Es
gibt nicht viele italienische Spitzenforscher, die in Deutschland
Karriere machen. Lucio Baccaro ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme:
Seit dem vergangenen September ist der 1966 in Apulien geborene
Politökonom Direktor des renommierten Max-Planck-Instituts für
Gesellschaftsforschung in Köln (MPIfG). Und offenbar möchte er seinem
Vorgänger Wolfgang Streeck, der sich in gesellschaftliche Debatten
provokant einmischt, nicht nachstehen: In einem Gespräch mit der F.A.Z.
machte sich Baccaro für einen geregelten Austritt seines Heimatlandes
aus dem Euro stark. Es sei ein Fehler gewesen, dem Euro überhaupt
beizutreten. „Sollte Italien über einen Ausstieg verhandeln? Im Großen
und Ganzen: ja!“, sagte Baccaro.
Der Forscher begründet seine unter deutschen Ökonomen ungewöhnliche
Position mit strukturellen Problemen der italienischen Wirtschaft, die
über einen langen Zeitraum entstanden seien. Ein Euro-Austritt könne
dazu beitragen, sie zu lösen. „Beim Beitritt zu der Gemeinschaftswährung
1999 haben viele Italiener davon geträumt in der ,Premier League’ der
Volkswirtschaften mitzuspielen“, so Baccaro, „aber das hat sich als
Fehler herausgestellt.“ Wie sich Griechenland innerhalb des Euros
entwickelt habe, sei ein Desaster. „Italien ist das zweitgrößte
Desaster“, sagte Baccaro. Die Produktivität der italienischen
Unternehmen stagniert seit rund zwei Jahrzehnten, die Wirtschaft wächst
langsamer als die deutsche oder französische, und die
Staatsschuldenquote ist mit mehr als 130 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes etwa doppelt so hoch wie die in Deutschland. Mit
der Einheitswährung Euro habe sich das südeuropäische Land der Chance
beraubt, durch Wechselkursanpassungen im internationalen Vergleich an
Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen – und so die Hände „an den Mast der EU
gefesselt“.
Baccaro, der an der Universität Genf zusätzlich zu seinem Posten in
Köln einen Lehrstuhl für Soziologie inne hat, ist kein Freund der in
Südeuropa viel gescholtenen Austeritätspolitik, die oft schmerzhafte
Strukturreformen beinhaltet. Stattdessen setzt der Forscher auf mehr
gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die wachstumsschwachen Ländern auf die
Sprünge helfen soll. Allen voran sieht er dafür den Staat am Zug. „Wenn
die Binnennachfrage und die Nachfrage aus dem Ausland dazu neigt, zu
stagnieren, ist es an der Regierung, mehr auszugeben, anfangs
zumindest“, sagte der Forscher. Dass das im Fall von Italien nur schwer
mit dem Regelwerk des Maastricht-Vertrags vereinbar wäre, nach dem die
jährliche Neuverschuldung drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht
überschreiten darf, ist für Baccaro kein Ausschlusskriterium: „Wir
müssen einige dieser Beschränkungen lockern, möglicherweise auch die
3-Prozent-Grenze.“
Auch wenn Baccaro, der ursprünglich Philosophie und später Wirtschaft
studiert hat, seine Argumente anders herleitet – mit seinen
Schlussfolgerungen zu Euro und Ausgabenprogrammen liegt der Forscher
nicht weit von der eurofeindlichen italienischen Partei Lega Nord und
der Partei Silvio Berlusconis (Forza Italia) entfernt. Beide Parteien
liegen im italienischen Wahlkampf aussichtsreich im Rennen und dürfen
sich Hoffnungen auf einen Wahlsieg bei den Parlamentswahlen an diesem
Sonntag machen.
Der deutschen Wirtschaft stellt der neue Max-Planck-Direktor ein
gemischtes Zeugnis aus. Einerseits sei „Deutschland die einzige
Volkswirtschaft, die in der Vergangenheit den Wandel von einem
lohngetriebenen Wirtschaftswachstum zu einem exportgetriebenen Wachstum
geschafft hat“. Andererseits könne genau dieses Wachstumsmodell
Deutschland künftig zum Verhängnis werden. Im Schatten der erfolgreichen
Exportunternehmen sei ein großer Niedriglohn- und
Dienstleistungsbereich entstanden – und damit verbunden erhebliche
gesellschaftliche Ungleichheit. Deutschland habe die reichlich
vorhandenen Steuereinnahmen nicht genutzt, um diese Gruppen ausreichend
zu stärken. FAZ
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