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Sonntag, 6. November 2016

Hegemonie des Visuellen

Peter Eisenman, Architekt des Berliner Holocaust-Mahnmals, gibt seit über fünfzehn Jahren Interviews, die um sein größtes, wichtigstes und sinnlosestes - falls man sinnlos überhaupt steigern kann - Werk kreisen. Bereits vier Jahre vor der Eröffnung des Stelenfeldes, im Januar 2001, sprach er sich in einem Interview mit der ZEIT präventiv dagegen aus, „Aufmärsche von Neonazis am Mahnmal verbieten zu lassen“. Denn: „Warum sollte das Holocaust-Mahnmal nicht der Ort sein, an dem diese Energie zum Ausdruck kommt? Wenn die deutsche Gesellschaft diese Potenziale in sich trägt, dann kann und sollte man solche Demonstrationen nicht verhindern. Man kann doch keinen Stacheldraht um das Gelände ziehen und Wachtürme aufstellen.“

Well put, Mr. Eisenman. Noch besser wäre es nur noch, wenn solche Aufmärsche vor Ihrem Haus stattfinden würden. „Diese Energie“ verdiente es, an der Stelle zum Ausdruck zu kommen, an der das Holocaust-Mahnmal konzipiert wurde.



Vier Jahre später, im Dezember 2004 und immer noch vor der Einweihung der Anlage, sagte er in einem Interview mit der ZEIT: „Das Mahnmal versucht, die Macht dieser Medienbilder (der Fotos und Filme über den Holocaust) zu brechen. Es versucht, die Hegemonie des Visuellen zu überwinden, es setzt auf primäre körperliche Erfahrung, auf Affekte.“ Die Arbeit an dem Mahnmal habe für ihn eine therapeutische Wirkung gehabt. „In meinen Jugendjahren fühlte ich mich nicht als Jude, meine Eltern waren assimiliert. Wir sind nie in den Tempel gegangen, und natürlich gab es bei uns zu Weihnachten einen Tannenbaum. Dennoch spüre ich so etwas wie eine jüdische Empfindsamkeit. Und die hat sich durch meine Erfahrung mit diesem Projekt noch gesteigert.“

Und wenn er den Auftrag bekommen hätte, eine Autorennbahn zu bauen, hätte das bestimmt seine Empfindsamkeit als Streckenposten bei einem Seifenkistenrennen gesteigert.
Weitere zehn Jahre später, im Mai 2014 wurde Eisenman von der ZEIT befragt, was er von den „Rissen“ an den etwa 50 Stelen halten würde, die von „Metallmanschetten“ zusammengehalten werden müssten, damit sie nicht einstürzten. Ob die Risse als Symbole verstanden werden könnten, „als Zeichen eines schwindenden Gedenkens an den Holocaust?" Darauf Eisenman: „Sie können das sehen, wie Sie wollen. Ich habe keine Ahnung, wie die Menschen die Risse verstehen. Ich spekuliere ganz sicher nicht über ihre Bedeutung. Wenn ich an meine Zimmerdecke schaue, dann sehe ich eine durchgebrannte Glühbirne.“
Wichtiger als die Bedeutung der Risse wäre, dass er im Iran nicht auftreten durfte: „Erst vergangene Woche verweigerte mir der Iran die Erlaubnis, dort eine Rede zu halten – weil ich der Architekt des Holocaust-Mahnmals bin. Die Iraner sind zu einem großen Teil Leugner des Holocaust, also müssen sie auch mich als den Architekten dieses Mahnmals ablehnen.“
So gesehen, hätte das Holocaust-Mahnmal eigentlich in Teheran und nicht in Berlin gebaut werden sollen. Aber Lea Rosh hatte sich nun mal für Berlin entschieden, und rückblickend war das auch gut so. Denn heute, so Eisenman vor kurzem in einem weiteren Interview mit der ZEIT, heute „wäre der Bau des Stelenfelds mitten in der deutschen Hauptstadt heute nicht mehr möglich“. Fremdenhass und Antisemitismus hätten in Deutschland und den USA stark zugenommen, die konservative Rechte gewinne an Einfluss. „Das gesellschaftliche Klima hat sich gewandelt, vieles, was bislang als akzeptabel galt, wird nun infrage gestellt.“
Moment mal, Mr. Eisenman, war das Holocaust-Mahnmal nicht auch dazu gedacht, Fremdenhass und Antisemitismus entgegen zu wirken? Dafür zu sorgen, dass sich „so etwas“ nie wiederholt? Und jetzt hören wir, Fremdenhass und Antisemitismus hätten stark zugenommen. Wie konnte das nur passieren? War das Mahnmal nicht groß genug? Hat es mit der Überwindung der Hegemonie des Visuellen nicht geklappt? Werden Sie es uns im nächsten Interview mit der ZEIT erklären?   HMB

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