Es hat sich eingebürgert, den Schriftsteller und Katholiken Martin Mosebach,
der am 31. Juli seinen 70. Geburtstag feiert, als den letzten großen
Stilisten unserer Zeit zu rühmen. Natürlich könnte ich mich diesem
Urteil umstandslos anschließen, würde mir dabei aber, falls es nur
dabei-
bliebe, vorkommen wie einer, der eine ausgeleierte tibetanische Gebetsmühle rührt. Martin Mosebach ist unbenommen ein großer Sprachkünstler,
doch ist er noch viel mehr. Er selbst würde sich wahrscheinlich viel
eher damit anfreunden können, wenn man ihn als einen Herbstzeitlosen
beschrieb.
„Mosebach betrachtet die Ruinen bürgerlichen Lebens
wie ein romantischer Maler die Ruinen
einer von Efeu überwucherten Burg“
Er blüht, wenn alles um ihn herum schon welk und fahl geworden ist. Damit ist nicht nur gemeint, dass er an einem Bemühen nach literarischer Aufrichtigkeit festhält, das sich in der Beliebigkeit und zunehmenden handwerklichen Schludrigkeit zeitgenössischen Schreibens aufgelöst hat. Bei ihm ist die Gattung des betrachtenden Essays ebenso gut aufgehoben wie die Form des Reiseberichts und der kritischen Kunstreflexion, die sich in ihren eindringlichsten Momenten dem Maler Peter Schermuly gewidmet hat, der die malerische Form vor der endgültigen Zersetzung bewahrte. Überhaupt: Form, diese von jeder Moderne in Frage gestellte, problematisierte und als bürgerlich, ja kitschanfällig verpönte Kategorie sie wird von Mosebach über alle Gestalten seines Schreibens hinweg gepflegt als eine unbestreitbare Voraussetzung für literarische Produktion und durch Sprache in Gang gesetzte Erkenntnis. Die stilistische Vollendung seiner Texte ist dabei der Schärfe des Beobachtens nachgeordnet, deren luzider Strahl die Oberfläche der Erscheinungen ebenso präzise erfasst wie die Kräfte und Energien, die hinter dieser sichtbaren Hülle der Existenz wirken. Und dieser – man möchte fast sagen: malerische – Blick ist immer derselbe, er ist der Blick eines Autors, der sich beharrlich treu bleibt und dem die Welt ebenso wichtig ist wie das, worin und worauf sie gründet. Damit unterscheidet er sich fundamental von den vielen literarischen Hervorbringungen der Gegenwart, deren Modus das endlose Spiel zu sein scheint, das zu nichts verpflichtet und das entsprechend wenig zu sagen hat.
Diese aus der Zeit gefallene Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit im sprachlichen Unternehmen führt dazu, dass Martin Mosebach Dinge und Seins-Zustände sieht, die anderen, die auf der Oberfläche des Seins tänzeln, verschlossen sind. Er ist ein Autor, der seine eigene Gegenwart gleichsam überlebt hat und dessen Zugriff gerade deshalb einen so durchdringenden, unbestechlichen Blick auf das werfen kann, was ihn umgibt. Zugleich ist er einer jener Schriftsteller, die, als Vertreter einer vergehenden Epoche, in eine zivilisatorische Spätzeit hineingeboren wurden, deren Umrisse und Eigenschaften sie seismographisch aufzeichnen, weil sie die notwendige Distanz zur Wirklichkeit haben. Wie ein Robert Musil oder besser: ein Heimito von Doderer - die ausgehende KuK-Monarchie, wie Marcel Proust die Belle poque, wie Michael Powell die aristokratische Gesellschaft Großbritanniens, so um- und beschreibt Martin Mosebach in seinen mittlerweile mehr als zehn Romanen und zahlreichen Erzählbänden die conditio humana der Bundesrepublik, ihre Mythenlosigkeit, ihre Banalität, ihre transzendentale Obdachlosigkeit.
Mosebach hütet sich angesichts der Perspektivlosigkeit und Banalität unserer irdischen Existenz dabei schlau davor, der Gattung des Entwicklungsromans allzu große Chancen in seinem Schreiben einzuräumen. Vielmehr sind es Seinsskizzen, mit denen der Autor den Leser in seinen Romanen konfrontiert. Der traurige Grundton vieler seiner Bücher entsteht durch diese Absenz von Teleologie im Aufbau der literarischen Personae. Mosebach betrachtet die Ruinen bürgerlichen Lebens wie ein romantischer Maler die Ruinen einer von Efeu überwucherten Burg. Gerade die überraschenden malerischen Passagen sind es, die den Beschreibungen Mosebachs jenen schwingenden, schwebenden Tonfall verleihen, der den Leser taumeln lässt – beispielsweise dann, wenn er das Stadtprofil von Frankfurt – einer Stadt, der er wie vielen anderen Orten seines Lebens die Treu hält – im Stil einer träumerischen Vedute von Canaletto zum Leben erweckt. Das sind dann herbstzeitlose Blicke, die die Hässlichkeit und Endlichkeit der Gegenwart ebenso vergessen lassen wie den Winter, der für uns alle vor der Tür steht. Mosebach ist kein "katholischer Erzähler", obwohl man ihm dieses Epitheton gerne beiordnet. In seinen Essays zur Literatur hat er geschrieben, warum es "katholische Literatur" streng genommen gar nicht geben kann – weil die einfache Wahrheit, die dem Glauben innewohnt, mit der Ambiguität und Widersprüchlichkeit, die gute Literatur auszeichnet, nicht vereinbar ist. Mosebach ist ein Erzähler, und er ist katholisch – aber er ist eben kein "katholischer Erzähler". Seine epischen Texte eignen sich ganz und gar nicht zum Katechismusunterricht oder zur persönlichen Erbauung, ja man findet in ihnen kaum traditionell religiöse Motive, wie sie bei Barbey d Aurevilly, Mauriac, Bernanos oder Huysmans vorkommen und dort auch nur dann als gelungene Verarbeitungen der Offenbarung gelten können, wenn sie innerhalb des Textes eine Ebene des philosophisch-theologischen Diskurses etablieren, die Mosebachs Augenliteratur fremd ist.
Seine katholischen Überzeugungen hat Mosebach bekannterweise an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck gebracht (Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind), und man kann sagen, dass sein mittlerweile durchaus als Kampf zu titulierendes Eintreten nicht nur für die sogenannte "alte" Messe (das wäre eine sinnentstellende Verkürzung), sondern für das katholische Glaubensleben vor dem Zweiten Vatikanum der Lebensmittelpunkt Mosebachs ist: Mosebach ist hauptberuflich kein Schriftsteller, sondern Katholik. Ungezählt sind seine Beiträge und Einlassungen zu Themen der Liturgie und zum Katholischsein. Wer sich einmal mit Mosebach über Vergangenheit und Zukunft der römischen Kirche unterhalten hat, der wird nach wenigen Minuten gemerkt haben, aus welchem profunden Wissen, aus welcher inneren Einheit mit der Lehre der Väter und der Tradition Mosebach schöpfen kann. Allerdings sind diese Gespräche wie auch die Romane Mosebachs alles andere als aufbauend. Sie durchzieht ein gelassener Pessimismus, mit dem vielleicht nicht jeder umgehen kann, der aber, wie gerade die letzten Tage gezeigt haben, durchaus seine Berechtigung hat. Jene Desinvolture den letzten Dingen gegenüber – eine Ungezwungenheit, die freilich keine Respektlosigkeit, sondern die Frucht eines tiefen Glaubenslebens ist – war es wahrscheinlich, die ein weiteres Mosebachsches Beiwort auf den Weg brachte: das des Dandys, das die meisten Zeitgenossen durch textile Merkmale wie Tweet-Jackett, Einstecktuch und Cordhose bestätigt sahen und damit dem Hang der Gegenwart zur Festschreibung von reinen Äußerlichkeiten zum Opfer fielen. Zum Verständnis des Geburtstagskindes hilft es freilich wenig.
Als "Traditiones Custodes" erschien,
musste ich an Martin Mosebach denken. Zunächst meinte ich, es könne
kein ungeeigneteres Geschenk für diesen großen Menschen und Autor geben.
Dann besann ich mich aber und kam zu der Einsicht: Es kann kein
geeigneteres Geburtstagsgeschenk geben als jenes Motu proprio – und zwar
deshalb, weil es in seinem Titel ungewollt genau das beschreibt, was
Martin Mosebach für mich und für viele andere darstellt und hoffentlich
noch viele Jahre bleiben wird. Tagespost
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