Rape Culture. Darunter machen wir es ja nicht mehr. Glaubt man der
Schwarmintelligenz im aktuellen, digitalen Sexismus-Gewitter, leben wir
als Frauen ungebrochen und zwar systematisch unter dem Joch iner
heterosexuell-weiß-geprägten Vergewaltigungskultur
alternder Lüstlinge, die sich schmierig und breitbeinig an Frauen
vergreifen. Nicht nur in Deutschland. Weltweit. Harvey Weinstein ist
überall. Gerade wabert wieder ein Hashtag durch Twitter. #metoo. Ich
auch. Jede Frau ein Opfer. Ergo: Jeder Mann ein potenzieller
Täter. Seit uns in regelmäßigen Abständen Internetkampagnen zum Thema
ereilen, ist es unübersichtlich geworden, ob die eine Kampagne schon
durch ist, wegen Peinlichkeit klammheimlich beerdigt wurde, und unter
welchem Hashtag wir uns tagesaktuell im Netz als Opfer outen. Was hatten
wir nicht schon alles. Den #aufschrei nach Rainer Brüderle. Alter
weißer war ja klar. Danach #neinheisstnein, als Schauspielerin Gina Lisa
Lohfink angeklagt war, zwei Männer fälschlich einer Vergewaltigung
bezichtigt zu haben. Bis in Regierungskreise und in die „Tagesschau“ war
man kollektiv im #TeamGinaLisa, jedenfalls bis Frau Lohfink schuldig
gesprochen wurde. Vergangenes Jahr schockierte ein CDU-Politiker, der
eine ambitionierte Nachwuchskraft seines Ortsverbands skandalöserweise
als „süße Maus“ bezeichnet hatte. Da war sie wieder, die Rape Culture.
Kein Anlass nichtig genug, um auf einen Zug aufzuspringen, der sich
medial hypen lässt. Alles Bärendienste für die Schwestern, die in echter
Not nicht mehr ernst genommen werden angesichts der Banalitäten, die
gleichzeitig mit durchs Dorf getrieben werden.
Wehe, man verlangt eine Wertung nach Schwere des Vergehens oder wirft
die Frage auf, ob das vermeintliche Opfer überhaupt eines ist oder nur
eine Wichtigtuerin mit dünnem Fell. Oder eine mit Karriere-Ambitionen
oder auch nur mit miesem Vernichtungswillen. Soll es ja geben. Auch
unter Frauen. Dir hat einer hinterhergepfiffen, um deine
Aufmerksamkeit zu erreichen? Dir hat jemand ein Kompliment gemacht, das
du gar nicht hören wolltest? Ja, echt schlimm. Armes Hascherl. Reicht
mein Gefühl oder die Tageslaune als Frau aus, um einen Mann schuldig zu
sprechen? Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli exerzierte gerade
vor, wie weiblicher Opferkult funktioniert. Sie sei „unter Schock“. Ein
Herr auf dem Podium einer Veranstaltung, bei der sie zu spät kam, hat
sie erst nicht erkannt und sich dann überrascht gezeigt, dass sie so
jung und schön sei. Klarer Fall: Hängt ihn! Ist ja mindestens
genauso schlimm wie ein Harvey Weinstein, der Schauspielerinnen zum
Oralverkehr gezwungen hat. Mindestens. Für jedes männliche Fehlverhalten
ein Fachbegriff.
Die Schönheit einer Frau wahrgenommen, statt ihres ohne Zweifel
existenten, brillanten Intellekts: Hashtag Lookism. Einer Frau sagen,
sie soll mal runterkommen, weil gar nichts passiert ist: Hashtag
Victimblaming. Und selbst für das breitbeinige männliche Sitzen in
U-Bahnen hat die Empörungsindustrie schon eines beherzten „Rutsch mal
rüber, Idiot“ lieber eine weinerliche Internetkampagne. Wann haben
Frauen eigentlich das Sprechen verlernt? Es sind diese Skandalisierungen
eines großen Nichts, es sind diese hysterischen
Überempfindlichkeiten meiner Geschlechtsgenossinnen, die es so schwer
machen, sich zu solidarisieren. Es sind auch die nicht zugelassenen
Einwände, die ein ernsthaftes Vorankommen der Debatte behindern. Fragen,
die auch Frauen sich stellen lassen müssen. In der Causa Weinstein
wiederholt sich die Formulierung, es sei seit vielen Jahren ein
„offenes Geheimnis“ in Hollywood gewesen. Ein Widerling, der seine
Position ausnutzt. Kollegen, die es wissen. Mitarbeiter, Regisseure,
Politikerinnen, Schauspielkolleginnen, Bosse, die es wussten.
Helfershelfer, die ihn getragen haben. Seinen Einfluss und sein Geld
gern genutzt haben und dafür beide Augen zudrückten. Deal. Für die
Karriere. Frauen und Männer.
Mich persönlich widern diese genauso sehr an, die tatenlos zugeschaut
haben und jetzt medienwirksam wie Unfallgaffer auf der Anklagebank
drängeln. Wie oft verkaufen wir uns als Frauen, prostituieren wir uns
und zwar freiwillig und opportunistisch, weil es uns anderweitig nutzt.
Wir nehmen es in Kauf. Jahre später zu sagen „Ich auch“ ist zu wenig.
Und dann fallen dieser Tage noch andere Hashtags und Internetkampagnen
auf. Diejenigen, die nicht existent sind. Eine neue Dimension des
Schweigens hat sich breitgemacht, wenn es um Opfer geht, die niemand
sehen will, und um Täter, die nicht ins erwartete Bild passen. Wo ist
der Hashtag für die zwangsverheirateten Mädchen mitten in Deutschland,
wo der Hashtag für die Frauen, ermordet „im Namen der Ehre“? Welchen
Hashtag gibt es für die sexuellen Übergriffe auf Kinder in unseren
Schwimmbädern? Wo
ist der Hashtag für die verweigerten Handschläge für Lehrerinnen durch
ach so integrierte Muslime? Wo ist der Hashtag für die Kinderehen, wo
sich Pädophile über junge Mädchen hermachen dürfen? Wo sind sie, all die
Hashtags für den alltäglichen Sexismus gegenüber Müttern und
Hausfrauen, die sich ungestraft auch aus Politikermund als „Heimchen am
Herd“ bezeichnen lassen müssen, ohne dass es jemanden aufregt? Welchen
Hashtag haben wir für die begrapschten Frauen auf der Kölner Domplatte
und den
Festivals in ganz Europa? Oder ist es wirklich alles, dass wir uns von
einem selbst ernannten „Feministen“ wie Augstein sagen lassen dürfen,
wir sollen uns mal wegen so ein paar Grapschern nicht so anstellen?
Würden wir das auch den Opfern von Weinstein sagen? Niemals. Wer blöde
Komplimente bereits zum Sexismus hochstilisiert, muss sich auch die
Frage gefallen lassen, wo denn die Solidarität mit denjenigen Frauen
ist, die täglich Sexismus, Beleidigungen, Nötigungen oder gar
körperlichen Übergriffen ausgesetzt sind, die nicht aus der
hetero-weißen Klischee-Ecke stammen. Warum sind gerade Feministinnen im
Moment bereit, hier bis zur Selbstverleugnung der eigenen Idee beide
Augen zuzudrücken, aber gleichzeitig vorne dabei, jeden falschen Blick
und jedes falsche Wort eines weißen alten Sacks öffentlich lauthals zu
beweinen? Diese Kultur des Wegsehens schafft gerade neue Opfer. Vor
einem Jahr wurde der Fall von Selin Gören bekannt, Sprecherin der
Linksjugend Solid. Sie hatte ihre Vergewaltigung durch drei Männer von
offensichtlich arabischer Herkunft bei der Polizei zunächst als Raub
durch Männer, die Deutsch sprachen, angezeigt. Falsche Angaben zu Tat
und Herkunft der Täter, um – wie sie selbst sagt – Flüchtlinge nicht in
einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Also um das Täterprofil
„nicht weiß“, „nicht deutsch“ und „sexuell übergriffig“ zu verschleiern.
Sie musste erst von ihrem Freund – einem
Mann – überzeugt werden, die Wahrheit bei der Polizei zu sagen, damit
nicht weitere Frauen im Viertel zum Opfer werden und die Polizei mit
richtiger Täterbeschreibung suchen kann. Eine junge Frau, die ihren
Schmerz für eine politische Illusion opferte, die nicht infrage gestellt
werden darf. Das ist echte Tragik. Wo ist der Hashtag für die
weiblichen Opfer eines Zeitgeistes, der lieber Taten verschweigt und
sich wegduckt, um das Mantra einer weltoffenen Gesellschaft nicht zu
gefährden, die längst neue Opfer schafft?
Egal, ob es um gläserne Decken in Dax-Vorständen, Lohnunterschiede
zwischen Männern und Frauen oder die Aufteilung von Hausarbeit geht.
Immer, wirklich immer wird den strukturellen und kulturell geprägten,
patriarchalen Strukturen die Schuld zugewiesen. Das System ist wie immer
schuld. Die Erbschuld des weißen Mannes.
Struktureller Sexismus, Rape
Culture eben. Das heteronormative System aus Tradition, Religion und
Kultur, das den Mann stützt und die Frau unterdrückt. Nur wenn die Täter
aus fremden Kulturkreisen oder gar aus islamischen Gesellschaften
stammen, ist der Hinweis auf deren kulturellen Hintergrund und die
systematische Unterdrückung von Frauen in diesen Gesellschaften nicht
mehr Grund für einen Skandal, sondern angeblicher Rassismus. Dann wird
peinlich berührt weggeschaut. Und geschwiegen. Derselbe Maßstab, der die
katholische Kirche in Deutschland zum Frauenfeind stilisiert, verschließt die Augen selbst vor
offensichtlicher Entrechtung im Namen anderer Religionen. Auch eine
Staatssekretärin Chebli störte sich bislang nicht an der Entrechtung der
Frau, die im Namen ihrer eigenen Religion an Geschlechtsgenossinnen
täglich in Deutschland kultiviert und sogar offen gelehrt wird.
Im Gegenteil, sie verteidigte gar öffentlich die Scharia. Wenn ihr aber
ein Mann öffentlich ein Kompliment macht, ist sie „unter Schock“, und
wer diese Diskrepanz bemängelt, ein Rassist.
Der Backlash der Frauenrechte droht nicht vom weißen, deutschen Mann,
den wir längst zum Taschenträger der Emanzipation degradiert haben, und
auch nicht durch die renitente schwäbische Hausfrau, die ihre Kinder
immer noch partout selbst betreuen will und sich standhaft weigert,
ihren peniblen Haushalt partnerschaftlich modern mit ihrem Gatten zu
teilen. Der Rückfall in mittelalterliche Vorstellungen von Frauenrechten
droht durch das bewusste Verschließen der Augen vor den Realitäten
einer Zuwanderungsgesellschaft, die nicht bereit ist, ihre
Errungenschaften zu verteidigen. Mehr noch, die inakzeptables Verhalten
gegenüber Frauen zur „kulturellen Vielfalt“ verniedlicht. Die
übergriffige Widerlinge zu „Antänzern“ macht. Willkommen zum Tanz der
Kulturen. Oh ja, in diesem Land existiert struktureller Sexismus. Er
wächst und gedeiht in Parallelgesellschaften. Wie schön, dass wir so
viel Verständnis haben. Birgit Kelle
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