Wie schnellebig das politische Geschäft doch ist. Vor kurzem noch
diskutierten die Genossen tief zerknirscht über die Sinnhaftigkeit einer
eigenen Kanzlerkandidatur. Weil sich die Herren Scholz (Hamburg),
Schulz (Europa) und Steinmeier (Außenamt) zu fein waren für das
politische Himmelfahrtskommando, wurde Sigmar Gabriel in diese Rolle
geschoben.
Als Notlösung. Doch siehe da: Spätestens seit den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern
und Berlin ist belegt, daß die SPD auch als Stimmenverlierer letztlich
obsiegen kann. Dazu muß sie nicht länger Volkspartei sein. Es genügt,
sich als stärkste Kraft in einem Bündnis zu behaupten, das zusammen die
Mehrheit der Abgeordneten stellt. Ein Mandat plus genügt, wie wir
spätestens seit Adenauer wissen. Die Partner kann sich die SPD sogar
aussuchen. CDU, Grüne, Linkspartei und FDP stehen jeweils bereit, einen
Sozialdemokraten zum Regierungschef zu wählen.
Derweil zieht „Flüchtlingskanzlerin“ Merkel ihre Union ins
30-Prozent-Tief. Solange CDU und CSU ein Bündnis mit der neuen
Rechtspartei AfD hochnäsig ablehnen und die FDP um die
Fünf-Prozent-Hürde herumkrebst, fehlen ihr realistische
Machtalternativen. Allein schon, weil die sich abzeichnenden Erfolge der
AfD vornehmlich auf Kosten der CDU-Kandidaten gehen. 60 bis 80
Direktmandate könnten der Union so verlorengehen – und damit die
Mehrheit von mindestens 301 Mandaten im Bundestag kosten.
Die realistische Aussicht, Angela Merkel zu beerben, läßt Gabriel
eifrig nach links blinken. Stichworte sind hier: die Ablehnung des
Freihandelsabkommens TTIP und damit verbunden eine unverblümte
Amerika-Kritik bei gleichzeitigem Verständnis für Putin sowie allerhand
„Sozialpakete“, um sich als Partei der Gerechtigkeit zu profilieren. Daß
sich der SPD-Vorsitzende kürzlich dann zu den 90 Abgeordneten von SPD,
Linken und Grünen gesellte, die schon mal die Chancen für Rot-Rot-Grün
ausloten, darf ebenfalls als Teil dieser Charmeoffensive gedeutet
werden.
Sie ist zugleich der Türöffner ins Schloß Bellevue: Verschafft
Gabriel dem populären Frank-Walter Steinmeier eine linke Mehrheit in der
Bundesversammlung, wäre das Eis endgültig gebrochen. Stellt die SPD
wieder den ersten Mann im Staate, hat dies auch Symbolkraft. So wie 1969
mit der Wahl von Gustav Heinemann der Schwenk von der Union zur
sozial-liberalen Regierungskoalition unter Willy Brandt eingeleitet
wurde.
Vordergründig rückt die SPD also tatsächlich nach links. Doch die
Geschichte zeigt auch, daß die SPD in der Regierungsverantwortung
schnell ideologischen Ballast abwirft und sich als pragmatische
Staatspartei bewährt. Auch Gerhard Schröder durchlief den klassischen
Weg von links unten (Juso-Vorsitzender) nach rechts oben (Genosse der
Bosse). Die SPD-Kanzler Brandt (Ostpolitik) und Schmidt (Rüstung,
Kernenergie, Sparkurs) waren als Reformer mutiger als Kohl oder Merkel.
Schröder hat das Land mit seiner Agenda 2010, Steuersenkungen und Rente
mit 67 modernisiert. Angela Merkel hat lediglich die sozialdemokratische
Agenda abgearbeitet. Von der Frauenquote bis zum Mindestlohn.
Die SPD stellt neun der 16 Ministerpräsidenten und ist an weiteren
vier Landesregierungen beteiligt. Sie stellt so viele Oberbürgermeister
(105) wie CDU (89) und CSU (17) zusammen. Nur leider überlassen diese
Realpolitiker leichtfertig denen das Wort, die die eigenen
Reformleistungen in Mißkredit bringen. Damit verkauft sich die Partei
unter Wert. So wie in Baden-Württemberg, wo die Genossen offenbar
glauben, die Bürger im konservativen Südwesten wollten einen
Verdi-Staat, den die neue Landesvorsitzende Leni Breymaier
repräsentiert.
Nun ist Sigmar Gabriel keiner, dem wie Schröder die (weiblichen)
Herzen zufliegen. Doch mit dem klaren Eintreten für das Ceta-Abkommen
mit Kanada hat der Sprunghafte erstmals Rückgrat bewiesen. Als
r2g-Kanzler, wie eine rot-rot-grüne Koalition neudeutsch bereits genannt
wird, ist ihm durchaus mehr marktwirtschaftliche Standfestigkeit
zuzutrauen. Denn dann muß sich die SPD nicht mehr als soziales Gewissen
in einer ungeliebten Koalition mit den Schwarzen beweisen.
Sie muß sich als Gestalter einer Exportnation, deren Wohlstand im
globalen Wettbewerb erarbeitet werden muß, profilieren. Dafür hat der
Wirtschaftsminister weit mehr Verständnis als eine von den
Befindlichkeiten des Volkes entrückte Angela Merkel. Bei seinen
Auftritten in China übt Gabriel die Rolle des taffen Lobbyisten schon
mal.
Es erscheint kurios, daß wer national-konservativ, also AfD wählt,
eine linke Regierung bekommt. Das werden bittere Jahre mit höheren
Steuern und Staatsausgaben sowie noch mehr Flüchtlingen und einer
Politik der Intoleranz gegen alles, was als „rechts“ diffamiert werden
kann. Doch dies ist der Preis, um die Linksverschiebung der Merkel-CDU
zu korrigieren.
Erst der Verlust der Macht in Berlin befreit die Union von der
ostdeutschen Pastorentochter, die für viele falsche Weichenstellungen
verantwortlich ist: für eine überstürzte und verkorkste Energiewende,
die außer hohen Kosten und einer Verschandelung der Landschaft nichts
gebracht hat; für eine naive Euro-Griechenland-Rettungspolitik auf
Kosten der deutschen Sparer und Steuerzahler; und für eine aus dem Ruder
gelaufene Politik der offenen Grenzen, deren langfristige Folgen heute
noch gar nicht absehbar sind.
Viele in der CDU wissen das. Doch ihnen fehlt der Mut zur Rebellion. Der kommt erst im Tal der Opposition.
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