Stationen

Donnerstag, 12. April 2018

Steinhöfel erwischt Zuckerburqa

Als der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD) in den letzten Tagen der alten großen Koalition 2017 dass Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Eilverfahren durch den Bundestag brachte, hatte sich schon eine Riege beachtlicher Experten dazu geäußert.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stufte es in einem Gutachten schon vor seiner Verabschiedung als grundgesetz- und europarechtswidrig ein (WD 10-3000-037/17).
Auch der Hamburger Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur und der Dortmunder Medienrechtler Tobias Gostomzyk zerpflückten die eilig zusammengeschriebenen Maas-Paragraphen in einem Gutachten.
Zur Erinnerung: Das Netzdurchsetzungsgesetz zwingt Netzwerkbetreiber wie Facebook, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ zu löschen. Bei einer unzureichenden Löschpraxis – wobei das Gesetz die Kriterien nicht definiert – drohen Unternehmen bis zu 50 Millionen Euro Buße.  Seit dem gilt bei Facebook: im Zweifel wird gelöscht.
Der Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel setzte jetzt einen Gerichtsbeschluss durch, der das Milliardenunternehmen zum ersten Mal zwingt, den gelöschten Post eines Mandanten wiederherzustellen. Die Richter des Landgerichts Berlin befanden in einer Einstweiligen Verfügung (Beschluss vom 23.03.2018, 31 O 21/18), dessen Äußerung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Beschluss wurde am 23.3.2018 vom Landgericht Berlin erlassen und den Rechtsanwälten am 6.4.2018 zugestellt.

Der Fall: Die „Basler Zeitung“ verlinkte am 08. Januar 2018 den Artikel „Viktor Orban spricht von muslimischer ‚Invasion’‘“ auf ihrer Facebook-Seite. Angekündigt mit einem Zitat des ungarischen Regierungschefs: „Viktor Orban wundert sich, wie in einem Land wie Deutschland […] das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte’“. Der Nutzer Gabor B. kommentierte: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter’, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt“.
Facebook löschte den Kommentar von Gabor B. wegen eines angeblichen und nicht näher begründeten Verstoßes gegen deren Gemeinschaftsstandards, und sperrte B. für 30 Tage.
„Man mag die Einschätzung des Kommentators teilen oder die Äußerung als polemisch und unsachlich erachten“, kommentiert Steinhöfel. „Wichtig ist nur: Der Kommentar ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“
Der prominente Anwalt betont, dies sei ein „richtungsweisender Beschluss“ und die erste derartige Gerichtsentscheidung in Deutschland: „Endlich haben Nutzer eine Handhabe gegen die intransparenten Machenschaften eines Konzerns, der mit seiner Verantwortung umgeht, als handele er mit gebrauchten Fahrrädern. Der Beschluss ist ein wichtiger Etappensieg für die Meinungsfreiheit.“
Steinhöfel sieht sich in seiner und der Kritik vieler anderer Experten am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bestätigt. „Es ist nicht nur verfassungswidrig, es funktioniert auch nicht, sondern dient noch als Brandbeschleuniger der aktuellen willkürlichen Lösch- und Sperrpraxis.“
Facebook kann gegen die Einstweilige Verfügung Widerspruch einlegen. Die Krux für das Unternehmen: es müsste dann zum ersten Mal in der Sache argumentieren und seine Löschpraxis offenlegen. Das hatte der Zuckerberg-Konzern bisher immer vermieden.
Das dürfte sich jetzt nicht mehr vermeiden lassen, selbst, wenn Facebook den Berliner Beschluss widerspruchslos akzeptiert. Denn Steinhöfel betreibt weitere Verfahren gegen das Weltunternehmen. „In den nächsten Wochen werden mehrere Klagen gegen Facebook vor verschiedenen Landgerichten öffentlich verhandelt“, so Steinhöfel zu Publico.
Für die Berliner Koalition wäre es jetzt das Klügste, das NetzDG wieder einzustampfen. Falls nicht, dann könnte es Stück für Stück bis hin zum Bundesverfassungsgericht kaputtgeklagt werden.   Wendt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.