Stationen

Samstag, 3. März 2018

Abendessen in Brest-Litowsk

Es trat dabei eine eigenartige Gesellschaft zusammen: auf der einen Seite konservative, meist dem Hochadel angehörende Vertreter des Deutschen Kaiserreichs und der Donaumonarchie und deren Verbündete, auf der anderen Seite radikale Revolutionäre, wie sie die Welt bisher noch nie in einer Regierung eines Landes erlebt hatte, die offen das Ziel der Weltrevolution proklamierten.
Dementsprechend ambivalent waren die ersten Eindrücke von der Gegenseite. Ottokar Graf Czernin, der Leiter der österreichisch-ungarischen Delegation erinnerte sich später:

„Der Führer der russischen Delegation ist ein erst vor kurzem aus Sibirien entlassener Jude namens Joffe […] nach dem Essen hatte ich meine erste lange Unterredung mit Herrn Joffe. Seine ganze Theorie basiert darauf, das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf breitester Basis in der ganzen Welt einzuführen und diese befreiten Völker zu veranlassen, sich gegenseitig zu lieben […] Ich machte ihn aufmerksam, dass wir eine Nachahmung der russischen Verhältnisse nicht unternehmen würden und uns jede Einmengung in unsere internen Verhältnisse kategorisch verbitten. Wenn er weiter an diesem utopischen Standpunkt, seine Ideen auch auf uns zu verpflanzen, festhalte, dann sei es besser, er würde gleich mit dem nächsten Zug wieder abreisen, denn dann sei der Friede nicht zu machen. Herr Joffe blickte mich erstaunt mit seinen sanften Augen an, schwieg eine Weile und sagte dann in einem für mich immer unvergeßlichen freundlichen, fast möchte ich sagen bittenden Ton: ‚Ich hoffe doch, dass es uns gelingen wird auch bei Ihnen die Revolution zu entfesseln.‘ “   Friedensvertrag von Brest-Litowsk

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.