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Dienstag, 30. November 2021

Extraktiv versus inklusiv


 
 
Der Mann in dem blauen Burnus sitzt auf einem wackeligen Plastikstuhl und hält ein Sturmgewehr zwischen den Knien. Vor ihm steht eine Kiste mit leeren Bierflaschen. Er liest ein Buch mit dem Titel „Why Nations Fail“. Nichts illustriert Daron Acemoglus und James A. Robinsons Bestseller besser als dieses Foto, das im Südsudan aufgenommen wurde.
In „Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut“ (Fischer, 2014) unterscheiden die beiden Ökonomen zwischen „inklusiven“ und „extraktiven“ Institutionen. Gesellschaften mit „inklusiven“ Institutionen respektieren Privateigentum und erlauben es den Menschen, durch eigene Arbeit voranzukommen. „Extraktive“ Institutionen begünstigen Eliten, die sich die Produkte der Arbeit anderer aneignen. Die Anteile „inklusiver“ und „extraktiver“ Institutionen entscheiden über Wohlstand und Armut einer Nation.
Diese Kriterien sind ökonomisch aussagekräftiger als links, rechts, faschistisch, kommunistisch. Es ist zwar keine völlig neue Erkenntnis, dass Reichtum und Armut vom Ausmaß der Staatseingriffe in Privateigentum abhängen, daber Robinson und Acemoglu belegen sie mit zahlreichen historischen und aktuellen Beispielen.
 
In weiten Teilen Afrikas dominiert die „Extraktivität“. Mit einem jährlichen BIP pro Kopf von 295, 66 Dollar rangierte der Südsudan 2020 knapp vor Burundi an vorletzter Stelle. Donald Trump hat solche Länder einmal politisch absolut unkorrekt, aber empirisch gesättigt, als „shithole countries“ bezeichnet.
Revolutionen und Bürgerkriege sind der sicherste Weg in die Verelendung.Venezuela war ein reiches Land, bevor es Chavez und Maduro mit ihren Experimenten ruinierten. Die Revolution in Nicaragua war einmal unglaublich populär gewesen, weil sie nicht von Kommunisten, sondern von einer linken Sammelpartei unter Einschluss von Stalinisten und befreiungstheologischen Lichtgestalten vorangetrieben wurde, die einen „demokratischen Sozialismus“ propagierte. Doch die Sandinisten haben das mörderische Regime Somozas nur durch ein ebenso mörderisches ersetzt.
Ihre Revolution endete in der Familiendiktatur Daniel Ortegas, die der Nicolae Ceausescus ähnelt. Vizepräsidentin ist Rosario Murillo, die Frau des Präsidenten, deren im Exil lebende Tochter ihren Stiefvater Ortega des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Wie einst in Rumänien herrscht ein absolutes, ausnahmsloses und mit drakonischen Strafandrohung begleitetes Abtreibungsverbot. Man sollte meinen, Nicaragua wäre die Hölle für Jungsozialisten, Junggrüne und Radikalfemministen, aber die kümmern sich nicht um die Irrtümer ihrer Eltern, und sie wollen partout nicht hören, dass die Gleichung Sozialismus=Armut+Unterdrückung in der Praxis immer aufgegangen ist. 
 
Es gibt „extraktive Institutionen“ allerdings auch in Ländern, in denen sozialistische Experimente nicht angestellt wurden. Dazu gehören islamistische Regime, Militärdiktaturen sowie sämtliche Varianten des ökonomischen Nationalismus, der die wirtschaftliche Freiheit angeblich kollektiven Interessen unterordnet.
Honduras steht, gemessen an Tötungsdelikten pro Einwohner, im internationalen Vergleich an zweiter Stelle nach El Salvador. Zwei Drittel der Morde gehen auf das Konto des organisierten Verbrechens und der Jugendbanden. In diesem hochkorrupten, von Drogenkartellen kontrollierten Staat stimmte eine Mehrheit am Sonntag bei der Präsidentenwahl für Xiomara Castro, die auf einer „sozialistischen Plattform“ antrat. Schlägt das gemarterte Honduras den Weg ein, auf dem Venezuela zugrunde ging?
Gescheiterte Nationen exportieren ihr wichtigstes Gut, ihre Menschen. Manche meinen, man müsse nur mit viel Geld die Fluchtursachen beseitigen, dann werde der Migrationsstrom mit der Zeit versiegen. Ihnen sei das Buch von Daron Acemoglu und James A. Robinson ganz besonders empfohlen.   Karl-Peter Schwarz

Man wundert sich mittlerweile fast, dass so ein kluges Buch in Deutschland noch verlegt wird. Ansonsten wäre dem nur noch hinzuzufügen, dass Trumps Bezeichnung in vielerlei Hinsicht, vor allem in politischer Hinsicht, völlig korrekt war und dass der Glaube, am weiblichen Wesen werde einst noch die Welt genesen, ein Irrglaube ist, der der Welt noch viel Unheil bringen wird. Denn sie ist aus dem Lot. Die Atmosphäre der Mahlerschen Symphonien ist alltäglich geworden. Was zu Cecco Beppes Zeiten verloren ging, war nicht nur Ballast, sondern auch Essenz, und die Extraktion setzt sich fort. Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes ist hübsch als programmatische Präambel, hat aber in einem Gesetzestext eigentlich nichts zu suchen und wirkt wie ein Extraktionskatalysator.

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