Stationen

Montag, 7. November 2016

Pandoras Büchse

An Niederlagen ist das politische Leben des Barack Obama wahrhaft nicht arm. Eine der folgenreichsten hat er jetzt, gegen Ende seiner zweiten Amtszeit, einstecken müssen. Es geht um ein Gesetz, das es betroffenen Bürgern der USA erlaubt, andere Staaten wegen Unterstützung des Terrorismus zu verklagen.

Wegen der anhaltenden, ja zunehmenden Zweifel an der Korrektheit der Regierungsuntersuchung zum Attentat vom 11. September 2001 hatte das Weiße Haus zusätzlich zu den bisherigen Erklärungen ein mageres Bündel von erheblich geschwärzten 28 Seiten veröffentlicht, in dem von einer möglichen Verstrickung Saudi-Arabiens in den Anschlag die Rede ist. In der Folge verabschiedete der Kongress am 5. O­k­tober ein Gesetz, das es betroffenen US-Bürgern erlaubt, gegen Saudi-Arabien zu klagen. 

Obama hatte das bis zum letzten Moment verhindern wollen, doch sein Veto wurde vom Kongress überstimmt. Der US-Präsident hatte argumentiert: „Falls wir den Begriff der gerichtlichen Immunität von Staaten aussetzen, könnten auch gegen unsere Militärs weltweit Klagen eingereicht werden.“
Tatsächlich verstößt das neue Gesetz gegen den Grundsatz der Staatenimmunität im Völkerrecht, wonach Staaten gegenüber anderen Staaten nur ein sehr eingeschränktes Klagerecht haben, Privatleute gegenüber Staaten aber überhaupt keines.

Allerdings plagen den US-Präsidenten keinerlei Sorgen ums Völkerrecht, denn der Sinn und Zweck der sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta besteht ja nicht zuletzt darin, Privatunternehmen zu ermöglichen, gegen Staaten zu klagen. Dieser Bruch mit dem Völkerrecht ist für Obama und seine Regierung längst System geworden. Obama geht es denn auch um etwas völlig anderes, nämlich um das politische Verhältnis seines Landes zu Saudi-Arabien.

Dieses stellt für Washington einen wichtigen Baustein in seiner Nahost-Strategie dar. Saudi-Arabien ist traditionell ein Verbündeter der USA, das natürliche Bollwerk gegen den Iran, es hat strategische Bedeutung wegen seines Ölreichtums, garantiert zusammen mit den Golfemiraten Einfluss in der gesamten Region und stellt die ideale, weil nur mittelbare Verbindung zu den islamistischen Organisationen wie al-Kaida oder Islamischer Staat (IS) dar, vor allem, wenn es um Waffenlieferungen geht.
Zudem sind die USA bei den Saudis erheblich verschuldet. Nach den Angaben der Agentur Bloomberg vom Mai dieses Jahres belaufen sich die Verbindlichkeiten Washingtons auf rund 117 Milliarden US-Dollar. Es gibt sogar Schätzungen, die sich bis auf eine halbe Billion erstrecken. Vor diesem Hintergrund sagte Marc Chandler, der Chefwährungsstratege bei der New Yorker Investment Bank Brown Brothers Harriman zu Bloomberg mit Blick auf die Saudis: „Ich meine, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir unsere Anfälligkeit gegenüber großen Gläubigern unterschätzen.“
Die Saudis wiederum wissen sehr wohl, was sie wert sind und welchen Platz sie in der Strategie der Neuen Weltordnung der USA einnehmen. Sie dürfen sich daher eine ziemlich unverblümte Antwort auf jenes Gesetz erlauben. Halef Batarfi, Politikwissenschaftler an der Feisal-Universität in Hofuf, schreibt: „Mit dieser Entscheidung zeigt Washington seine Unzuverlässigkeit als Verbündeter. Zudem bestätigen die USA, dass sie kein Rechtsstaat sind, denn dort können Gesetze zugunsten momentaner konjunktureller Interessen novelliert werden.“ Wenn auch ein Universitäts-Professor nicht der berufene Sprecher der Regierung ist, so dürfte Batarfi seine Anmerkung nicht gegen den Willen des Königs getan haben. Das gilt auch für die folgende Aussage des Professors: „Jeder Investor, der sein Geld in der Wirtschaft eines anderen Landes anlegt, rechnet mit dem Erhalt seiner Mittel, was die nationalen Gesetze garantieren sollen. Dieses Prinzip wurde hier verletzt.“ Die Saudis sehen sehr wohl die Gefahr, dass in den USA aufgrund des neuen Gesetzes saudische Konten gesperrt oder gepfändet werden könnten. Das Au­ßen­mi­ni­ste­ri­um in Riad hat bereits damit gedroht, alle Aktiva aus den USA abzuziehen. Dabei handelt es sich um 750 Milliarden US-Dollar.
Ganz in der Attitüde eines Sachwalters internationaler Rechtsfragen ließ das saudi-arabische Außenministerium verlauten: „Die Zerstörung der Grundlagen staatlicher Souveränität, die seit Jahrhunderten die Basis internationaler Beziehungen bildet, hätte eine üble Wirkung auf alle Länder, darunter auch für die USA.“    Florian Stumfall

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