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Sonntag, 7. November 2021

Habitare secum

Dem Mann hat bereits der Publizist Sebastian Haffner in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den „Abstieg“ bescheinigt. Was in früheren Epochen den Mann ausmachte, wurde einer negativen Bewertung unterzogen. In erster Linie bezieht sich dies auf die repräsentative Autorität, die einen zentralen Aspekt seines Vaterseins ausmacht: Unsere Gesellschaft hat durch die 68er und ihre verspäteten Vertreter eine Revolte gegen den „Vater“ erlebt, die in einer Ablehnung jeder vorgegebenen Autorität ihren Niederschlag fand.

Umgekehrt wird in der Boulevardliteratur ein Bild der Frau gezeichnet, das einen Opferstatus in Permanenz festschreibt. Ausgehend vom Empowerment der Frau, das kaum zu einer größeren weiblichen Selbstachtung geführt hat, die soziale Rollenverteilung in den Frauen jedoch tiefgreifend veränderte, sind Männer in dem, was sie sein und darstellen sollen, verunsichert. Die Auflösung ihrer Selbstversicherung wird heute durch die medial lancierte Ansicht verstärkt, bei Männlichkeit und Weiblichkeit drehe es sich um gesellschaftliche Funktionen, die man einem social engineering aussetzen, und beliebig – entsprechend den Vorgaben der neuen Eliten – modifizieren sollte.
Aus der systematischen Diffamierung des Männlichen als dominant, autoritär, repressiv und gewaltaffin ist das Modellbild des „sanften Mannes“, der keine Angriffsfläche für solchen Verdacht bietet, als neues Identifikationsmuster aufgekommen: Es mag manchen helfen, es mit niedrigem Profil zu versuchen, um erst gar nicht in den Verdacht „toxischer Männlichkeit“ zu geraten.

Vor allem die Unterhaltungsindustrie bringt das neue Ideal, den androgynen Typ, den „neuen, sanften Mann“ und daneben die „Powerfrau“ unter die Leute. In seichten TV-Serien dominiert ein neuer Typ von Familien, in denen Frauen auch „Väter“ und Männer (die besseren) „Mütter“ sein können. Für die externen relations und das decision making ist die Frau zuständig.
Der weichgespülte Mann ist nicht der, der seiner Partnerin ein definitives Jawort schenkt, um sich für sein weiteres Leben in guten wie in schlechten Tagen an sie zu binden. Dazu müsste er sich selbst besitzen und die eigene Zukunft antizipieren. Er vermag es jedoch nicht, sich so zu sammeln und propulsiv auf Zukunft hin zu binden. Daher wird ein mögliches Eheversprechen nur belächelt. Den Kindern wird das, worauf sie ein begründetes Recht hätten, damit vorenthalten.
Das Verhältnis Josefs zu Maria war sicher im hohen Grade affektiv bestimmt, das heißt von affektiven Kräften regiert, die, aus einem feinen und zarten Gemüt kommend, in die Gesamtpersönlichkeit integriert waren. Verschiedene geistliche Lehrer haben denn auch zuerst und vor allem die Herzenseinheit von Maria und Josef betont.
Die beste Grundlage für eine Ehe im jüdischen wie katholischen Sinn: Zwischen Maria und Josef bestand ein ganz inniges, zartes Nahverhältnis, denn beide waren miteinander durch eine wahre Ehe verbunden; die Ehe aber ist doch die stärkste Bindung zweier Menschen verschiedenen Geschlechts aneinander.

Durch den eigenen Vater lernt ein Kind, selbstständig und eigeninitiativ zu werden. Nicht entscheidend ist, ob ein Vater – im Urteil anderer – mustergültig auftritt. Es kommt aber darauf an, dass er greifbar ist und dass er das Kind bestätigt. Indes glänzen die heutigen Väter durch Abwesenheit in der Lebenswelt ihrer Kinder – selbst dann, wenn sie physisch zugegen wären.
Väter haben ihre Autorität aufgegeben. Erzieherische Direktiven üben sie nicht aus. Zu verunsichert in ihrer Rolle, haben sie sich ihrer Aufgabe entledigt, die normative Grundlage eines „guten Lebens“ einzubringen und auf die Befolgung einer praktischen Lebensordnung zu drängen. Josef war der für Gottes Stimme immer offene Mensch, bereit, eigene Pläne aufzugeben, um spontan auf die Pläne, Verfügungen, Heimsuchungen Gottes im Gehorsam einzugehen. Er bietet uns ein Bild des Menschen, der in die Tiefe, nach innen, aber auch nach oben hören kann. Die Evangelisten Matthäus und Lukas schildern uns sein Tätigwerden in den Augenblicken, in denen das Leben des menschgewordenen Gottessohnes in Gefahr war. Beim Aufbruch mit Jesus und Maria nach Ägypten sehen wir ihn die Führung in entscheidender Situation übernehmen: „Er nahm das Kind und seine Mutter, und floh nach Ägypten“.
Der heilige Josef war ein zutiefst in seiner eigenen Kultur und Religion, der jüdischen, verwurzelter Mensch. Er hat seine religiöse Identität nicht gesellschaftlichen Trends überlassen. Darüber hinaus gibt er uns das Beispiel einer mutigen und hochherzigen Suche nach dem Willen Gottes und eines einfachen, mit sich selbst geeinten Lebens in dessen Gegenwart.

In der westlichen Hemisphäre ist auf der öffentlich-gesellschaftlichen Ebene die souveräne, sichtbare Einzelpersönlichkeit verschwunden. Sie wurde durch ein apersonales Kollektiv als bestimmendes Interessengeflecht ersetzt: Lobbys und Medien, Verbände und Komitees, Apparate und NGOs. Dabei bleiben die neuen Eliten, die die soziale Maschinerie dominieren, unsichtbar. Die durch den Ausfall des Vaters auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene aufgerissene Leere aufzufüllen, treten andere Autoritäten an, die unter der Maske des Nichtautoritären, Emanzipatorischen, Freibleibenden agieren:
Auf radikaler Autonomie und einem auf Emanzipation ausgerichteten Selbstverhältnis lässt sich indes kein gesellschaftlicher, die Generationen übergreifender Zusammenhalt begründen. Die Menschen werden zu atomisierten Individuen, die sich dem Solipsismus ergeben. Der Tod von Ehe und Familie als unweigerliche Konsequenz lässt den Schrei nach der großen Urmutter des Staates laut werden, die alle nährt und hegt, und erzieherisch wie unmündige Kinder behandelt.

Wo Männer im Sinne einer traditionellen Religiosität einigermaßen sozialisiert sind, hegen sie bisweilen den Wunsch, dass ihre Kinder die Welt des Glaubens kennenlernen und mit einer Praxis des Glaubens vertraut werden. Doch wenn es darum geht, diese Außenrelation der familiären Existenz zu formen, scheitert es meist an der unausgesprochen akzeptierten Voraussetzung, dass der Mutter dieser Bereich überantwortet wurde. Außerdem gibt es noch das soziale Umfeld, in dem „man“ schließlich auch nicht zur Kirche geht. Hier korrigierend gegenzusteuern würde implizieren, dass der Vater den Willen hat, in einer so entscheidenden Frage wie dem religiösen Leben Leitungskompetenz zu zeigen.
Schauen wir aber auf Josef, so sehen wir, dass er den heranwachsenden Jesus einführte in die Anamnese der Geschichte Israels, in die Aneignung der Heiligen Schriften, in das Gebet der Psalmen, den jüdischen Tempelkult mit seinen Lob-, Dank- und Sühneopfern und ihn beim treuen Gang zur Synagoge, wo wir ihn verlässlich an jedem Sabbat finden, begleitete. Josef wird uns als der in der Stille, im Schweigen, tätige Mensch geschildert, der durch seiner Hände Arbeit für seine Familie sorgt, aber nicht in der Arbeit aufgeht, sich nicht von ihr und den Alltagssorgen vereinnahmen lässt. Das technische Werkzeug beherrscht ihn nicht, so wie es moderne Maschinen tun, die den Menschen in ein von ihnen vorgegebenen Ablauf hineinspannen. Er verwirklicht das vollkommene habitare secum. Der stille Josef ist der Mann einer inneren Sammlung und der Bereitschaft, ohne Vorbehalt auf den Willen Gottes einzugehen.  Michael Stickelbroeck


Männer sind heute beherrscht von dem, was man in die Hand nehmen, von der Technik, mit der man die Dinge verändern kann. Dabei geraten sie in Gefahr, dass sie im Letzten nur noch sich selber hören und nicht mehr in die Tiefe der Schöpfung hinein, die auch immer von der Herrlichkeit Gottes spricht. So fehlt den Männern als Vätern und Erziehern per se die Öffnung auf die Transzendenz hin, und sie bleiben im Vorläufigen, Selbstgemachten und rein Diesseitigen behaust, ohne den Anker in die Ewigkeit auszuwerfen, und zu Größerem hin aufzubrechen. Den Kindern bleibt dabei die entscheidende Dimension vorenthalten: „Die kids haben keinen Gott, sie hätten aber nichts dagegen, einen zu haben.“

Für Josef war Gott und sein Geheimnis die alles bestimmende Wirklichkeit im Leben. Er lebte Fügsamkeit gegenüber Gott und seinem Willen, die Bereitschaft zur Hingabe in allem, was seinen Dienst betraf – eine Haltung, die den Kern seiner Frömmigkeit ausmachte.

 

 

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