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Dienstag, 23. November 2021

Das Größte am Menschen ist die menschliche Unzulänglichkeit

Juden und Deutsche sind geistig siamesische Zwillinge, weil der Dr. Mengele sie zusammengenäht hat. Die Menschheit ist nicht überfordert von der Shoah, weil ihr Auschwitz am Arsch vorbeigeht bzw. jedem Tyrannen das Gefühl gibt, besser als diese monströsen Nazis zu sein: Das ist das eigentliche Ergebnis der "Erinnerungskultur". Aber die Menschen sind überfordert von der Shoah. Die Vergangenheitsbewältigung überfordert jeden Menschen. Man kann Auschwitz nicht bewältigen. Wenn man es versucht, wird Auschwitz zu einer schwarzen Götze, zu einer Sekte, zu einem schwarzen Loch, das jeden geistigen Lichtstrahl aufsaugt. Im Bereich des Menschenmöglichen könnte Auschwitz allenfalls und allerhöchstens verwunden werden. Aber dazu wären mindestens 7 Generationen Deutsche nötig, und dem hat die Antibabypille einen Riegel vorgeschoben. Im Bereich des Menschenmöglichen führt die Tatsache, dass angesichts der Enormität der Shoah nie genug getan werden kann, um Buße und Läuterung Genüge zu tun, dazu, dass immer zu viel getan werden wird. Dieses diabolische Oxymoron bringt eine neurotische Befindlichkeit hervor: immer zu wenig und immer zuviel - Überforderung als Grundbedingung. Und so haben wir nun den Salat. Einen unrechten Kopfsalat haben wir da. Ganz Europa ist übergeschnappt wegen der Shoah. Am meisten sind Deutsche und Juden übergeschnappt durch die Shoah. Beide haben einen außerordentlichen Dachschaden davongetragen. Die Deutschen werden sich ganz gewiss nicht mehr von der Shoah erholen, Deutschland wird zugrunde gehen, weil "die Deutschen den Juden die Shoah nicht verzeihen können", um es sarkastisch oder gehässig auszudrücken. Die Wiedergutwerdungssehnsüchte haben jedenfalls Überhand genommen und die Deutschen in einen Trancezustand versetzt, der zu einer pseudomoralischen, infantil-größenwahnsinnigen geistigen Umnachtung geführt hat, von der sie sich nicht mehr werden erholen können. Die Juden werden sich wahrscheinlich auch nicht von der Shoah erholen, denn sie haben die Fähigkeit zur Selbstkritik verloren und die Fähigkeit, berechtigte Kritik an der jüdischen Kultur auszuhalten erst recht. Genesen soll die Welt jetzt am jüdischen  Wesen. Das Gefühl, in moralischer Hinsicht etwas gut zu haben, Vorschusslorbeeren beanspruchen zu können, zu einem Opferbonus berechtigt zu sein, ja einer Art Opferaristokratie anzugehören, ist eine ständige, süße, gar geheimnisvolle Versuchung, zu deren drosselnden Bremsen der Überdruss nicht gehört. So auserwählt fühlte man sich womöglich noch nie. Diese Entkoppelung vom - allem Leben zugrunde liegenden - negativem Feedback kann auf die Dauer nicht gut gehen. Das Gefühl, in jedem Fall in moralischer Hinsicht etwas gut zu haben, kann bei menschlichen Wesen nur in blinden Größenwahn münden: man möchte zwar nicht bei jeder Hochzeit die Braut sein, aber wenigstens bei jedem Begräbnis die Leiche. Und wenn das nicht geht, erinnert man - noch während andere gerade ins Massengrab geworfen werden - daran, dass man die wichtigere, die ruchloser umgekommene Leiche ist. Bisher deutet fast nichts darauf hin, dass die verlorenen Fähigkeiten wiedererlangt werden könnten. Seid (humorvoll, aber) nicht zynisch, wenn Ihr über Dinge sprecht, die auf die Shoah zurückzuführen sind! Seid nie unbarmherzig, wenn Ihr über Dinge sprecht, die auf die Shoah zurückzuführen sind! Nur der liebe Gott ist nicht geistig behindert. Um den eigenen Sinn für Verhältnismäßigkeit und das rechte Maß zu trainieren und ihm zu genügen, sollte man sich immer an diesen einfachen Satz erinnern: Nur der liebe Gott ist nicht geistig behindert. Der Mensch ist vor allem eines: unzulänglich.

"Ein Narr selbst nichts zu sagen wagt, nur weil's ein Nazi schon gesagt." Eugen Roth

Dantes "Göttliche Komödie" ist immer noch hilfreich. Allerdings nur, wenn man sie in Verbindung mit anderen Büchern liest. Ernst Jünger schrieb einmal (ich glaube, es war im Vorwort zu "Strahlungen"), wo Vorbilder fehlten, weil man sich Vorgängen ausgesetzt sehe, die in Dimension und Dynamik ohne geschichtliche Präzedenzfälle sind, die also Kohelet zum Trotze tatsächlich etwas Neues unter der Sonne darstellen, sei man auf eine Autodidaktik der Ethik angewiesen. Der zweite Teil von Dantes Meisterwerk, der Läuterungsberg, ist keine Strafkolonie oder Erziehungsanstalt, sondern ein Ort der unterstützten Selbstvervollkommnung. Mit Jüngers Feststellung knüpft man also am besten bei diesem zweiten Teil an (nebenher sollte man Jaspers "Die Schuldfrage" lesen und Fred Uhlmanns "Der wiedergefundene Freund", und auch seine Autobiographie). Nicht ohne zuvor den ersten Teil, der die Hölle beschreibt, gelesen zu haben (und dazu Ruth Klügers "Weiter leben", Jochen Kleppers Tagebuchaufzeichnungen, Primo Levis "Se questo è un uomo", Marga Mincos "Bitteres Kraut", Eraldo Affinatis "Campo del sangue", Raul Hilbergs "Die Quellen des Holocaust" - und auch Claude Lanzmanns überragende Dokumentation Shoah angesehen zu haben). Bevor man dann "Il paradiso" ließt, empfehle ich, Jüngers "An der Zeitmauer" zu lesen.

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