Seit über zwei Wochen ist die „Erklärung 2018“ in der Welt, sie wurde
inzwischen von mehr Menschen unterzeichnet, als an den Ostermärschen
teilgenommen haben. Allein nach dem Beitrag in den Tagesthemen am Ostersonntag kamen etwa 15.000 Unterschriften dazu, inzwischen sind es über 65.000. Vielen Dank, liebe Kollegen in Hamburg!
Besonders freut uns, die wir mit dieser Erklärung „ein Zeichen“ für
Toleranz, Weltoffenheit und Intervallfasten setzen wollten, dass die
Berichterstattung über die Erklärung nicht nachlässt, obwohl uns
natürlich bewusst ist, dass es derzeit wichtigere Themen
gibt und wir uns über manchen Beitrag wundern mussten. Einige unserer
Kollegen haben ihre Karrieren offenbar als Kaffeesatzleser angefangen,
Jan Sternberg vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zum Beispiel, der es
fertiggebracht hat, aus zwei dürren Sätzen mehr herauszulesen als Martin Schulz aus dem Wahlprogramm der SPD. Er schreibt: Befremdlich
schien vor allem die undifferenzierte Nähe zu allen Demonstranten in
Dresden, Cottbus, Kandel und anderswo, von denen nicht alle den
Rechtsstaat hochhalten. Dort laufen eben auch solche mit, die ihn nur zu
gerne abschaffen wollen.
Da ist natürlich was dran. Wir haben es versäumt, alle Demonstranten in Dresden, Cottbus, Kandel und anderswo zu
fragen, wie sie es mit dem Rechtsstaat halten, so wie die Hannoversche
Allgemeine jeden, der die Zeitung abonnieren will, danach befragt, wie
seine CO2-Bilanz aussieht. Und die seiner Nachbarn und Arbeitskollegen.
Ebenso verwunderlich fanden wir den Beitrag des Ressortleiters Kultur
der taz, Andreas Fanizadeh über Vera Lengsfeld und andere "rechte Osterhasen".
Gelten politische Kategorien jetzt auch für Fabeltiere? Wird es
demnächst auch rechte und linke Meerjungfrauen geben? Progressive und
reaktionäre Wolpertinger? Fanizadeh schaute sich die Liste der Unterzeichner an und stellte fest, dass es vor allem Zahnärzte, Diplomingenieure, Betriebswirte, Lehrer, jede Menge rechte Akademiker und Publizisten sind. Was hat der Mann gegen Dipl.-Ings, BWLer, Dentisten und Pädagogen? Es sind doch ehrenwerte Berufe.
Dann wandte er sich von der Liste ab und referierte über das Leben
von Vera Lengsfeld, die offenbar am falschen Ort zur falschen Zeit
geboren wurde und seitdem alles falsch gemacht hat. Sie driftete immer weiter an den rechten Rand und polemisierte gegen die angebliche Political Correctness im Lande. Ungeheuerlich!
So etwas würde bei der taz zum sofortigen Ausschluss aus dem
Redaktionskollektiv mit anschließender Verbannung in die Uckermark
führen. Außerdem schlachte Lengsfeld tote Osterhasen. 2017 seien deutlich weniger Asylanträge gestellt worden als 2016, die abnehmende Tendenz würde auch 2018 anhalten.
Immerhin, das hat die Flüchtlingswelle mit der Auflage der taz gemeinsam.
Was uns aber tatsächlich erschüttert hat, war ein Beitrag von Ernst Elitz im Cicero-Magazin. Elitz
ist ein Journalist der alten Schule, gebildet, belesen, umgänglich. Vor
einem Jahr wurde er zum Ombudsmann von BILD berufen, er geht
Beschwerden von Lesern nach, die mit der Berichterstattung von BILD
unzufrieden sind. Das Einzige, was man ihm vorwerfen könnte: Er ist ein
alter weißer Mann, entspricht genau dem Feindbild der Burmesters dieser Welt, die eine Haßliebe zu den Leuten pflegen, denen sie das Wasser nicht reichen können.
Ernst Elitz ist von der „Erklärung 2018“ tief enttäuscht. Er hat mehr erwartet – dass sich auch in Deutschland eine Truppe konservativer Dichter und Denker etabliert,
die neben und gegen den politisch korrekten Dichterschwarm, den
Frank-Walter Steinmeier um sich sammelte, Paroli bieten könnte.
Niemand hat Ernst Elitz daran gehindert, dem politisch korrekten Dichterschwarm, den Frank-Walter Steinmeier um sich sammelt,
Paroli zu bieten. Es hätte ein feiner, elitärer Kreis sein können aus
ehemaligen Intendanten, die sich unregelmäßig bei borchardt treffen, um bei Dry Aged Toskana Striploin konservative Gedanken auszutauschen. Stattdessen wurde es eine Aktion, bei der jeder voraussetzungslos mitmachen kann, auch schräge Adabeis wie Matthias Matussek, der Aufmerksamkeit eher für sich als die konservative Sache erregt, was immer das sein mag. Elitz‘ Fazit: Die Chance auf eine überfällige Debatte wurde vertan.
Ja, echt. Und diese Chance kommt nie wieder, so lange jeder Krethi und Plethi eine
Erklärung unterschreiben darf, die von Ernst Elitz nicht abgesegnet
wurde. Und außerdem sei die ganze Sache obsolet, denn es sind inzwischen nun wirklich keine Massen mehr, die über die deutsche Grenze tröpfeln.
Wie viele im Jahr 2017 über die deutsche Grenze tröpfelten, hätte Elitz in der BILD
nachlesen können: 186 644 registrierte Asylsuchende, also im Schnitt
etwa 500 jeden Tag oder 15.000 Menschen jeden Monat. Viel weniger als in
den vorausgegagenen zwei Jahren, aber unterm Strich mehr als in einer
kleinen Großstadt wie Regensburg oder Heidelberg leben. Seit dem 3.4.
muss der Begriff „tröpfeln“ neu definiert werden. HMB
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