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Montag, 12. März 2018

Lucio Baccaro wird nie in deutsche Talkshows eingeladen

Es gibt nicht viele italienische Spitzenforscher, die in Deutschland Karriere machen. Lucio Baccaro ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme: Seit dem vergangenen September ist der 1966 in Apulien geborene Politökonom Direktor des renommierten Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln (MPIfG). Und offenbar möchte er seinem Vorgänger Wolfgang Streeck, der sich in gesellschaftliche Debatten provokant einmischt, nicht nachstehen: In einem Gespräch mit der F.A.Z. machte sich Baccaro für einen geregelten Austritt seines Heimatlandes aus dem Euro stark. Es sei ein Fehler gewesen, dem Euro überhaupt beizutreten. „Sollte Italien über einen Ausstieg verhandeln? Im Großen und Ganzen: ja!“, sagte Baccaro.
Der Forscher begründet seine unter deutschen Ökonomen ungewöhnliche Position mit strukturellen Problemen der italienischen Wirtschaft, die über einen langen Zeitraum entstanden seien. Ein Euro-Austritt könne dazu beitragen, sie zu lösen. „Beim Beitritt zu der Gemeinschaftswährung 1999 haben viele Italiener davon geträumt in der ,Premier League’ der Volkswirtschaften mitzuspielen“, so Baccaro, „aber das hat sich als Fehler herausgestellt.“ Wie sich Griechenland innerhalb des Euros entwickelt habe, sei ein Desaster. „Italien ist das zweitgrößte Desaster“, sagte Baccaro. Die Produktivität der italienischen Unternehmen stagniert seit rund zwei Jahrzehnten, die Wirtschaft wächst langsamer als die deutsche oder französische, und die Staatsschuldenquote ist mit mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes etwa doppelt so hoch wie die in Deutschland. Mit der Einheitswährung Euro habe sich das südeuropäische Land der Chance beraubt, durch Wechselkursanpassungen im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen – und so die Hände „an den Mast der EU gefesselt“.
Baccaro, der an der Universität Genf zusätzlich zu seinem Posten in Köln einen Lehrstuhl für Soziologie inne hat, ist kein Freund der in Südeuropa viel gescholtenen Austeritätspolitik, die oft schmerzhafte Strukturreformen beinhaltet. Stattdessen setzt der Forscher auf mehr gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die wachstumsschwachen Ländern auf die Sprünge helfen soll. Allen voran sieht er dafür den Staat am Zug. „Wenn die Binnennachfrage und die Nachfrage aus dem Ausland dazu neigt, zu stagnieren, ist es an der Regierung, mehr auszugeben, anfangs zumindest“, sagte der Forscher. Dass das im Fall von Italien nur schwer mit dem Regelwerk des Maastricht-Vertrags vereinbar wäre, nach dem die jährliche Neuverschuldung drei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf, ist für Baccaro kein Ausschlusskriterium: „Wir müssen einige dieser Beschränkungen lockern, möglicherweise auch die 3-Prozent-Grenze.“
Auch wenn Baccaro, der ursprünglich Philosophie und später Wirtschaft studiert hat, seine Argumente anders herleitet – mit seinen Schlussfolgerungen zu Euro und Ausgabenprogrammen liegt der Forscher nicht weit von der eurofeindlichen italienischen Partei Lega Nord und der Partei Silvio Berlusconis (Forza Italia) entfernt. Beide Parteien liegen im italienischen Wahlkampf aussichtsreich im Rennen und dürfen sich Hoffnungen auf einen Wahlsieg bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag machen.
Der deutschen Wirtschaft stellt der neue Max-Planck-Direktor ein gemischtes Zeugnis aus. Einerseits sei „Deutschland die einzige Volkswirtschaft, die in der Vergangenheit den Wandel von einem lohngetriebenen Wirtschaftswachstum zu einem exportgetriebenen Wachstum geschafft hat“. Andererseits könne genau dieses Wachstumsmodell Deutschland künftig zum Verhängnis werden. Im Schatten der erfolgreichen Exportunternehmen sei ein großer Niedriglohn- und Dienstleistungsbereich entstanden – und damit verbunden erhebliche gesellschaftliche Ungleichheit. Deutschland habe die reichlich vorhandenen Steuereinnahmen nicht genutzt, um diese Gruppen ausreichend zu stärken.   FAZ 

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