlich beurteilt (siehe Sez. 65/2015 und Sez. 28/2009).
Nochmal O-Ton Büchner, Hessischer Landbote, Novemberfassung:
„Ich sage euch: Wer das Schwert gegen das Volk erhebt, wird durch das Volk umkommen. Das Volk ist ein Leib, ihr seid ein Glied dieses Leibes. Es ist einerlei, wo diese Scheinleiche zu zucken anfängt. Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch die Männer, durch welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur Freiheit führt, dann erhebt euch und der ganze Leib wird mit euch auferstehen.“
Marcel Breyers Dankesrede zum Erhalt des gutdotierten Büchnerpreises wurde allenthalben gelobt. Drei Anmerkungen dazu:
1: Warum hat bislang niemand Beyer als Bundespräsidenten ins Spiel gebracht? Im meistgebrauchten Photo zur Dankensrede sieht er ja bereits aus wie ein Gauck junior!
2: Beyers Rede war natürlich (so ist das bei solchen Staatselitepreisen) an die superintellektuellen 0,2% des Volkes gerichtet. An die, die sofort wissen, was Beyer beispielswiese mit seiner Anspielung auf „jenen Hund mit der graphitgrauen Schnauze“ meinte, den „Goya in seiner Quinta del Sordo in den Putz gezeichnet hat.“ Ich wette, daß 50% der illustren Hörerschaft artig schmunzelten, wiewohl sie sich rein gar nichts unter Goyas Graphithund vorstellen konnten. Daß sie weiterschmunzelten, als Beyer gegen jene Menschen ätzte, die „auf dem Nationalschlauch stehen dürften“, weil sie nie von einem „Fela Anikulapo Kuti“ gehört haben. (Es ist davon auszugehen, daß 95% der Zuhörerschaft der Name Fela Kuti nichts sagt.)
3., und in meinen Augen bedeutsam: Die (allesamt wohlgefälligen) Kommentatoren zur Beyerrede unterstellten dem Poeten Eigenschaften, die ihm lesbar abgehen. Zunächst Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie, als Laudatorin, empfand Beyer als „Provokateur“ (gegen was?) als „Verwegenen“ (inwiefern?):
Wir brauchen, davon bin ich überzeugt, die provozierenden Künstler, die verwegenen Denker. Wir brauchen die Utopien, die sie entwerfen, die Phantasie, die sie antreibt. Aber auch die Schärfe ihres Verstandes. Sie verhindern damit, das intellektuelle Trägheit, argumentative Fantasielosigkeit und ja, auch politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern.
Die Künstler, so Grütters, seien imstande, die Gesellschaft vor
gefährlicher Lethargie und damit auch natürlich vor neueren gefährlichen Anwandlungen zu bewahren.
Dieses Raunen! „Gefährlich!“ „Lethargie!“ „Provozierende Künstler, verwegene Denker!“ Ich sehe keinen, der hierzulande für genau diese Eigenschaften mit Preisen überhäuft wird. Ich sehe nur selbstgefällige, intellektuell träge und argumentativ fantasielose Staats- und Kulturcliquen, die ihresgleichen einseifen.
Was also meint Grütters? Inwiefern genau empfiehlt sich gerade Beyer für solche Eigenschaften und Taten? Ich meine: Ja, Beyer rühmt den Rebellengestus eines Büchner und mimt ihn. Wie? Indem er jene „Zeitgenossen“ blamieren will die „vor lauter Nationalempfinden schwitzen“, die eine „grundverunglückte Heiligabendsprache zelebrieren, die Deutschlandretter mit einem Dschihadistenernst zelebrieren, daß mir das Blut in den Adern gefriert. (…) Büchner beruhigt mich. Er redet mir gut zu.“
Ach ja? Hier etwa, Büchner im April 1833 an seine Familie:
„Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. (…) Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde.“
Gut. Beruhigend für Herr Beyer. Sein durch tumbe „Deutschlandretter“ geforenes Blut fließt nach solcher Lektüre also wieder brav durch die Adern.
Dann, Betrachtung aus NZZ:
Dem Ruhme Büchners liess der Preisträger am Ende einen Abgesang auf das «Spreizdeutsch» und die «Heiligabendsprache» (…) Das galt, ohne Namen zu nennen, der Rhetorik von Pegida, die den «Sprachsäufer» Beyer schlucken und speien lässt, blieb aber selbst als Polemik noch überaus kunstreich. Eine erstaunliche Rede!
Stimmt insoweit: Das Wort „Pegida“ fiel nicht. Aber, was heißt hier „speien“? Es ist ein Synonym für „pöbeln“, oder? Also pöbelt Beyer. Hübsche Augenhöhe mit denen, die er verhöhnt! Und Büchner selbst?
Soweit ein Tyrann blicket, verdorret Land und Volk. Aber wie der Prophet schreibt, so wird es bald stehen in Deutschland: Der Tag der Auferstehung wird nicht säumen. In dem Leichenfelde wird sichs regen und wird rauschen und der Neubelebten wird ein großes Heer sein. Die besten Männer aller großen Stämme des großen deutschen Vaterlandes werden (…) sich versammeln, um, da, wo die babylonische Hure, der Bundestag, nach dem Willen der Götzen Recht und Wahrheit verhöhnt, christlich über Brüder regieren.
Zuletzt lassen wir die fraglos hochtalentierte Mara Delius (Welt)zu Wort kommen:
Was aber ist, wenn das, was einen umgibt, gerade nicht hell scheint, sondern dunkel, schwer in die Sprache, mit der man sich befasst, sickert und trieft; wie lässt sich heute, jetzt, wenn „Identitäre“ und „Völkische“ in ihr umhertönen, über das Deutsche sprechen? Dass sich diese Frage überhaupt wieder stellt, ist zunächst widerlich und dann interessant.
Delius weiter:
Der Autor als Mahner, der sich den dunkel-tumben Gedanken Parolenpöbelnder entgegenstellt, sicher, dachte man sich weiter hinten, aber was heißt das nun genau (…)?
Ja, was?
Ein letztes mal Höcke, äh, Büchner:
„Das ganze deutsche Volk muß sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, geliebte Mitbürger, ist nicht fern.- Der Herr hat das schöne deutsche Land, das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in die Hände der fremden und einheimischen Schinder gegeben. (…) Der Herr wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Tyrannen zerbrechen durch die Hände des Volks.“
Abschließend nochmal Beyer über Büchner:
Über das selbstbesoffene Eierlikördeutsch seiner Zeitgenossen – süßlich, klebrig, sittenrein – kann er nicht mal mehr lachen, „das ästhethische Geschlapp“ steht ihm „bis am Hals“.
Mit dem klebrigen Eierlikördeutsch und dem rezenten verbalen Geschlapp hat sich Manfred Kleine-Hartlage mustergültig (Büchner hätt’s gefallen!) in seiner Sprache der BRD auseinandergesetzt. Aber Beyer? In seinen schlechteren Texten praktiziert er’s ja selbst.   Ellen Kositza

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