Der Spitzenkandidat der Freien Wähler für das Berliner Abgeordnetenhaus Marcel Luthe will nun die Wahl als Ganzes offiziell überprüfen lassen. Im Gespräch mit TE sagte er: „Eine Wahlwiederholung erscheint mir unumgänglich.“ Luthe hatte als Kandidat für die FDP 2016 in seinem Wahlkreis ein Erststimmenergebnis von 14,3 Prozent geholt. Bei der Abgeordnetenhauswahl soll er nach dem vorläufigen Ergebnis nur 0,8 Prozent erhalten haben. „Das“, so Luthe, „ist zumindest sehr überraschend.“ Ihm hätten mittlerweile eine größere Zahl von Bürgern aus einem Wahlsprengel versichert, ihn gewählt zu haben, als es seinem Stimmergebnis entspricht. „Ich kenne dort inzwischen mehr Leute, die sagen: ‚ich habe sie gewählt‘, als Stimmen für die Partei beziehungsweise mich dort gezählt wurden“, so der Politiker zu TE. Der Politiker sagte, er arbeite gerade daran, von diesen Bürgern so weit als möglich Eidesstattliche Versicherungen einzusammeln, um sie dann mit den offiziellen Zahlen zu vergleichen. „Ungeachtet meines persönlichen Ergebnisses ist dieses Wahlchaos einer Demokratie schlicht unwürdig“, so Luthe.
„Ich werde eine fristgerechte Wahlüberprüfung beantragen“, so Luthe zu TE.
Das Meinungsforschungsinstitut Insa hatte den Freien Wählern noch am 24. September in einer Wahlumfrage ein Ergebnis von drei Prozent für die Abgeordnetenhauswahl vorhergesagt. Nach mehreren Umfragen zählt Luthe außerdem zu den bekanntesten Politikern der Stadt.
Bis jetzt stehen außerdem die exakten Wahlergebnisse für einige Wahlkreise immer noch nicht fest. Die Resultate, räumte ein Verantwortlicher ein, seien bisher nur geschätzt worden. Auch mit der exakten Dokumentation des Wahlvorgangs gebe es für einige Abstimmungslokale Probleme.
Luthe, der noch Abgeordneter ist, schilderte gegenüber TE, er selbst habe am Rüdesheimer Platz gesehen, wie um 18 Uhr noch etwa 250 bis 300 Menschen an mehreren Wahllokalen an der dortigen Grundschule angestanden hätten. „Um diese Zeit sagte ein Security-Mitarbeiter, es dürfte sich jetzt niemand mehr anstellen.“ Kurz darauf habe er erlebt, wie sich doch noch jemand angestellt habe – was nicht beanstandet worden sei. Eine Bürgerin habe ihm dagegen geschildert, sie habe vorgehabt, ihn zu wählen, in der Schlange vor ihrem Wahllokal gewartet – und sei um 19.45 Uhr wieder weggeschickt worden mit der Begründung, es gäbe keine Wahlzettel, und es kämen auch keine mehr.
Dazu kommt ein spezifisches Berliner Problem: Zur Wahl der Bezirksverordnetenversammlung waren schon Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. Für das Abgeordnetenhaus und den Bundestag durften dagegen nur Wähler ab 18 ihre Stimme abgeben. In etlichen Wahllokalen verzichteten Wahlhelfer aber offenbar darauf, die Ausweise zu kontrollieren, so dass auch Minderjährige alle Unterlagen bekamen, und wahrscheinlich für zwei Parlamente unberechtigt abstimmten. „Ich persönlich kenne allein zwei solche Fälle“, so Luthe zu TE.
Der Politiker der Freien Wähler will auch prüfen lassen, ob die hohe Zahl der Briefwahlstimmen tatsächlich korrekt ausgezählt wurde.
Seine konkreten Schilderungen decken sich mit vielen anderen Berichten über schwerwiegende Behinderungen und Gesetzesverstöße bei der Wahl. Offenbar waren tausende Wähler in ganz Berlin unverrichteter Dinge wieder fortgeschickt worden, weil Wahlunterlagen fehlten. Viele Stimmzettel wurden mit Unterlagen eines anderen Wahlkreises vertauscht. Die Stimmen derjenigen, die diese falschen Unterlagen benutzten, wurden als ungültig gewertet. Andere Bürger beklagten sich, sie seien wegen der umfangreichen Straßensperrungen aufgrund des gleichzeitig stattfindenden Marathons nicht rechtzeitig zum Wahllokal gelangt.
„Freiheit und Gleichheit der Wahl“, so Luthe, „waren für Tausende in Berlin durch massives Organisationsverschulden nicht garantiert. Ich wüsste nicht, dass es solche massiven Wahlbeeinträchtigungen in der Geschichte der Bundesrepublik je gegeben hätte.“ Bisher musste in Deutschland nur eine Landtagswahl wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden: die von Hamburg 1991.
Sollte die Wahl für Berlin wiederholt werden müssen, dann nicht nur für das Abgeordnetenhaus, sondern auch für den Bundestag. Da beides gleichzeitig stattfand, ließen sich die Entscheidungen kaum trennen. Eine neue Abstimmung in Berlin könnte allerdings auch gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestages haben. Denn zwei der drei Direktmandate, die der Linkspartei den Wiedereinzug über die Grundmandatsklausel ermöglichten, holte sie in Berlin. Würde sie ein Direktmandat bei einem neuen Durchgang für die Hauptstadt verlieren, könnten auch die 39 Linkspartei-Abgeordneten nicht ins Parlament einziehen, die es durch die Grundmandatsregelung schafften, obwohl die Linke die Fünfprozenthürde verfehlte. Auch die anderen Entscheidungen waren jeweils knapp ausgegangen: Bei der Berliner Landtagswahl lag die SPD nur sehr dicht vor den Grünen. Für die Enteignung der „Deutschen Wohnen“ stimmten nach dem vorläufigen Ergebnis 56 Prozent. Tichys Einblick
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