Es
war viel besser als erwartet. Peinlich war der deutsche Analhumorismus mit den Klohbürsten,
aber die Atmosphäre von vor 10 Jahren war zeitweise wieder da.
Besonders schön war der Mülltrennhund und der goldige kleine Junge, der
durch die Straßenbahn turnte. Ich habe es dem sensiblen Thomas
Gottschalk sehr gegönnt. Es war damals schrecklich zu sehen, wie er nach
dem Unglück verfiel, hingerissen zwischen dem eigenen Mythos und dem Trauma, einer sensationellen Nummer wegen ein Risiko
eingegangen zu sein, das mitten in der Hochstimmung so eine fatale Folge
hatte.
Es sind Einschaltquoten, die heutzutage nicht einmal mehr bei Fußballländerspielen oder einem Einsatz des „Tatort“-Teams aus Münster erzielt werden: Die von Thomas Gottschalk moderierte Neuauflage des Samstagabend-Showklassikers „Wetten, dass…?“ wurde von knapp 14 Millionen Menschen angesehen – die höchste Quote der Show seit 2005 und ein Marktanteil von 45,7 Prozent.
Ebenso bemerkenswert und für viele Medienexperten überraschend: Auch beim jüngeren Publikum (sprich: der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen) konnte die Sondersendung punkten. Hier schalteten 4,34 Millionen Zuschauer ein – das macht einen unglaublichen Marktanteil von 50,2 Prozent für das oftmals als „Kukident-Sender“ verspottete ZDF aus. Wie gelang es dem Sender vom Mainzer Lerchenberg, trotz Streamingdienst-Konkurrenz und medialem Überangebot das berühmte „TV-Lagerfeuer“ wieder so erfolgreich entzünden so können?
Schon im Vorfeld hatte Thomas Gottschalk, der am Sendeabend mit Standing Ovations und „Oh, wie ist das schön!“-Rufen empfangen wurde, angekündigt: Das „Wetten, dass…?“-Special soll eine Sendung ganz wie in früheren Zeiten werden. Und er hielt Wort.
Die angebotenen Wetten
reichten wie schon in der Vergangenheit von interessant bis irre, Udo
Lindenberg schmetterte ein Lied – und auf der berühmten Wettcouch nahmen
weder Instagram-Influencer noch Fridays-For-Future-Aktivisten, sondern
unter anderem Helene Fischer, Benny Andersson und Björn Ulvaeus von
„Abba“ und die Pro-Sieben-Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas
Heufer-Umlauf Platz.
Und noch viel wichtiger: Nicht ein einziger erhobener moralischer Zeigefinger, keine einzige Warnung vor dem Klimawandel und nicht einmal der Versuch, sogenannte gendergerechte Sprache zu benutzen, verirrte sich am vergangenen Samstag in die von Gottschalk und seiner ebenfalls zurückgekehrten Co-Moderatorin Michelle Hunziker moderierte Sendung. Berufsnörglern – und die soll es im deutschsprachigen Raum Gerüchten zufolge durchaus geben – dürften im Gegensatz zum begeisterten Publikum in der Nürnberger Messehalle und vor den Fernsehschirmen keine Freuden-, sondern eher Zornestränen angesichts dieser offensiv zur Schau getragenen Rückwärtsgewandtheit der Kultsendung gestiegen sein.
„Die Sendung lebt von einer gewissen Grundfreundlichkeit“, sagt Thomas Gottschalk über „Wetten, dass…?“. Recht hat er – und enthüllt damit zugleich, warum der Showdampfer und sein Moderationskapitän über Jahrzehnte hinweg sich kritik- und nörgelresistent durch eine sich stetig veränderte Medienlandschaft navigieren konnten. Denn auch dies wurde mit der „Wetten, dass…?“-Rückkehr deutlich: Die schweigende TV-Mehrheit möchte wenigstens am Samstagabend weder belehrt noch den neuesten Trends hinterherhecheln müssen, sondern schlicht und ergreifend unterhalten werden und einfach „man selbst sein“ zu dürfen.
Möglicherweise liegt also die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Showfernsehens in der Vergangenheit: Eine Mehrheit von 55 Prozent der Deutschen wünscht es sich laut einer noch vor der Ausstrahlung der Comeback-Sendung erhobenen Forsa-Umfrage, dass Thomas Gottschalk und „Wetten, dass…?“ ab sofort für ein jährliches Special zurückkehren. Auf dem Mainzer Lerchenberg wird man sich angesichts dieser klaren Ausgangslage eher früher als später mit dem 71-jährigen „Show-Titan“ genau hierüber austauschen wollen – und der scheint alles andere als abgeneigt. Oder sieht dies jemand anders? Topp, die Wette gilt!
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