Stationen

Freitag, 1. Oktober 2021

Dass es in Deutschland immer so lange dauert, bis darauf gedrungen wird, wieder zur Vernunft zu kommen

Alles auf den Tisch 

Auch der Seelenhaushalt des Olaf! - Ein Detail in Fleischhauers Darstellung stimmt nicht: Heinrich Böll bekam den Literaturnobelpreis nicht, nachdem er als Sympathisant der RAF verleumdet worden war, sondern davor! Fleischhauer war damals noch zu jung, um die richtige Reihenfolge mitzukriegen. Ich dagegen las in meiner Jugend tapfer "Gruppenbild mit Dame" von hinten bis vorne durch und suchte verzweifelt nach dem Grund, weshalb man jemandem für dieses langweilige Buch den Nobelpreis verleihen könnte und sollte. Ich verstand es nicht, ich war wirklich verzweifelt. Ich dachte lange Jahre, ich sei zu blöd, um den Grund zu verstehen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich recht hatte mit meiner Ansicht, Grass sei ein enormes schriftstellerisches Talent, während Böll mir mittelmäßig vorkam. Aber ich hatte recht. Grass war wirklich einer der schreiben konnte. Besser auch als Siegfried Lenz, der mein eigentlicher Lieblingsschriftsteller war.

Heinrich Böll bekam den Preis offenbar, weil Reich-Ranicki ihn dafür empfohlen hatte. Nicht auf Grund literarischer Qualität, sondern weil Reich-Ranicki Bölls Gesinnung gefiel: so schön antifaschistisch (um nicht zu sagen antideutsch). Reich-Ranicki hätte nie einen Nazi (und wenn er noch so gut geschrieben hätte) oder auch nur einen rechtskonservativen wie Ernst Jünger, Jochen Klepper oder Hans Bergel für den Nobelpreis vorgeschlagen. Aber bei der Empfehlung für den Literaturnobelpreis sollten nur literarische Kriterien eine Rolle spielen.

Bölls wahres Verdienst ist aber tatsächlich politischer Natur. Denn zu recht empfahl Böll Bommi Baumanns Buch "Wie alles anfing" im Schulunterricht zu lesen, statt die RAF auf dieselbe Weise zu dämonisieren wie vor 10 Jahren die NSU (und womöglich sogar zu instrumentalisieren: Michael Buback). Die beste Bekämpfung der Terrorbandenbildung und die beste Vorbeugung ist ehrliche Information über die Beweggründe. Aus genau demselben Grund bekämpft man auch die NPD am besten, indem man ihre Parlamentarier in die Talkshows einlädt, statt angestrengt nach einem Weg zu suchen, eine gewählte Partei zu verbieten. Demokratie lebt von Auseinandersetzung, vom Schutz der Minderheitsmeinungen und vor allem von der Institutionalisierung der Opposition. Die Opposition ist die eigentlich tragende Säule jeder Demokratie. Ich habe nie große Sympathie für Klaus Wagenbach gehegt, aber ich habe großen Respekt vor ihm. Denn er hat begriffen, wie wichtig Opposition ist und hat hartnäckig und mutig im Alleingang (wie heute Götz Kubitschek unter sehr viel schwierigeren Umständen!) dafür gesorgt, dass Menschen eine Stimme bekamen, die sonst ungehört geblieben wären. Und er nahm dabei auch Strafprozesse in Kauf, indem er zum Beispiel wagte, der bundesdeutschen Polizei vorzuwerfen, Benno Ohnesorg und Georg von Rauch ermordet zu haben.

Und jetzt ist Deutschland wieder aus dem Lot. Von einem Extrem ins andere.

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