Stationen

Freitag, 5. November 2021

Hendrik Streek in der WELT

Meine acht Punkte zur Überwindung der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie ist eine Krise der fehlenden Daten, der falschen Kommunikation und des Unvermögens, aus Erfolgen zu lernen. Nun, da die Infektionszahlen wieder steigen, müssen wir endlich pragmatisch handeln. 
 

Die Pandemie ist doch quasi vorbei, oder? So fühlt es sich gerade für viele Menschen in Deutschland an. Sie haben sich impfen lassen, sie sind geschützt – und die Warnungen vor einer Winterwelle werden seit dem Sommer mehr oder weniger ignoriert.
Eigentlich ist so ein pragmatischer Umgang mit Krisen, auch mit Pandemien, etwas Gutes. Man muss allerdings die richtige Art von Pragmatismus wählen. 
 
Acht Vorschläge für einen Weg aus der Krise.
1. Infektionsgeschehen kennen
Eine Besonderheit des Coronavirus ist: Es macht nicht alle Menschen gleichermaßen krank, die es infiziert. Einige haben nicht einmal Symptome. Daher ist die Dunkelziffer hoch. Dass die vielen kostenlosen Testmöglichkeiten der vergangenen Monate ausgerechnet vor dem Winter abgeschafft wurden, ist ein Fehler. Denn so verschwimmt das naturgemäß schemenhafte Bild vom Infektionsgeschehen zusätzlich. Wir verlieren den Überblick. In der Gesamtbevölkerung wird kaum noch getestet, also unterschätzen wir die Zahl der Infizierten.
In den Schulen, wo weiterhin viel getestet wird, entdecken wir aber fast jeden asymptomatischen Fall. Das Bild, das so entsteht, scheint zu zeigen, dass überproportional viele Kinder und Jugendliche infiziert sind. Tatsächlich kann es aber auch sein, dass nur viele Kinder und Jugendliche entdeckt werden, die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung aber ähnlich hoch ist. Wie und wo das Virus gerade kursiert, können wir nicht einschätzen. Denn in Deutschland sammelt niemand diese Daten systematisch.
 
2. Daten zentral sammeln
In Deutschland aber haben wir im vergangenen Jahr offensichtlich nicht gelernt, wie wichtig Informationen über das Infektionsgeschehen sind. Die Pandemie bleibt hierzulande eine „Missing-Data“-Krise. Die künftige Regierung muss schnell dafür sorgen, dass sich das ändert. Wir brauchen eine zentrale Institution, die die Forschung koordiniert, wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenführt und evaluiert. Nur so sind wir auch für künftige Pandemien gewappnet.
 
3. Impflücke schließen
Eine Corona-Infektion ist für einen über 60-Jährigen ein ungleich größeres Risiko als für einen jüngeren Menschen. Trotz allem sind rund 15 Prozent der über 60-Jährigen bisher nicht geimpft. Häufig existieren Sorgen und Skepsis, die man im direkten Gespräch meistens ausräumen kann. Hier sollte durch gezielte Ansprache durch den Hausarzt oder die Krankenkasse versucht werden, die Impflücke unter den Älteren so gut es geht zu schließen.
Jedoch wird sich auch in diesem Herbst und Winter der Pandemieverlauf in den Alten- und Pflegeheimen entscheiden. Trotz der Impfung ist dort weiterhin der tödliche Hotspot der Pandemie. Das heißt vor allem: breitflächig eine Booster-Impfung anzubieten und in Alten- und Pflegeheimen konsequent und regelmäßig zu testen.
Anders als im vergangenen Winter verfügen wir jetzt über neue Medikamente, die Risikopatienten vor einem schweren Verlauf schützen. Wir brauchen eine Strategie der Postexpositionsprophylaxe mit Molnupiravir und Regeneron. Bei einem positiven Fall könnten präventiv Kontaktpersonen gegen Corona behandelt werden und so schwere Verläufe reduziert werden. Weil wir immer noch nicht gelernt haben, Erkenntnissen aus der Forschung schnell den Weg in die Praxis zu ebnen.
 
4. Reform des Gesundheitssystems
Dabei wäre das auch für künftige Gesundheitskrisen dringend notwendig. Eine Gesellschaft sollte nicht in den Lockdown gehen müssen und so den ökonomischen Erfolg verspielen, nur weil das Gesundheitssystem solche Prozesse nicht steuern kann. Das System muss der Gesellschaft dienen, nicht andersherum.
Die neue Regierung sollte daher alles daransetzen, das Gesundheitssystem leistungsfähiger und krisenfester zu machen. Spätestens diese Pandemie hat uns gezeigt, dass das Gesundheitssystem weniger marktorientiert arbeiten muss – sonst ist es nicht krisenfest. Dass wir in der Pandemie 3000 Intensivbetten aufgrund von Personalmangel abbauen mussten, hat exemplarisch aufgezeigt, wie labil unser Gesundheitssystem geworden ist.
 
5. Korrekte Kommunikation
Die Ungeimpften sind verantwortlich für die Toten, heißt es oft, auch aus dem Mund von Politikern. Solche Aussagen sind falsch. Wir alle befinden uns in der Pandemie, die Geimpften und die Ungeimpften. Und wir alle können das Virus weitergeben. Der Anspruch der Impfung war es nie, eine Infektion zu unterbinden, sie sollte vor einem schweren Verlauf schützen. Die Impfung ist Eigenschutz, kein Fremdschutz.
 
6. Korrekte Definition des Genesungsstatus
Dabei schützt eine durchgemachte Infektion in der großen Mehrheit der Fälle ebenso gut wie eine Impfung. Die Definition des Genesenenstatus ist aber unzureichend und macht medizinisch wenig bis gar keinen Sinn. Denn man muss derzeit einen positiven PCR-Test haben, der nicht älter ist als sechs Monate.
Es fallen somit alle aus dem Genesenenstatus raus, die entweder gar keinen PCR-Test haben oder deren PCR-Test bereits zu alt ist. Jedem Genesenen, dessen Infektion länger zurückliegt, ist zu einer Impfung zu raten, um den Schutz zu erhöhen. Antikörpertests sollten jedoch mit der Anerkennung eines zurückliegendem PCR-Tests gleichgesetzt werden.
Wir befinden uns jetzt in einer Übergangsphase: Das Virus wird langsam zu einem heimischen Erreger werden, der nur noch wenigen Menschen gefährlich werden kann. Welche Übergangsmethoden – Impfung, 3G-Regel, Maskengebot – sind wie lange noch nötig? Es ist genau jetzt an der Zeit, die Parameter zu definieren, wann Staatsverantwortung in Selbstverantwortung übergeht.
 
7. Mut und Vernunft
Die Maßnahmen jetzt im Oktober einfach undifferenziert fallen zu lassen, wäre genauso falsch, wie es ein undifferenzierter Lockdown gewesen ist. Es bedarf eines sorgfältig durchdachten Fahrplans, um eine Rückkehr in die Normalität zu ermöglichen. Dieser Fahrplan muss klar kommuniziert werden.
Es muss klar sein, mit welchen Schritten und über welche Etappenziele wir aus der Pandemie herauskommen. Es geht jetzt nicht darum, „mutig“ zu sein oder ein fixes Datum für einen Freedom-Day zu definieren. Es geht darum, „vernünftig mutig“ zu sein. Dafür müssen die vielen verschiedenen Sichtweisen unterschiedlicher Experten und Expertisen gehört werden.
 
8. Wir brauchen ein Gremium, das die nächsten Schritte der Pandemieplanung begleitet und die junge, neue Regierung unterstützt. Ein Expertenrat oder Pandemierat, der auf Bundesebene tagt, den haben wir immer noch nicht. Die Kakofonie der verschiedensten Experten- und Nichtexpertenmeinungen hat in der jetzigen Pandemie die Bürger nur verwirrt, Ängste und Misstrauen geschürt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.