Stationen

Donnerstag, 10. November 2016

Freiheit, Wohlstand, Frieden

Erich Weede ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Als diplomierter Psychologe und habilitierter Politikwissenschaftler umfasst sein veröffentlichtes Werk eine beeindruckende intellektuelle Tiefe. Interkulturelle Fragestellungen und insbesondere die Zusammenhänge zwischen der Sozialstruktur einer Bevölkerung und ihrer erwartbaren wirtschaftlichen Prosperität prägen seine Arbeiten. Bernd Kallina sprach mit Prof. Weede anlässlich des 39. Godesberger Pressestammtisches in der Bundesstadt.

PAZ: In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts definierte Max Weber das Wesen des Politischen einmal als „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt“. Trifft dies auch heute noch zu?
Erich Weede: Ja, Politik ist und bleibt Kampf um Macht. Aber man darf hoffen, dass es den Politikern auch darum geht, der Bevölkerung zu dienen. Damit meine ich nicht nur den Wählern, sondern auch künftigen Generationen, die noch nicht wählen dürfen, aber trotzdem möglichst wenig Schulden erben wollen.

PAZ: Für Deutschland haben Sie das nationale Interesse wie folgt definiert, nämlich: Freiheit, Wohlstand und Frieden. Wie begründen Sie diese strategische Zielkonzeption?
Weede: Sehen Sie: Aus historischen Gründen tun wir Deutschen uns schwer mit der Formulierung und Vertretung unserer nationalen Interessen, was ich für bedauerlich halte. Deshalb habe ich eine Formulierung nationaler Interessen vorgeschlagen, die offensichtlich nicht im Gegensatz zu den berechtigten Interessen anderer Nationen, vor allem unserer Nachbarn, steht. Wer wünscht sich Nachbarn, bei denen Repression statt Freiheit, Armut statt Wohlstand und Krieg oder Bürgerkrieg statt Frieden herrscht? Das können meines Erachtens nur Regierungen, die die nationalen Interessen ihrer eigenen Bevölkerung aus den Augen verlieren.

PAZ: Kritiker sehen das Problem im zeitgenössischen Deutschland vor allem auch darin, dass im etablierten politisch-medialen Komplex allein die Erwähnung von nationalen Interessen schon als verwerflich gilt und man sich stattdessen lieber in universalistische Begriffs-Floskeln flüchtet, oder?
Weede: Das ist leider so. In Deutschland läuft die politische Korrektheit vor allem auf Denkverbote hinaus. Merkwürdigerweise sind gar nicht mal die großen Parteien die konsequentesten Vertreter der politischen Korrektheit, sondern die Grünen. Die möchten am liebsten in allen Lebensfragen – von der Klima- und Energiepolitik über die Euro-Rettungspolitik bis hin zur Migrationspolitik – durchsetzen, dass man über die Kosten der Politik gar nicht mehr nachdenkt, dass Gesinnungsethik an die Stelle von Verantwortungsethik tritt, womit wir wieder beim eingangs zitierten Max Weber wären. Seit dem Atomausstieg ist allerdings die Kanzlerin auf diese Politik eingeschwenkt und das ist fatal!

PAZ: Eine weitere Störgröße in diesem Zusammenhang sehen Beobachter unserer Lage in der bis heute andauernden NS-Dauervergangenheitsbewältigung. Selbst völlig legitime nationale Forderungen würden sofort durch propagandistisch aufgebauschte Querverweise auf das Dritte Reich sozusagen schon im Vorfeld politisch-psychologisch ausgeschaltet. Teilen Sie derartige Bedenken?
Weede: Ja, soweit es sich um legitime nationale Forderung handelt. Aber: Weil die Politik Hitlers nicht nur gegenüber den Juden, sondern auch gegenüber unseren östlichen Nachbarn so lange mörderisch war, wie der Kriegsverlauf das zuließ, ist Vergangenheitsbewältigung, soweit sie nicht manipulative Formen annimmt, durchaus notwendig. Aus Unmoral und Fehlern sollte man lernen.

PAZ: Welche Konsequenzen meinen Sie, was sollten wir lernen?
Weede: Erstens, Mordbereitschaft gegenüber Anderen ist nicht im eigenen Interesse. Am Ende des Krieges wurden die Deutschen dann selbst Opfer, vor allem diejenigen, deren Heimat östlich von Oder und Neiße lag. Zweitens würde ich aus der Geschichte des Dritten Reiches schließen, dass Machtkonzentration beim Staat – oder bei der Politik statt bei Bürgern und Unternehmen oder Gemeinden – an sich problematisch ist. Zentralisierte Macht bietet nun mal die größten Möglichkeiten zum Missbrauch.

PAZ: Themenwechsel, Herr Professor Weede: Der freie Handel liegt Ihnen bei den Zielen und Interessen deutscher Politik besonders am Herzen. Warum ist Ihnen diese spezielle Form von Handel so wichtig?
Weede: Bis zum Ende des Kalten Krieges, des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung war die Konfliktforschung eines meiner wichtigsten Arbeitsgebiete. Danach habe ich mich zunehmend mit wirtschaftlicher Freiheit und Kapitalismus beschäftigt. Der sogenannte kapitalistische Frieden ist die Schnittstelle meines alten und meines neuen Arbeitsgebietes. Eine wichtige Komponente des kapitalistischen Friedens ist, dass die Kriegsgefahr unter Staaten abnimmt, die besonders viel Handel miteinander treiben oder in denen besonders viel wirtschaftliche Freiheit herrscht. Eine andere Komponente des kapitalistischen Friedens zeigt uns, dass die Kriegsgefahr unter Demokratien abnimmt. Aber der Freihandel ist das wichtigere Pazifizierungsmittel. Denn je mehr ein Staat freihändlerisch ist, desto seltener ist er in Kriege verwickelt. Demokratien sind allerdings genauso oft wie Autokratien in Kriege verwickelt, auch wenn ihre Kriegsgegner fast immer Autokratien sind. Der demokratische Frieden gilt nur unter Demokratien.

PAZ: Die höchst umstrittenen EU-Freihandelsabkommen Ceta und TTIP, also jene mit Kanada und den USA, haben aktuell eine riesige Oppositionsbewegung dagegen entstehen lassen. Wenn Sie einmal auf wichtige Argumente dieser Ablehnerfraktion eingehen. Zu welchem Ergebnis kommen Sie dann?
Weede: Die meisten Gegner der beiden nordatlantischen Freihandelsabkommen verlieren das Wichtigste aus den Augen, nämlich sowohl die Verfestigung des nordatlantischen Bündnisses als auch die zu erwartenden positiven Wohlstandskonsequenzen. Sich über Genmais oder Chlorhühnchen Gedanken zu machen, halte ich für albern. Die Amerikaner überleben das. Auch nach Abschluss der Abkommen müsste das niemand kaufen und essen. Der Investorenschutz ist etwas problematischer. Aber letzten Endes stört mich dabei höchstens, dass inländische Unternehmen nicht so gut geschützt werden. Den deutschen Energieversorgern – und das ist ein viel schwerwiegenderes Problem – hätte mehr Schutz vor der Politik beim Atomausstieg recht gut getan.

PAZ: Kommen wir auf die Euro-Rettungspolitik und die die CDU/CSU, ganz Deutschland und Europa spaltende sogenannte Flüchtlingspolitik von Frau Merkel zu sprechen. Wie erklären Sie sich diesen deutschen Sonderweg unserer Bundeskanzlerin, wo es doch jahrzehntelang das Credo unserer Außenpolitik war: Deutschland dürfe sich nicht isolieren?
Weede: Eine rationale Erklärung der Merkelschen Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik kann ich leider nicht geben. Das muss wieder mal Gesinnungsethik sein, die die negativen Konsequenzen einer vermeintlich guten Politik nicht einkalkuliert. Diese werden nämlich in unverantwortlicher Weise einfach ausgeblendet.

PAZ: An welche Folgen denken Sie dabei vor allem, Herr Professor Weede?
Weede: Zu befürchten sind erstens eine Verschlechterung der durchschnittlichen Qualifikation der in Deutschland lebenden Menschen im arbeitsfähigen Alter. Denn Herkunftsländer, die unter Armut, Repression und Bürgerkrieg leiden, können die Migranten nicht für höher entwickelte Länder mit anspruchsvollen Arbeitsmärkten ausbilden. Je schlechter qualifiziert unsere Arbeitskräfte sind, desto prekärer wird der Wohlstand. Zweitens ist eine Gefährdung der politischen Stabilität unseres Landes zu erwarten, weil ethnisch oder religiös heterogene Gesellschaften Schwierigkeiten dabei haben gut zu funktionieren. Viele Herkunftsländer unserer Migranten leiden unter kultureller Heterogenität. Die bringen sie jetzt zu uns. Drittens führt die Massenzuwanderung auch zur Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit der Einheimischen. Es gibt Schätzungen, wonach jeder Migrant uns fast eine halbe Million Euro kosten könnte. Alternative Verwendungen dieser Mittel wären Schuldenabbau, Steuersenkungen, ja sogar Flüchtlingshilfe im Libanon oder Jordanien, wo man mit demselben Geld mehr Flüchtlingen hätte helfen können. Dann wären auch nicht vorwiegend junge Männer im wehrfähigen Alter Empfänger unserer humanitären Hilfe gewesen. Mein grundsätzlichster Einwand gegen die Merkelsche Migrationspolitik ist folgender. Wenn der eigene Staat für das Wohlergehen auch Not leidender Ausländer zuständig ist – nach meiner Schätzung leben fünf Milliarden Ausländer schlechter als unsere Hartz-IV-Empfänger – wie kann er dann noch im nationalen Interesse der Bürger handeln?   Bernd Kallina

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