Die Osterpredigten von Reinhard Kardinal Marx
und Heinrich Bedford-Strohm gelten als wichtiges Medienereignis, meist
enthalten sie eine sog. Kernbotschaft, die es in die Überschriften von
fast allen Qualitätszeitungen schafft. Bei beiden Hirten, dem
katholischen und dem evangelischen, handelt es sich um relative Personen
der Zeitgeschichte, spätestens, nachdem sie im Oktober 2016 bei ihrem
Besuch in der al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg ihr Pektoralkreuz
abgenommen hatten.Das geschah seinerzeit
auf Bitte von Scheich Omar Adwadallah Kiswani von der islamischen
Stiftung Wakf, der die christlichen Symbole dort nicht dulden wollte.
Zurück
in Deutschland, merkte das geistliche Duo, dass die Kreuzabnahme auf
dem Tempelberg bei vielen ihrer Gläubigen daheim nicht besonders gut
angekommen war. Bischof Bedford-Strohm entschied sich deshalb erstens
dafür, Kritiker aus den eigenen Reihen zu schelten, in denen er
„rechtsgerichtete Kreise“ ausmachte. Zweitens attackierte er die wenigen
Medien, die über den Fall berichtet hatten. Die Juden, so der
EKD-Vorsitzende, hätten schließlich das gleiche von ihm und Marx vor dem
Besuch der Western Wall, also der Klagemauer verlangt:
„Man
inszeniert einen Kulturkampf mit der Sache, um zu zeigen, der Islam sei
intolerant. Warum wird nicht gleichzeitig darauf hingewiesen, dass wir
bei beiden Religionen, die wir besucht haben, von den Betreuenden
gebeten wurden, das Kreuz nicht zu tragen, um nicht zu provozieren?“ Hier.
Allerdings
fand sich in ganz Israel niemand, der die Geschichte von den ebenfalls
unter einer Kreuzallergie leidenden Juden bestätigen wollte, keine
Polizei-, Regierungs- oder sonst eine Stelle. Der Autor dieser Zeilen fragte deshalb bei Bedford-Strohm und Marx nach,
wer sie denn nun genau zum Kreuzablegen an der Western Wall
aufgefordert hätte. Beide ließen damals ihre Sprecher murmeln, sie
wollten die Sache nicht vertiefen und sich, ähem, nicht weiter
einlassen, mit anderen Worten, sie räumten ein, dass sie ihr
Kreuzverstecken auch noch harmonisch mit einer Lügengeschichte verbunden
hatten, die wiederum auf einer Verleumdung Israels fußte. Selbstredend
blieben beide trotzdem im Amt, wenn auch endgültig ohne Würden.
Zu
jedem Osterfest treten sie, wie gesagt, als Synchronredner an,
äußerlich Stan Laurel und Oliver Hardy nicht unähnlich, nur nicht so
unterhaltsam. Die Zeitungen nehmen jedes Mal sehr umfangreich Notiz.
Kardinal
Marx forderte 2018 die Christen auf, öfter Muslime zu sich nach Hause
einzuladen. Das würde viele Spannungen lösen. Damit traf er nicht ganz
das Konzept der weltweit geltenden Gastfreundschaft, denn niemand lädt
einen anderen in sein Haus, weil der andere Muslim, Christ, Jude oder
Agnostiker ist, und möchte mit ihm gesellschaftliche Spannungen abbauen.
Sondern jemand ist mit einem anderen gut bekannt – die Einladung ins
Haus kommt in aller Regel nicht als erster Schritt – und er
komplimentiert ihn zu sich, weil es sich um eine interessante Person
handelt, die erst in zweiter Linie einer oder keiner Religion angehört.
Als
Zwischenstufe empfiehlt sich ein Treffen auf neutralem Boden. Vor
einiger Zeit hatten sich Michael Klonovsky und der Autor mit dem
Publizisten Eren Güvercin, dem Chefredakteur der Islamischen Zeitung
Sulaiman Wilms und dem CDU-Politiker Mehmet Celebi zusammengefunden.
Unser westöstlicher Diwan stand in Dresden, der Hauptstadt der
Begegnung. Wir verbrachten bei Wein (wir) und Wasser (die drei anderen)
einen sehr unterhaltsamen Abend. Sulaiman Wilms besitzt übrigens Witz
(„Wie lange dauert Ramadan? – Fast’n Monat“), aber das gilt nur halb als
Beweis eines spezifisch muslimischen Humors, weil er Konvertit ist. In
unserer Runde ging es zu wie in einer Talkshow ohne Maybrit Illner und
lästige Gäste. Wir meinten nicht jeden Meinungsunterschied überbrücken
zu müssen, waren aber aneinander interessiert und sehr bereit zum
zivilen Umgang. Allemal redeten die anderen drei interessanter und
geistvoller als der Kardinalfehler aus dem Münchner Palais Holnstein und der Schmunzelhase der EKD.
Möglicherweise
ist es schon zu Marx gedrungen, dass diese beiden Voraussetzungen –
Interesse und ziviler Umgang – nicht von allen muslimischen jungen
Männern gleichermaßen erfüllt werden, insbesondere dann, wenn sie noch
nicht so lange hier leben. In vielen Fällen, wie man an Messer- und
Eisenstangendisputen zwischen Afghanen und Syrern respektive Sunniten
und Schiiten auf dem Alexanderplatz und anderswo sieht, geht es noch
nicht einmal untereinander gesittet zu. Noch hat kein Politiker und/oder
Publizist festgestellt: „Kein Messer ist illegal“, das steht vermutlich
noch bevor. Bis dahin empfiehlt der nordrhein-westfälische
Innenminister Herbert Reul angesichts der um mehrere hundert Prozent
gestiegenen so genannten Schneidwerkvorfälle: „Man muss nicht jeden unbedingt an sich heranlassen.“
Das macht die Osterbotschaft von Marx/Reul so besonders, weil sie auf
den Punkt bringt, was Psychologen Double Bind nennen: Lade den Muslim in
seiner Eigenschaft als Muslimprototyp zu dir ein, aber pass bloß auf,
wen du an dich ranlässt. Feiere ausgelassen Karneval, aber mit einer
Armlänge Abstand. Die Polizei kann nur sporadisch helfen, außerdem hat
sie anderes zu tun.
Durch
den Double Bind wird auch die Schuldfrage geklärt. Steigen die
Spannungen in der Gesellschaft, zum Beispiel an Großstadtschulen, wo
jüdische und christliche Schüler etwas unter Druck und in die Bredouille
geraten? Dann seid ihr schuld, die ihr schon länger hier lebt. Warum
habt ihr die Eltern der muslimischen Mehrheitskinder nicht eingeladen,
zumal diese Eltern ja nur auf ein Briefchen mit Datum und rsvp warten?
Andererseits, gab es auf der Straße abends unschöne Erlebnisse? Ja,
warum passt ihr nicht ein bisschen besser auf? Auf Sat1 gab es
schließlich schon Filme mit sachdienlichen Hinweisen speziell für Frauen:
„Den Schlüssel in der Hand tragen, um den Schlag zu verstärken.
Handtasche oder Regenschirm: Schlagen Sie mit allem zu, was greifbar ist.
Treten und kratzen Sie, zielen Sie dabei auf das Gesicht und die Augen.
Schreien Sie laut bei Ihrer Selbstverteidigung, rufen Sie nach der Polizei.
Auch mit dem Kopf können Sie zuschlagen – hält man Sie fest, ist Kopfarbeit gefragt.“
Wessen Schädel dann eher bricht – das gehört zu den Dingen, die täglich neu ausprobiert werden müssen.
Aber
jetzt zu etwas ganz anderem. Wenn Begegnung und Befriedung doch
zusammenhängen sollten: wäre es da nicht ein guter Anfang, Marx,
Bedford, Heribert Prantl, Herbert Reul, Katrin Göring-Eckardt und andere
würden einen Unterzeichner der „Erklärung 2018“
zu sich nach Hause laden? Die Wahrscheinlichkeit, dass sich einer davon
in der Nachbarschaft der Wohlmeinenden befindet, wächst jedenfalls
stündlich. Zurzeit verdoppelt sich die Zahl der Unterschriften fast von
Tag zu Tag.
Als Lockerungsübung könnte die Kirche schon einmal
vorangehen und die Annahme von Spenden für die Diakonie – also
eigentlich für die Bedürftigen – nicht vom Parteibuch des Spenders abhängig machen.
Das alles würde der Befriedung wahrscheinlich mehr dienen als
Kreuzverstecken und die Aufforderung an Normalbürger, im privaten
interreligiösen Dialog gesellschaftliche Verwerfungen wieder gerade zu
biegen, die Funktionselitenangehörige trotz ihrer Ausstattung mit Geld,
Macht und journalistischen Leibwächtern seit Jahren nicht nur nicht
mildern, sondern ständig verschärfen.
Über die Traditionshasenfrage reden wir ein andermal. Wendt
Mit keinem Wort erwähnten diese beiden Kirchenvertreter die Christenunterdrückung in islamischen Ländern, die z.B. Mosebach gerade thematisiert hat.
Eine Reihe unzähliger Fehlentwicklungen muss sich ungehindert ereignet und in ihrer Wirkung summiert haben, um zu ermöglichen, dass zwei Halunken wie Marx und Bedford-Strohm Karriere machen konnten. Und die sind ja nur die Spitze des Eisbergs! Die ganze Generation dieser beiden Schufte hat in die Führungspositionen lauter zwielichte Gestalten gehoben, deren gemeinsames Merkmal moralische Eitelkeit und Verantwortungslosigkeit ist.
Ich habe zeitbedingte Faktoren immer im Auge behalten. Aber dass ihre Wirkung im Vergleich zu zeitlosen Faktoren so stark werden könnte, hätte ich nicht gedacht.
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